Nicolas Gonzalez:Einer der kuriosesten Spieler im deutschen Fußball

VfB Stuttgart v Sport-Club Freiburg - Bundesliga

Chancentod, Pechvogel, europaweit umworbenes Toptalent: Nicolas Gonzalez kann alles zugleich sein.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Nicolas Gonzalez vom VfB Stuttgart ist ein Spieler, der Wucht hat und Willen, Temperament und Tempo.
  • Er ist manchmal aber auch ein Chancentod und Pechvogel. Er ist eben in jeder Hinsicht ein Spektakel.
  • Interesse hat Gonzalez bei Inter Mailand und PSV Eindhoven geweckt. Stuttgarts Trainer Tim Walter will ihn aber unbedingt halten.

Von Christof Kneer

Christian Gentner wird dieses Bild nie vergessen. Er sieht das immer noch vor sich, Dennis Aogo läuft zum Freistoß an, schießt, der Ball saust an der Mauer vorbei ins Tor, die Mitspieler jubeln. Christian Gentner reißt es reflexartig auch die Arme nach oben, aber irgendwas stimmt nicht in diesem schönen Bild, Gentner hat das damals schon gespürt. Hatte er da nicht eben einen Schatten hinter der Mauer gesehen, war das nicht einer aus der eigenen Mannschaft? Während Gentner das so dachte, jubelten die Mitspieler um ihn herum immer noch, aber es mischten sich erste Zweifel in den Jubel. Der Schiedsrichter fingerte an seinem Kopfhörer herum, ein inzwischen weltweit gefürchtetes Alarmsignal, und tatsächlich: Das Tor war dann kein Tor. Der Schatten hinter der Mauer hatte es ungültig gemacht.

Seitdem stellt sich jener beachtliche Teil der Welt, der sich mit dem VfB Stuttgart beschäftigt oder gar zu ihm hält, diese eine Frage: Was um Fußballgottes Willen hatte der Stuttgarter Stürmer Nicolas Gonzalez in diesem Moment hinter der Abwehrmauer von Union Berlin zu suchen?

Es würde sich womöglich anbieten, die Hauptperson selbst zu befragen, aber man kann das nicht bringen, aus mindestens zwei Gründen. Erstens tut Gonzalez die Szene bis heute weh, man möchte nicht grundlos in der Wunde rühren. Vor allem aber zweitens: Er weiß es ja selber nicht.

Natürlich kann man die Geschichte des Stuttgarter Abstiegs so zugespitzt erzählen: Der VfB ist abgestiegen, weil im Relegations-Rückspiel bei Union Berlin ein junger Argentinier einen irren Laufweg wählte. Weil Nicolas Gonzalez im Abseits stand, als der Mitspieler Aogo ins Tor traf.

Gonzalez ist in jeder Hinsicht ein Spektakel

Aber natürlich ist das keine faire Version der Stuttgarter Abstiegsgeschichte. Der VfB ist abgestiegen, "weil wir eine Grottensaison gespielt haben", wie der ehemalige Kapitän Gentner immer noch in der ersten Person Plural sagt, obwohl er inzwischen für den Relegationsgegner Union Berlin spielt. Als Gentner damals realisiert hat, dass da tatsächlich ein Schatten hinter der Mauer stand, hatte er sofort den Verdacht: Das kann nur der Nico gewesen sein ...

Gonzalez, 21, ist immer da, wo nichts normal ist, oder vielleicht ist auch nichts normal, wenn er dabei ist. Man weiß das nicht genau. Der Fußballer Gonzalez ist in jeder Hinsicht ein Spektakel, die Kameras wissen immer, dass sie was von ihm bekommen, sie wissen nur nie genau, was. Gonzalez zählt zu den kuriosesten Spielern im deutschen Profifußball, und kurios ist auch, dass er seine noch etwas spezielle, aber doch erkennbar hohe Begabung zurzeit nicht in den Arenen in München oder Dortmund zeigt, sondern etwa im Erzgebirgsstadion in Aue, wo der VfB am Freitag den vierten Zweitliga-Spieltag eröffnet.

Chancentod, Pechvogel, europaweit umworbenes Toptalent: Gonzalez ist alles in einem, und wer's nicht glaubt, dem sei ein Zusammenschnitt des VfB-Spiels gegen St. Pauli vom vorigen Samstag empfohlen.

Selbst wenn Gonzalez Luftlöcher schlägt, sind das die begabtesten Luftlöcher der Welt

Gonzalez, gerade erst zurück von den Panamerika-Spielen mit Argentiniens U 23, wird für Mario Gomez eingewechselt, vom ersten Moment an verändert er das bis dahin eher gemütliche Stuttgarter Offensivspiel. Er rackert, rennt und rast herum, und dann kommt plötzlich dieser lange Ball angeflogen, Gonzalez pflückt ihn in hohem Tempo aus der Luft herunter, rast weiter, macht einen Haken, der Ball gehorcht ihm widerspruchslos und dann ... ja, dann ist leider die Schussbahn frei.

Gonzalez und ein freier Weg zum Tor: Das war zuletzt keine so gute Kombination. Manchmal entstanden dann Bilder, die so bizarr waren wie ein Spieler, der hinter der Mauer steht. Gonzalez will gegen St. Pauli also mit rechts schießen, er holt aus und trifft: die Luft. Den Ball hatte er sich zuvor mit links selber weggespitzelt.

Natürlich war das der Moment, in dem die Zuschauer wieder stöhnten: Noi, der Gonzalez schon wieder! In der Abstiegssaison gab es mal ein Spiel gegen Bremen, da hätte man einen Clip mit dem Titel "Die irrsten vergebenen Chancen der Fußballgeschichte" zusammenschneiden können, dabei war das einfach nur Gonzalez zwischen der 80. und 90. Spielminute.

Am vorigen Wochenende gegen St. Pauli kam dann übrigens noch ein weiterer Ball angeflogen, es war eine Flanke aus dem Halbfeld, schwer zu nehmen, aber nicht zu schwer für Gonzalez. Er hat aus der Flanke ein herrliches Tor gemacht, es war das 2:1, das Siegtor in der 90. Minute.

Gonzalez hat Wucht und Willen, Temperament und Tempo

Das Erstaunliche an diesem Spieler ist, dass ihm immer noch einiges daneben geht und ihn trotzdem alle super finden. Auch wenn er Luftlöcher schlägt, sind das die begabtesten Luftlöcher der Welt. Drei Trainer hatte der VfB in der Abstiegssaison, bei allen hat Gonzalez gespielt, jeder Trainer merkt ja, was dieser Spieler einer Elf geben kann. Gonzalez hat Wucht und Willen, Temperament und Tempo, und wenn er sich in seiner rührenden Hyperaktivität nicht gerade selber über den Haufen rennt, dann hat er auch eine gute Technik.

Auch Tim Walter, Stuttgarts aktueller Coach, hat sich schnell in diesen Kerl verguckt, "der Bursche ist gut, der bleibt da!", hat er früh verfügt. Für seinen Ballbesitzfußball braucht Walter diese Zuspitzung im Sturm besonders dringend, und als Trainer, der sich auch als Ausbilder versteht, reizt ihn Gonzalez besonders. Dieser Spieler ist erkennbar noch nicht fertig, und Walter hofft nun, dass er an der Vervollständigung dieses Talents auch weiterhin arbeiten darf. Gonzalez hat inzwischen entferntes Interesse bei Inter Mailand und konkretes Interesse beim PSV Eindhoven geweckt, "unsere finanzielle Schmerzgrenze ist aber hoch", sagt Walter, "sehr hoch".

Mit Argentiniens U 23 hat der Spektakelspieler Gonzalez bei den Panamerika-Spielen übrigens die Goldmedaille gewonnen, aber natürlich nur, nachdem er in der Vorrunde mit Rot vom Platz geflogen war.

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