Thomas Letsch beim VfL Bochum:Der Trainer, der mit seinem Erfolg nicht gerechnet hat

Lesezeit: 5 min

Der Taktiker: Seit Thomas Letsch Anfang November zur Viererkette zurückgekehrt ist, hat Bochum aus zwölf Spielen 17 Punkte gewonnen und die Abstiegszone verlassen. (Foto: David Inderlied/dpa)

Der frühere Mathelehrer Thomas Letsch könnte Bochum erneut zum Klassenerhalt führen - nachdem er zum zweiten Mal eine Systemumstellung korrigiert hat. Über einen Trainer mit ungewöhnlichem Karriereweg und flexiblen Ideen.

Von Ulrich Hartmann, Bochum

Thomas Letsch weiß nicht mehr, ob Herbert Grönemeyer damals "Bochum" gesungen hat. Ende der Neunzigerjahre auf der Esslinger Burg, "es hat in Strömen geregnet", da hat er ihn live gesehen. "Bestimmt hat er es gesungen", sagt Letsch. "Ist ja sein bestes Lied."

Der Schwabe Letsch ahnte auf der Esslinger Burg nicht, dass er Grönemeyers "Bochum" in seinem Leben später sehr oft und sehr regelmäßig in Bochum hören würde. Dass er es sozusagen beruflich hören würde. Kurz vor jedem Heimspiel im Ruhrstadion kommt es vom Band. Kein Wunder, dass er es sein Grönemeyer-Lieblingslied nennt, denn Letsch, 55, ist ja nun der Trainer vom VfL Bochum.

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Er war Trainer in Salzburg, Aue, Wien und Arnheim gewesen, als die Bochumer ihn im September 2022 ins Ruhrgebiet holten. Er hat das Angebot nicht etwa angenommen, weil er aus Grönemeyers Liedtext gewusst hätte, dass der VfL "mit dem Doppelpass jeden Gegner nass" macht. Letsch kennt sich mit Fußball aus und weiß: Das stimmt so gar nicht. Er arbeitet aber seit bald 17 Monaten daran, dass Grönemeyers im Lied natürlich ironisch gemeinte Zeile vielleicht ein bisschen glaubwürdiger wird. Auch an diesem Sonntag (17.30 Uhr) gegen den angeschlagenen FC Bayern.

Im vergangenen Mai führte Letsch die Bochumer zum Klassenerhalt, nachdem er sie acht Monate zuvor mit nur einem Pünktchen aus sieben Spielen auf dem letzten Platz übernommen hatte. Am 34. Spieltag machten sie den Klassenerhalt perfekt mit einem 3:0-Sieg gegen Bayer Leverkusen. Das war übrigens die bislang letzte Pflichtspielniederlage der jetzt so souveränen Leverkusener. An jenem Samstag Ende Mai öffnete Letsch nach der Pressekonferenz ein Fenster im ersten Stock des Ruhrstadions und empfing von draußen den Jubel Hunderter Fans. Sie sangen seinen Namen. So muss sich Grönemeyer auf der Bühne fühlen.

Als Letsch noch mehr Zeit für Konzertbesuche hatte, spielte er in den Neunzigerjahren als Linksverteidiger in der vierten Liga beim SV Bonlanden und beim TSV Wäldenbronn. Er hatte in Stuttgart ein Studium der Elektrotechnik begonnen, wechselte aber bald auf Lehramt für Sport und Mathematik. Nach erfolgreichem Abschluss und Referendariat übernahm er eine volle Stelle am Gymnasium Plochingen und trainierte nebenher nicht nur die Amateure der Stuttgarter Kickers, sondern auch die Kickers-Profis als Co-Trainer von Marcus Sorg. Letsch war damals nicht nur Lehrer und nicht nur Trainer. Er war beides, und Trainer sogar doppelt.

Aus einer deutschen Schule in Lissabon zu Ralf Rangnick nach Salzburg

Doch wenn man das eine oder das andere richtig machen will, dann muss man sich wohl entscheiden. Und so entschied er sich 2009, obwohl er damals die SG Sonnenhof Großaspach gerade in die vierte Liga geführt hatte, erst einmal nur Lehrer sein zu wollen, und zwar an einer deutschen Schule in Lissabon. Drei Jahre später entschied er sich wieder anders, für den Trainerjob, und folgte Ralf Rangnicks Ruf in den RB-Kosmos nach Salzburg. Sie kannten sich aus der schwäbischen Heimat. Fünf Jahre lang lernte Letsch in Salzburg in verschiedenen Ämtern die RB-Philosophie kennen. "Das war mein Einstieg in den professionellen Fußball", sagt er heute.

In seiner Salzburger U16 spielten damals Xaver Schlager und Konrad Laimer. Letsch absolvierte beim Österreichischen Fußballbund die Ausbildung zum Fußballlehrer und freundete sich im Kurs mit Oliver Glasner an, mit dem er später auch Salzburgs Co-Trainer unter Roger Schmidt war. Als Salzburg 2017 Marco Rose zum neuen Cheftrainer ernannte, verließ Letsch den Verein. Er wäre das selbst gern geworden. "Da war ich enttäuscht", sagt er.

Fortan bot er sein neuerworbenes Fußball-Know-how auf dem freien Markt an. Beim Zweitligisten Erzgebirge Aue 2017 als Nachfolger von Domenico Tedesco klappte das zunächst allerdings gar nicht, man trennte sich nach nur drei Spielen und eineinhalb Monaten wieder. Bei Austria Wien blieb er 2018 zwar zwölf Monate, allerdings ohne durchschlagende Entwicklung. Richtig los ging Letschs Erfolg erst 2020 bei Vitesse Arnheim in den Niederlanden. Er führte eine Mannschaft mit Spielern wie Loïs Openda (heute RB Leipzig), Danilho Doekhi (heute Union Berlin) und Matus Bero (heute VfL Bochum) ins Achtelfinale der europäischen Conference League. Sein Fußball fiel den Verantwortlichen vom VfL Bochum auf, die im September 2022 einen Nachfolger für den suspendierten Trainer Thomas Reis suchten.

Letschs erstes Spiel mit Bochum führte ihn direkt nach Leipzig, in die RB-Welt. Dort traf er Marco Rose wieder. Rose ließ natürlich RB-Fußball spielen. Letsch hingegen probierte mit dem VfL jenes 3-5-2 aus, mit dem er in Arnheim so gute Erfahrungen gemacht hatte. Doch die Bochumer fremdelten mit der Dreierkette. Sie verloren 0:4. Die Systemfrage sollte die Mannschaft und ihren neuen Trainer noch beschäftigen.

Zum Sieg getüftelt: Trainer Thomas Letsch und Bochums Keeper Manuel Riemann nehmen den 1:0-Sieg gegen den VfB Stuttgart mit Schmunzeln zur Kenntnis. (Foto: Malte Ossowski/Sven Simon/Imago)

Zunächst spielten sie die vergangene Saison im abgesicherten 4-3-3-Modus zu Ende. So gelang der Klassenerhalt. Zu Beginn der neuen Saison versuchte Letsch allerdings wieder, die Dreierkette zu implementieren. Doch der Saisonstart misslang völlig: Bochum schied mit der Dreierkette in der ersten Pokalrunde beim Drittligisten Arminia Bielefeld aus. Bochum verlor mit der Dreierkette das erste Saisonspiel beim VfB Stuttgart 0:5. Bochum verlor mit der Dreierkette beim FC Bayern 0:7. Bochum gewann mit der Dreierkette keines der ersten neun Ligaspiele. Ende Oktober war der VfL mit fünf Punkten Drittletzter. Von den 51 Pflichtspielen, die Bochum bis heute unter Letsch absolviert hat, hat er 15 gewonnen - alle 15 mit der Viererkette.

Und so kehrte Letsch Anfang November zur Viererkette zurück. Seither holte die Mannschaft aus zwölf Spielen 17 Punkte und verließ die Abstiegszone. Letsch sagt: "Der Versuch mit der Dreierkette und defensiv mit Fünferkette hat nicht so funktioniert, wie ich mir das vorgestellt hatte." Man habe im 3-5-2 nicht denselben Zugriff auf den Gegner bekommen wie im 4-3-3. "Vor Arnheim", sagt Letsch, "hatte ich nie ein 3-5-2 gespielt, in Arnheim hat sich das aber so ergeben, und es hat dort super gepasst."

Der Vertrag ist bereits bis 2026 verlängert

Wenn man sich mit dem Taktiktüftler und ehemaligen Mathelehrer Letsch unterhält, kann einem vor Zahlen leicht schwindelig werden. Um es kurz zu machen, und für die Fachleute: Bochums Grundausrichtung ist jetzt gegen den Ball ein 4-3-3 und mit Ball ein 4-2-2-2, wahlweise ein 3-2-2-2-1. Letsch sagt: "Es hat sich gezeigt, dass dieses System besser zur Mannschaft passt - ich muss meinen Spielern nichts aufdrücken, ich möchte, dass jeder seine Meinung sagt, und am Ende haben wir einen Konsens."

Letschs erste 16 Monate in Bochum bestanden überhaupt weitgehend aus Einmütigkeit: mit Spielern, Fans und Klubverantwortlichen. Ende November, mitten in der schwierigen Phase, wurde sein Vertrag bereits bis 2026 verlängert. Der Schwabe fühlt sich im Ruhrpott wohl. Er mag die Offenheit der Menschen, war vom Bergbaumuseum begeistert, hat bereits kapitale Staus auf der dafür berüchtigten A40 miterlebt und findet spannend, dass die oscarnominierte Sandra Hüller gelegentlich im Bochumer Schauspielhaus zu sehen ist. Letsch ist auch kulturell interessiert.

Diesen Sommer will er zu Grönemeyer ins Ruhrstadion. Der singt dann an Letschs Arbeitsplatz auch garantiert "Bochum" und über den VfL: "Machst mit dem Doppelpass jeden Gegner nass!" Könnte ein magischer Moment werden im Ruhrgebiet für den Schwaben Thomas Letsch.

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