Vierschanzentournee:Das Leiden der Österreicher

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Austrias Adler im Winter 2017/18: Michael Hayböck (links), Stefan Kraft und Gregor Schlierenzauer. (Foto: Johann Groder/dpa)
  • Österreichs Skispringer gehen diesmal fast aussichtslos in die Vierschanzentournee.
  • Doch noch wird die Krise der Adler geschickt getarnt.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Das war ein Versehen, sagt Stefan Kraft, bitte, das war keine Unhöflichkeit. Dass er hier, zum Pressegespräch in größerer Runde, anders als sonst niemandem die Hand geschüttelt hat, habe nichts zu bedeuten. Auch seien die Österreicher jetzt nicht paranoid oder Ähnliches.

Klar, der Magen-Darm-Virus von Innsbruck bei der Tournee letztes Jahr, der war heftig. Der suchte das Team der Österreicher in der Nacht vor dem dritten Springen heim, er streckte Michael Hayböck komplett nieder, und Kraft büßte alle Chancen auf den Gesamtsieg ein. Aber Ansteckungspanik greift nun nicht um sich. Man ergreift die üblichen Hygienemaßnahmen, wäscht die Hände, schüttelt sie aber auch.

Ein Jahr nach dem Fiasko

Das österreichische Skisprung-Team ist ein Jahr nach dem Fiasko von Innsbruck von etwas anderem befallen. Die Mannschaft leidet unter einem Syndrom, das sich nicht mit Penicillin behandeln lässt: Erfolglosigkeit, kollektiv. Außer Doppelweltmeister Kraft, der wie immer überdurchschnittlich springt, auch wenn er vergangenen Winter konstanter war, hängen alle Teamkollegen deutlich hinterher.

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Kraft ist im Gesamtklassement Fünfter, der nächste Österreicher kommt erst auf Rang 15: Manuel Fettner, 32, durchlebt nach seinem überraschenden Comeback vom vergangenen Winter abermals ein Tief. Die übrige Mannschaft von Cheftrainer Heinz Kuttin, darunter solche Springer wie der Rekord-Weltcupsieger Gregor Schlierenzauer oder Michael Hayböck, der Tournee-Zweite von 2015, oder auch Manuel Poppinger (Teamsilber bei der WM 2015), sie versammelt sich vor Beginn der Vierschanzentournee zwischen den Gesamt-Rängen 25 und 38.

Eigentlich wäre diese Zwischenbilanz Anlass genug dafür, dass in der Heimat der Super-Adler, dem Skisprungland mit seiner internationalen Führungsrolle, seinen zahllosen Experten und meinungsstarken Ex-Trainern, eine offizielle Krise ausbricht - mit eingehenden TV-Analysen, unterschwelligen Schuldzuweisungen und offenen Rücktrittsforderungen. Aber noch sind alle gefasst, die Medien, die Fans und auch die Mannschaft selbst.

Dieses Stillhalten hängt zunächst damit zusammen, dass die Krise auch geschickt getarnt wird, etwa durch die offen geäußerte Überlegung, dass der Winter ja noch arg jung sei. Noch sei nicht mal die Tournee angebrochen. Überhaupt sei dies ein Olympia-Winter, und bis zu diesem zweiten Höhepunkt in knapp sechs Wochen verrinne noch viel Zeit. Camouflage bieten zudem die anderen österreichischen Winter-Helden, die Alpinen: deren Topleute wie Marcel Hirscher und Anna Feith siegen. All das ist aber nur oberflächliche Ablenkung, die allgemeine Nachsicht hat auch fundierte Gründe, denn Kuttins Team wurde in den vergangenen Monaten tatsächlich arg vom Pech gebeutelt.

Irgendwann, Mitte Dezember, erzählt der Chefcoach, "da haben wir schon ganz schön daran geknabbert". Da hatte sich erstmals angedeutet, dass die vielen Krankheit- und Verletzungsrückschläge nicht so schnell ausgeglichen werden konnten. Manuel Poppinger etwa hatte eine lange Kreuzbandriss-Pause hinter sich, und ein weiterer wichtiger Mann fehlt dem A-Team ganz: Andreas Kofler leidet unter einem Erschöpfungssyndrom.

Dann näherte sich der Saisonbeginn, und auf einmal brachen für ein paar Wochen jene weg, mit denen Kuttin für diese wichtige Saison fest rechnen durfte: Hayböck, neben Kraft der konstanteste Österreicher der vergangenen Jahre, und Schlierenzauer. Der hatte bis vor vier Jahren diesen Sport dominiert, ehe er eine schwere Zeit durchmachte, mit Sinnkrise, schwierigen Materialumstellungen und anfangs noch mäßigen, dann schlechten Resultaten. Schlierenzauer zog sich irgendwann zurück, offiziell wegen Motivationsstörungen, dann riss er sich in Nordamerika das Kreuzband beim Skifahren und war zu einer noch längeren Auszeit gezwungen, aus der er aber im Sommer 2016 zurückkehrte, mit den Worten: "Ich habe noch Lust aufs Skispringen."

Im Oktober 2017, sagt Kuttin, waren Hayböck und Schlierenzauer wieder in Form, Letzterer erreichte im Grand Prix einen fünften Platz. Doch dann stürzte Schlierenzauer beim Gleittraining, er zog sich einen Seitenbandeinriss im Knie zu. Und Hayböck erlitt ebenfalls einen Bänderriss - im Knöchel. Er war beim Treppenlauftraining umgeknickt.

Es ist daher schwierig, Kuttins Trainingsaufbau zu kritisieren. Verletzungen kurz vor Saisonbeginn werfen Skispringer vielleicht mehr zurück als die Athleten in anderen Sportarten. Kuttin sagt, dies sei die wichtigste Zeit: "Es ist die Phase, in der du, wenn du das ganze Jahr trainiert hast, dir das Feingefühl, den letzten Feinschliff holst für die Saison."

Diesen Schliff müssen sie sich nun im laufenden Wettkampf verpassen, bis zuletzt hat es nicht geklappt. Im Skispringen passiert vieles, aber ob dem Team ein so großer Fortschritt in so kurzer Zeit gelingt, ist doch unwahrscheinlich. Bleiben zwei Hoffnungen: Erstens, dass das Team wenigstens für Olympia seine Form findet, und zweitens Stefan Kraft. Der springt seit vier Jahren aufs Podest, bleibt immer gelassen, und er hat schon die schlimmsten Viren überstanden.

© SZ vom 29.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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