Vor dem Aufstieg des Red-Bull-Klubs:Leipzig putscht die Liga auf

Lesezeit: 3 Min.

Jubel im Leipziger Stadion: Der Aufstieg rückt immer näher (Foto: dpa)

RB Leipzig steht vor dem Aufstieg in die zweite Liga und sorgt damit für Aufregung im deutschen Fußball. Wie viel Marke darf, wie viel Tradition muss sein? Ein Fanforscher sagt dazu: "Kein deutscher Verein hat Tradition."

Von Saskia Aleythe

So laut war es in Leipzig schon lange nicht mehr. Fast 40 000 Menschen sammelten sich am Ostersamstag im ehemaligen Zentralstadion, um sich die Partie zwischen RB Leipzig und SV Darmstadt 98 (1:0) anzuschauen. Die RB-Anhänger hatten allen Grund zum Jubeln - doch während sie sich freuen, vergeht anderen Fußballfans die Laune. Leipzig fiebert dem Aufstieg entgegen. Der Rest bangt vor dem unheimlichen Neuling.

RasenBallsport Leipzig erhitzt die deutsche Fußball-Fanszene, wie es schon lange kein Verein mehr getan hat. Am Samstag könnte der von Red Bull finanzierte Klub den Aufstieg in die zweite Liga perfekt machen - ein Graus für viele Fußballanhänger jenseits der sächsischen Großstadt. Das Fußballmagazin 11 Freunde bezeichnete den Klub unlängst als "schallende Ohrfeige für die Fußballkultur".

Ausgeliehende Hosen sorgen für Eklat

Abneigung kennt der Verein seit seinem Bestehen. Immer wieder sagten andere Klubs Testspiele ab, weil sich die Fans dem von Dietrich Mateschitz gesponserten Verein entgegenstemmten. Im Februar entbrannte ein Hosen-Eklat beim Halleschen FC, weil sich die Hallenser U17 in einem Freundschaftsspiel Hosen der Leipziger U16 geborgt hatte. HFC-Trainer Gilbert Hernandez musste sich anschließend bei seinem eigenen Klub entschuldigen. Hassgesänge und -banner während der Spieltage sind für die Leipziger längst Normalität.

Mit dem nahenden Aufstieg ist nun eine alte Debatte neu entbrannt: Was darf der (moderne) Fußball? Wann ist er mehr Marke als Sport? Und wie bedrohlich sind Vereine wie RB Leipzig für die gesamte Sportart in Deutschland?

RB zieht viel Kritik auf sich, am Griffigsten davon ist der laxe Umgang mit der 50+1 - Regel. Die Hürden einer Mitgliedschaft sind mit 800 Euro Jahresbeitrag so hoch, dass sich seit der Gründung des Vereins im Jahr 2009 bisher nur neun Fans auch Mitglieder nennen dürfen. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) erteilte dem Klub die Zweitliga-Lizenz am Dienstag nur unter Auflagen.

"Fußball ist für uns ein Hort der Demokratie", sagt Sig Zelt, Sprecher der überregionalen Fanorganisation ProFans, "und wenn diese Werte vergehen, die uns lieb sind, dann stirbt auch irgendwann unsere Fanszene aus, so wie sie jetzt ist". In einem Acht-Punkte-Plan, den sich die Organisation erarbeitet hat, wendet sie sich ausdrücklich an Fans, die gegen Kommerzialisierung des Fußballs einstehen. Dass ProFans auch Anhänger von RB Leipzig vertreten wird, kann sich Zelt nicht vorstellen: "Die Fans, die bei uns vertreten sind, müssten sich schon sehr wandeln, damit es eine richtige Akzeptanz für RB-Fans gäbe."

Dass Fußballfans in Deutschland selten Gebrauch von ihrem Mitbestimmungsrecht machen, spielt in den allermeisten Diskussionen keine Rolle. Stattdessen wird leicht aus fehlender Mitbestimmung auf eine abnorme Fankultur geschlossen. "Die Fanszene in Leipzig wird sich von anderen Fanszenen unterscheiden", ist sich Zelt sicher. Dass Fanleben sei auf Konsum ausgerichtet und irgendwann würden die Anhänger an den Punkt kommen, an dem sie merkten, "dass sie den Verein nicht bestimmen können, sondern dass der Verein sie dominiert".

Ist der RB-Fan also ein mit Werbung überschütteter Konsument? "Man wird im Stadion nicht von Werbung erschlagen oder von Promotion-Girls umzingelt", sagt David Grabow, der den Leipziger Fanclub Glücksbullen gegründet hat, "die Marke Red Bull ist in den letzten Jahren in Leipzig eher in den Hintergrund gerückt, als dass sie präsenter geworden wäre". In etwa 50 Fangruppierungen versammeln sich die RB-Fans, der größte Fanclub hat mehr als 350 Mitglieder. Von den offiziellen Fanklubs darf je ein Vertreter die Pressekonferenzen besuchen. "Die Unterstützung des Vereins für die Fangruppierungen ist groß", sagt Grabow, "und solange das so bleibt, wird der Ruf nach einer Mitgliedschaft auch nicht sonderlich laut werden".

Fan-Forscher kritisiert Tradition-Debatte

RB hat längst eine Fanszene, die sich öffentlich präsentiert wie es die anderer Vereine auch tun. "Wir fühlen uns in keiner Weise eingeschränkt, was das Ausleben unseres Fanseins angeht", sagt Grabow. Und auch wenn er immer wieder geballte Sprechchöre gegen seinen Verein ertragen muss, bekommt er aus Mitteldeutschland auch viele positive Reaktionen zu hören: "Fans aus Erfurt, Halle oder Magdeburg sagen, dass sie regelmäßig RB-Spiele besuchen werden, wenn der Klub in der zweiten Liga spielt."

Sich von einem etablierten Klub abzuwenden, um einen neuen Verein zu unterstützen, würde den Kritikern vermutlich nie einfallen. Vielen Fußballfans geht die "Tradition" über alles. Für Fanforscher Gerd Dembowski eine bedenkliche Diskussion. "Der Fußball ist in Deutschland etwa 120 Jahre alt - kein Verein hat Tradition, historisch betrachtet", sagt er. Schon alleine deswegen könne sich in Leipzig eine Fanszene entwickeln wie andernorts auch.

Eines ist dem Profifußball und seinen Anhängern gerade wegen der Debatten um Leipzig gewiss: Aufregung. "Der Standort Leipzig ist mit Sicherheit ein Vorteil für den Profifußball, der lebt auch von Liebe und Ablehnung", sagt Dembowski, "RB Leipzig wird die Liga beleben, dann gibt es keine Langeweile". Inklusive Hassbanner, über die sich dann wieder jemand aufregen kann, und provokanten Sprechchören. Dembowski sagt: "Daraus nährt sich der Fußball."

© SZ.de/ska - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: