Vierschanzentournee:Eisenbichler befreit sich - und das deutsche Team

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Trotz Rückenwind flog Eisenbichler auf Platz zwei. (Foto: AP)
  • Markus Eisenbichler ist nach dem ersten Springen der Vierschanzentournee der Überraschungsmann.
  • Dass er der Zweite hinter dem Favoriten Kobayashi ist, liegt auch daran, dass einige Favoriten patzen.
  • Auf der Schanze in Oberstdorf kommt dem Deutschen aber auch seine Technik zugute.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Am Ende standen alle verbliebenen Springer im Zielraum und starrten. Die einen befanden sich schon hinter der Absperrung, die letzten Springer des Tages noch davor. Sie alle starrten zusammen mit dem Publikum nun auf die Videowand, wie auch die Zuschauer zu Hause auf ihre Fernseher, genauer gesagt auf die digitale Wassersäule, die das Resultat-Erlebnis etwas spannender gestalten soll.

Der digitale Pegel für den hohen Favoriten Ryoyu Kobayashi stieg also, und stieg und stieg, und am Ende war klar: Der Japaner hatte den bis dahin Führenden mal wieder verdrängt und gewann. Er bleibt der erste Kandidat für den Sieg bei dieser 67. Vierschanzentournee, die am Neujahrstag (14.00 Uhr) in Garmisch-Partenkirchen fortgesetzt wird. Man hatte das erwartet, schließlich hat Kobayashi in dieser Weltcupsaison schon vier von sieben Wassersäulen mit seinen Sprüngen zur Anzeige einer "1" getrieben. Und doch war diesmal vieles anders.

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Der Favorit Ryoyu Kobayashi gewinnt zwar das Auftaktspringen der Vierschanzentournee, doch fast hätte ihn Markus Eisenbichler bezwungen. Und der springt die kommenden Schanzen "wie im Schlaf".

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Denn zum einen landete keiner der Mitfavoriten auf Platz zwei, sondern Markus Eisenbichler, 27 Jahre alt. Das ist jener hoch veranlagte Springer aus Siegsdorf in Oberbayern, der so viele Rückschläge schon hinter sich hat, dass man glaubte, er könne seine gute Form nie festhalten. So lange schon wartet er auf den ganz großen Auftritt, dass die Oberstdorfer "2" bei ihm Siegergefühle auslösen musste, jedenfalls war zu befürchten, dass er sich bei diesem Jubelschrei den Unterkiefer verletzte. Zum anderen war dieses Ergebnis derart knapp, dass man von einer klaren "1" ohnehin nicht reden kann, Wassersäule hin oder her. Vier Zehntelpunkte nur trennen Kobayashi und Eisenbichler in der Gesamtwertung nun, und das ist nicht wirklich ein Vorsprung für drei weitere Schanzen. Für vier Zehntelpunkte mehr muss man 22,2 Zentimeter weiter springen.

Eisenbichler ist nun also der Führende im Verfolgertrio mit dem Österreicher Stefan Kraft und dem Norweger Andreas Stjernen. Der Rest ist wohl abgeschlagen - darunter Olympiasieger Kamil Stoch aus Polen (14,7 Punkte/8,1 Meter Rückstand) und auf jeden Fall auch Olympiasieger Andreas Wellinger aus Ruhpolding, der nach einem missratenen Flug nicht mal in den zweiten Durchgang kam. Die drei verbliebenen Verfolger hatte wegen ihrer unbeständigen Vorleistungen niemand auf der Rechnung, nicht mal den ehemaligen Tourneesieger und Weltmeister Kraft. Und mit Eisenbichlers Auftrumpfen hatte wohl nicht mal er selbst gerechnet, jedenfalls sagte er später, dass er durchaus mal einen Durchbruch erwartet habe, "aber nicht, dass es schon jetzt passiert."

Die Frage ist, ob dies für Eisenbichler nun auch die ersehnte Befreiung wird. Am selben Abend ließ er sich noch auf keine näheren Kommentare dazu ein. Einerseits spekulieren Skispringer nicht über ihre Zukunft, auch nicht über die nähere, sondern sie denken nur an ihren nächsten Sprung. Zum anderen hatte es Eisenbichler eilig, er musste noch am selben Abend auf dem Rücksitz eines Teambusses Platz nehmen und direkt nach Garmisch weiterfahren.

Es sieht danach aus, als könnte Eisenbichler an seiner Form festhalten

Allerdings drängen sich Hinweise dafür auf, dass er den Spaß vom Sonntag länger genießen könnte. Denn die kommenden Schanzen liegen ihm. Zwar hatte Eisenbichler vor vier Jahren auf dem engen Balken von Innsbruck derartige Schwierigkeiten, dass er aus dem Klassement flog und eine längere sportliche Krise durchmachte, aber diese Zeit hat er überwunden. Und die Fliegerschanzen von Bischofshofen und Garmisch passen ohnehin zu seinem Stil. "In Garmisch haben wir im Sommer viel trainiert, das ist eine schöne Schanze, die mag ich sehr gern", sagt er. Etwas zugespitzt behauptete Bundestrainer Werner Schuster: "Die kommenden Schanzen liegen ihm, die springt er im Schlaf."

Was vor allem befreiend wirken dürfte, war Eisenbichlers sehr spezieller Auftritt in Oberstdorf, dieser mäßige Qualifikationssprung, und dann aber die beiden Flüge, die ihn so weit nach vorne brachten. Wie seine meist vor ihm platzierten Kollegen aus dem deutschen Erfolgsquartett, Wellinger, Severin Freund und Richard Freitag, liebt Eisenbichler ja das Fliegen beim Springen. Deshalb kam er bislang eher mit tragendem Aufwind im unteren Bereich auf hohe Weiten, als mit ausgefeilter Technik beim Absprung. Diesmal aber hatte er strammen Rückenwind, einen guten halben Meter pro Sekunde - und er war der letzte verbliebene Deutsche unter den Top Ten. Es hing also viel von dem Sprung für das deutsche Team ab, um zumindest mit einem Springer in Reichweite zum Tournee-Sieg zu bleiben.

So eine steife Brise kann einem Springer die Ski vom Körper wegdrücken, womit das ganze Flugsystem schlappmacht. Oder er bläst ihn gleich nach zwei Dritteln des Fluges auf den Boden. Um diesem Element stand zu halten, braucht es Erfahrung, gute Nerven und das Vertrauen in das eigene System, damit man nicht unterwegs zu viel korrigiert und dem Wind erst recht Angriffsflächen bietet.

Markus Eisenbichler hat schon ein paar Erfolge errungen, vor allem mit dem Team, sein größter als Einzelspringer war die Bronzemedaille bei der WM in Lahti 2017. Eine seiner schlimmsten Niederlagen war die Verdrängung aus dem Quartett, das bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang 2018 Team-Silber holte. Wieder mal hatte er sich in aufsteigender Form gewähnt, wieder gelang ihm die Umsetzung nicht. In Oberstdorf hat er nun den schlechten Erinnerungen, der Aufregung und dem Wind getrotzt. Und weil er nicht nur einen, sondern zwei weite Sprünge hingelegt hat, sieht es sehr danach aus, als könnte er seine Form endlich festhalten.

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