Skispringen:Wellinger fehlen nur 2,6 Meter

Lesezeit: 2 min

Andreas Wellinger wurde bei der Qualifikation am Freitag nur Neunter. (Foto: GEORG HOCHMUTH/AFP)

Kobayashi gibt sich am Freitag keine Blöße und gewinnt die Qualifikation. Trotzdem hat Andreas Wellinger weiter die Chance, als erster Deutscher nach 22 Jahren die Vierschanzentournee zu gewinnen.

Von Volker Kreisl

Es reicht - und zwar nicht nur einem. Die Top-Skispringer der 72. Vierschanzentournee, die einen hohen Anspruch an ihr sportliches Auftreten haben, wollen eine Wende: jeder auf seine Art.

Ryoyu Kobayashi will endlich mal wieder gewinnen, statt immer nur Zweiter zu werden. Nach dreimal Rang zwei von Oberstdorf nach Innsbruck wäre für ihn beim letzten Springen in Bischofshofen ein Sieg fällig. Damit würde er seinen dritten Tourneesieg erringen. Andreas Wellinger, der Gesamtzweite, verspürt große Sehnsucht nach seinem zweiten Sieg in dieser Tournee. Damit wiederum würde er seinen ersten Gesamtsieg erringen. Das wäre auch nach dem Geschmack von Sven Hannawald. Denn der gibt sich müde, sein Triumph von 2001/2002 hat ja schon geschichtliche Patina. Hannawald möchte endlich als deutscher Tourneesieger abgelöst werden: "Ich will meinen Rucksack loswerden, es wird nach 22 Jahren wirklich Zeit", sagt er.

"Wenn diese Gedanken kommen, muss man sie aufnehmen und in die richtigen Bahnen lenken"

Am Freitagabend fand die Qualifikation für das große Finale der Vierschanzentournee statt. Andreas Wellinger sprang 128 Meter weit - und wurde damit nur Neunter. Sein Konkurrent Ryoyu Kobayashi gewann klar die Qualifikation. Umgerechnet 2,6 Meter liegt Wellinger nun hinter Kobayashi zurück.

Allmählich beginnen sich also die Nerven so mancher Springer einzumischen. Das Wetter soll sich ja auch noch verschlechtern, es wird regnen im Pongau in den östlichen Alpen. Der Chiemgauer Andreas Wellinger geht dabei möglichst ehrlich mit sich selbst um. "Verdrängen funktioniert nicht", hat er gelernt. "Wenn diese Gedanken kommen, muss man sie aufnehmen und in die richtigen Bahnen lenken", und das, sagt Wellinger, "gelingt mir ganz gut."

Nach der Qualifikation am Freitagabend zum Beispiel konnte er diese Selbstkontrolle der Gedanken gleich mal einsetzen. Wellinger hatte die höchste Geschwindigkeit in der Anlaufspur, zeigte aber erst mal nur eine bessere Trainingsweite. Gegenüber seinem Kontrahenten Kobayashi hatte er in etwa dieselben Bedingungen, landete jedoch zehn Meter kürzer. Die Qualifikation zeigte auch, wie nahe die Spitzenspringer gerade beisammen sind. Und die beiden an der Spitze verfügen über ein ähnlich herausragendes Fluggefühl, befinden sich grundsätzlich in bester Form und nehmen die Situation gelassen.

Der Rest der deutschen Springer weiß, was zu tun ist - für einen Abend Wellinger-Fanclub sein

Die Frage ist aber, was in den kommenden 24 Stunden noch geschieht. Wie gut jeder der beiden schläft, wie leicht die Zweifel noch in die Köpfe geraten können, wie gefestigt sie sich vor diesem Samstagabend fühlen. Und auch, wie stark die Gegner sind: Wellinger hat mit dem Finnen Antti Aalto einen eher leichten Gegner erwischt, Kobayashi sowieso: Er bekommt es mit dem Schweizer Gregor Deschwanden zu tun, der allerdings an guten Tagen auch deutlich weiter fliegt als in dieser Bischofshofen-Qualifikation.

Seit Langem hatte der große deutsche Verband, hatten die Trainer und Betreuer in den verschiedenen Sprung-Zentren reichlich Stoff für Gespräche und Tipps, wie man in so einer Situation umgehen muss. 4,6 Punkte liegen zwischen dem Ersten und dem Zweiten, bei der Landung sind dies 2,6 Meter auf einer Schanze mit dem Hill Size von 142-Metern. Wäre es also klug, erstmal abzuwarten, sich eine sichere Basis zu schaffen und dann im zweiten Durchgang auf alles zu setzen? Oder gleich attackieren? Werner Schuster, Österreicher und ehemaliger DSV-Bundestrainer, hat viel Erfahrung mit so einer Situation. Er sagte der Allgäuer Zeitung: "Vielleicht ist es sogar ein Vorteil, dass Andi jetzt als Angreifer reingeht." Also: attackieren statt taktieren.

Das restliche deutsche Team jedenfalls tut inzwischen sein Bestes. Es wandelt sich von einer gut trainierten Skisprung-Equipe in Richtung eines Wellinger-Fanclubs. Gerüchte kamen auf, dass die neuen Fans sich auch beim Finale laut bemerkbar machen würden. Jede Stimme zählt, denn ein Tournee-Sieg 2024 würde dem deutschen Skispringen weiteren Schub verleihen, nicht nur für diese Saison. Im kommenden Winter wird wieder Nordische Skiweltmeisterschaft ausgetragen. Und im Winter darauf folgen die Olympischen Spiele in Mailand.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Entscheidung der Vierschanzentournee
:Der Verspielte und der Spaßmacher

Die 72. Vierschanzentournee hat sich auf ein Duell verdichtet. Im Finale von Bischofshofen stehen sich in Andreas Wellinger und Ryoyu Kobayashi zwei Ausnahmespringer gegenüber, die Brüder sein könnten.

Von Volker Kreisl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: