Langlauf:Wie mit Kolben in den Beinen

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Liebt die ganz langen Läufe: Victoria Carl. (Foto: Vesa Moilanen/dpa)

Präzise und schnell: Langläuferin Victoria Carl erobert den zweiten Platz im Distanz-Weltcup. Ihr Erfolg zeigt auch, dass Trainer Schlickenrieder auf einem guten Weg ist.

Von Volker Kreisl, München

Auch das Langlaufen ist ein komplexer Prozess. Die Fähigkeit, schnell zu werden, hängt von vielem ab. Das Lernen hört nicht auf, und man kann sagen, Victoria Carl hat alles schon gelernt - nur eine Disziplin bereitet ihr noch Schwierigkeiten: Massenstart.

Wenn es da losgeht, und das Läuferfeld in Bewegung gerät. Von überall wird man bedrängt, muss sich behaupten gegen andere Läuferinnen, um eine lukrative Ausgangslage zu bekommen, um seine eigene Lauftechnik umzusetzen. Manche Sekunden hat Carl da schon verloren und musste wichtige Energie aufbringen, um sich wieder nach vorne zu arbeiten. "Das gelingt ihr noch nicht so gut", sagt Bundestrainer Peter Schlickenrieder, "da sind zu viele Einflussfaktoren rechts und links". So ein Läuferfeld hinter sich zu lassen, kann das denn so kompliziert sein?

Platz vier im Gesamtweltcup - die 28-Jährige gehört zu den besten Läuferinnen der Welt

Carl beherrscht ja eigentlich alles. Neben der Lauftechnik sämtliche andere Langlaufdistanzen und in diesem Winter hauptsächlich die langen Strecken, auf denen sie sich wohlfühlt wie ein Schneehase. Plötzlich, im Januar war sie da, nun ist die Saison auch schon wieder zu Ende, und Carl gehört zur Weltelite. Insgesamt ist sie hinter der US-Amerikanerin Jessica Diggins Zweite im Distanzweltcup dieses Winters Zweite geworden, im Gesamtweltcup Vierte. Das ist mit Abstand ihre beste Winterbilanz. Dass sie diese Leistung fast über eine komplette Saison gezeigt hat, sogar ihre bis zuletzt erfolgreichere Teamgefährtin Katharina Hennig übertrumpfte, war überraschend, oder wie Schlickenrieder sagt: "Der Liebe Gott hat Regie geführt." Er hat den gewohnten Saisonplan ein wenig verändert.

Sucht individuelle Lösungen für jeden in seinem Langlaufteam: Chefcoach Peter Schlickenrieder. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Langlauf hängt allgemein wenig von Glück ab. Im Gegenteil - auf gewisse Weise hat dieser Sport es eher mit dem Unglück dieser Zeit zu kämpfen: Seit Längerem schmilzt ihm die Unterlage weg, der gute alte Langlauf durch verschneite Winterwälder fällt wie in dieser Saison zunehmend aus. Da sind Sportlerinnen wie Carl Gold wert, die sich davon nicht entmutigen lassen. Für die deutsche Langlauffangemeinde hatte sie im Teamsprint vor zwei Jahren zusammen mit Hennig einen Olympiasieg errungen. Carl hatte im Schlussakt nach einer langen Aufholjagd pünktlich den rechten Ski nach vorne geschoben, zu Gold.

Viele, auch der Cheftrainer, hatten insgeheim daran gezweifelt, dass dieser Sturm ins Ziel gelingen sollte. Doch hatte die 28-jährige Thüringerin Carl wohl schon mit 26 viel von dem profitiert, was Schlickenrieder systematisch aufgebaut hat: ein Trainingssystem, das den selbstbestimmten Athleten fördert. Dass dies nun so gut geglückt war, vor einer großen Kulisse, war wohl auch ein Grund dafür, dass Schlickenrieder damals vor Glück heulte.

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Victoria Carl ist in diesem Jahr nicht nur die Beste im Team, sie dürfte auch zunehmend als Vorbild für Kolleginnen und jüngere Langlauftalente avancieren. Denn das Skaten, Klassisch laufen - oder wie Carl in Peking: schieben, schieben, schieben, präzise und kraftvoll als hätte sie Kolben in den Beinen -, all das hat sie sich durch gutes Training erarbeitet. Besser gesagt, die drei Rollen in ihr.

Die meisten trainieren in der Halle, Carl fährt auch nach Frankreich und Norwegen

Victoria Carl betreibt einen mächtigen Trainingsaufwand. Ähnlich wie in der von ihr geliebten Langdistanz ist ihre Arbeit abseits der Loipe umfangreich. "Sie geht den weiten und aufwendigen Weg", sagt Schlickenrieder. Und da geht es in die Feinheiten verschiedener Techniken, etwa der Doppelstocktechnik - eine Kunst für sich. Und Carl macht keine halben Sachen. Während andere in die nahe Turnhalle fahren und dort trainieren, sucht Victoria Carl bestimmte Trainingszentren auf, in denen bestimmte Experten arbeiten, die sie etwa in "Ganzkörperstabilisation" und "Beinachsenstabilität" besonders unterstützen. Und weil Carl gelernt hat, dass in dieser und anderen Techniken jeder Zentimeter einer Bewegung, jedes Grad zu viel eines Körperwinkels Auswirkungen hat, investiert sie dafür auch viel Zeit.

Die motivierte Athletin Carl schlüpft zudem häufig in die Rolle der sozialen Carl. Tatsächlich ist sie "schnell da, wenn es jemandem schlecht geht" sagt Schlickenrieder, sie kümmere sich um den Betreffenden, frage nach und bespreche Probleme. Und schließlich, nach gut 15 Jahren in diesem Sport, trat auch schon die gereifte Victoria hervor, jene, die nicht mehr die alten Fehler begeht. Die sich nicht mehr verausgabt bei besonders steilen Anstiegen, die Ruhe bewahrt und sich auf das eigene Können verlassen kann, bei der folgenden Aufholjagd.

Und so steht da eine fertig entwickelte Langläuferin mit viel Erfahrung. Doch fehlt da nicht noch was? Der Massenstart! Jener konfuse Rennbeginn, der ordnungsliebende Akteure in diesem Sport nervt. Und der dann die perfekt austarierte Lauftechnik von einer wie Victoria Carl kurz, aber entscheidend stört. Doch die immer weiterarbeitende Carl, da ist sich Schlickenrieder sicher, wird sich bald überall durchsetzen, auch im Gewühl.

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