Als sich das Peloton in die letzte Runde über die Champs Élysées begab, tat Jonas Vingegaard etwas, was er sonst quasi nie gemacht hatte während dieser 110. Tour de France: Er ließ sich zurückfallen - und das zusammen mit allen seinen Teamkollegen. Und während sich im Kampf um den prestigeträchtigen Tagessieg vorne überraschend der Belgier Jordi Meeus aus der deutschen Bora-Hansgrohe-Mannschaft gegen den Favoriten Jasper Philipsen durchsetzte, genoss Vingegaard Seite an Seite mit seinen Kollegen die letzten Meter dieser Rundfahrt.
Zum zweiten Mal nacheinander hat der Däne die Tour de France gewonnen, zum zweiten Mal nacheinander vor dem Slowenen Tadej Pogacar. "Dieses Jahr war es ein unglaublicher Kampf. Es war richtig hart, ihn zu knacken", hatte Vingegaard am Abend zuvor erklärt. Im Vorjahr hatte sein Vorsprung auf Pogacar nach den drei Wochen 2:43 Minuten betragen, dieses Mal waren es nach einem Einbruch des Slowenen auf der Königsetappe fast siebeneinhalb Minuten. "Ich habe mich selbst geknackt. Niemand sonst", gab Pogacar zurück. Dem Slowenen war am Samstag immerhin ein versöhnlicher Abschluss gelungen, als er die letzte schwere Bergetappe durch die Vogesen für sich entschied.
Bei Vingegaard lief indes alles nach Wunsch, insbesondere auf der Königsetappe und bei seinem unwirklichen Einzelzeitfahren, als er Pogacar um 1:38 Minuten distanzierte. Er könne die Zweifel an seiner Leistung verstehen, gab er während der Tour zu Protokoll, schließlich unterboten er und Pogacar viele Kletterrekorde aus der düsteren Ära ihres Sports. Er nehme aber nichts, beteuerte Vingegaard, was er nicht auch seiner zweijährigen Tochter geben würde.
Beim deutschen Team Bora bejubelten sie unterdessen den unerwartet erfolgreichen Abschluss dieser Tour. "Mit dem Sieg haben wir heute überhaupt nicht gerechnet", sagte Teamchef Ralph Denk: "Dass Jordi Meeus hier als unbekannter Sprinter gewinnt - Riesenerfolg für uns." Bora hatte bereits in der ersten Woche der Tour einen Erfolg feiern können, als der Australier Jai Hindley eine Pyrenäen-Etappe gewann und für einen Tag das Gelbe Trikot tragen durfte. Ein Podiumsplatz für den Kapitän war das Ziel, wozu es unter anderem wegen eines Sturzes von Hindley in den Alpen nicht kam; er belegte in der Gesamtwertung schließlich Rang sieben.