Vierschanzentournee-Sieger Kobayashi:Riesige Last auf schmächtigen Schultern

Lesezeit: 3 min

Der Sieger: Ryoyu Kobayashi in Bischofshofen. (Foto: Getty Images)
  • Ryoyu Kobayashi siegt bei der Vierschanzentournee: Als dritter Springer überhaupt gewinnt er alle vier Springen.
  • Viel lässt sich über den neuen Dominator des Skispringens allerdings nicht erfahren - bis auf eine besondere Fähigkeit.
  • Hier geht es zum Ergebnis der Vierschanzentournee.

Von Matthias Schmid, Bischofshofen

Der ältere Herr im Café in Bischofshofen ließ nichts unversucht, er probierte es auch mit Händen und Füßen. Er wollte dem japanischen Gast vor dem vierten und letzten Springen der Vierschanzentournee einen Satz zu Ryoyu Kobayashi entlocken. Was macht er denn so privat, fragte er zum Beispiel. Oder: Ist Skispringen gerade ein großes Thema in Japan? Aber da kam kein Wort, nichts. Der Japaner lächelte nur, er verstand kein Wort.

So wie dem älteren Herrn im Café ging es bei der Vierschanzentournee vielen Beobachtern, sie haben kaum etwas über den Überflieger Ryoyu Kobayashi herausbekommen, der am Sonntag auch das letzte Springen in Serie gewonnen hat. Der Japaner ist in diesem Winter auf wundersame Weise an die Weltspitze geflogen und dominiert das Skispringen aktuell mit solch spielerischer Leichtigkeit, dass sogar seine Rivalen zu Fans geworden sind. Doch es gibt - zumindest im deutschsprachigen Sprachraum - keine tiefschürfenden Erkenntnisse darüber, was er ganz persönlich über seinen Aufstieg denkt und warum er plötzlich das Skispringen so gut beherrscht.

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Als drittem Athleten überhaupt gelingt es dem Japaner, alle Wettkämpfe der Vierschanzentournee zu gewinnen. In der Gesamtwertung belegen die deutschen Springer die Plätze zwei und drei.

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Vor allem die Sprache ist ein Hindernis, der 22 Jahre alte Kobayashi versteht zwar Englisch, aber er antwortet immer auf Japanisch, seine Aussagen übersetzt ein Dolmetscher. Da kommen bisweilen lustige Dinge heraus, weil die Fragen oft doppelt so lange ausfallen wie die Antworten. Als Kobayashi beispielsweise in Innsbruck gefragt wurde, wie seine Erfolge in der Heimat aufgenommen werden und ob dort große Begeisterung herrsche, entgegnete er auf seine typische Art, kurz und nüchtern: "Ich weiß es nicht, weil ich ja hier bin." Nach einer Kunstpause fügte er hinzu: "Aber ich hoffe, dass ich für ein bisschen Enthusiasmus in Japan gesorgt habe."

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Zumindest die Betreuer aus der japanischen Mannschaft lagen sich leidenschaftlich in den Armen, als feststand, dass Kobayashi die Tournee vor den beiden Deutschen Markus Eisenbichler und Stefan Leyhe gewonnen hat, sie verbeugten sich dabei so oft, dass man Angst haben musste, sie würden gleich einen Bandscheibenvorfall erleiden. Später bei der Siegerehrung zückten sie auch Handys, um den historischen Moment festzuhalten, Kobayashi ist der erste Japaner seit dem Erfolg von Kazuyoshi Funaki vor 21 Jahren, der nach der Tournee ganz nach oben aufs Siegertreppchen klettern durfte - und erst der dritte Springer überhaupt, der alle vier Springen gewinnen konnte.

Oben auf dem Treppchen hatte der Sohn eines Sportlehrers nach der langen Hatz durch vier Stationen in zwei Ländern endlich mal ein einen kleinen Augenblick für sich allein, er atmete die Luft tief ein, um kleine weiße Wolken in den Pongauer Nachthimmel wieder auszuatmen. In diesem Moment merkte man ihm an, dass er doch die ganzen Tage über eine riesige Last auf seinen schmächtigen Schultern trug, die er sich vor allem selbst auferlegt hatte.

Erst als er den goldenen Adler für den Gesamtsieg überreicht bekam, schien er langsam zu realisieren, welch bemerkenswerte Leistung er vollbracht hat, auch im letzten Springen wieder, als er auf der Paul-Außerleitner-Schanze im finalen Durchgang mit seinem Satz auf 137,5 Meter noch vom vierten auf den ersten Platz gesprungen ist. "Ich war so glücklich", sagte er später über die Siegerzeremonie, "weil ich die große Geschichte der Vierschanzentournee kenne und nun stolz darauf bin, selber Teil dieser besonderen Historie zu sein."

Aber den Vorhang zu seinem Inneren öffnete er auch nicht im größten Moment seiner bisherigen Karriere, im Gegenteil. Er schien sogar eingeschüchtert von all den Dingen, die nun folgen sollten, die vielen Fragen, die Ehrungen, die Selfies. Es wirkt für Außenstehende, als würde er nur dann seine echten Gefühle offenbaren, wenn er sich von der Luke abdrückt, in der Spur zum Schanzentisch herunterfährt und sich dann abspringt, um ein paar Sekunden wie ein Vogel fliegen zu können. Er kann sich nach einem Sprung nämlich richtig freuen, er hebt dann seine Zeigefinger oder ballt seine Hand zur Faust und strahlt über das ganze Gesicht. Für japanische Verhältnisse ist das geradezu explosiv.

Um zu erfahren, was ihn sportlich vom Rest der Kollegen abhebt, landet man meistens bei seinem Absprung. Er nimmt mehr Geschwindigkeit mit als alle anderen. "Er hat da eine unglaubliche Stabilität", hat der deutsche Bundestrainer Werner Schuster erkannt, "und kann so kleinere Fehler ausgleichen." Die Trainer und Springer der anderen Nationen haben seinen biomechanischen Bewegungsablauf vor und während des Springens natürlich ganz genau studiert, ihnen ist aufgefallen, dass sie vor allem in der ersten Flugphase hinterherhinken, Kobayashi findet schneller mit Körper und Skier als andere die optimale aerodynamische Flugposition.

Das Geheimnis seines Erfolgs konnten sie aber bisher nicht vollends entschlüsseln, einige der Gelehrten gehen davon aus, dass es in der Fußsohle liegt. Sicher sind sie sich aber nicht. Der Japaner soll mit dem ganzen Fuß abspringen, nicht wie die meisten mit dem Ballen. Ob das wirklich so ist, behält Kobayashi für sich.

Ob er zumindest nun ein wenig Zeit habe, seinen Triumph angemessen zu feiern, wollte noch jemand von Ryoyu Kobayashi am Sonntagabend in Bischofshofen wissen. Die Dolmetscherin lächelte, als sie die Frage vernahm, sie kannte nämlich schon die Antwort. Es war ein Kopfschütteln. Dazu sagte Kobayashi: "Wir müssen uns schnell erholen, dann bald steht schon der nächste Wettkampf an." Doch vorher musste er am Sonntagabend noch zur Dopingprobe.

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