Usain Bolt siegt über 100 Meter:Goldlauf unter zuckenden Blitzen

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Usain Bolt: Blitzpose muss sein (Foto: AFP)

Usain Bolt gewinnt das 100-Meter-Finale von Moskau vor Justin Gatlin und Nesta Carter in 9,77 Sekunden. Der Regen lässt keinen glanzvolleren Auftritt zu. Aber das Problem der Sprint-Fraktion ist ohnehin ein ganz anderes: die Vertrauenskrise in der eigenen Gemeinde.

Von Thomas Hahn, Moskau

Acht Männer haben sich im großen Luschniki-Stadion aufgestellt. Sie blicken die lange, unverstellte Bahn aus Kunststoff hinunter, die vor ihnen liegt. Dort hinten, in 100 Metern Entfernung, ist eine weitere Linie. Wer sie als Erster erreicht, ist der schnellste Mann der Welt. So geht das Spiel an diesem Abend, in diesem Finale bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Moskau. Die Männer machen sich bereit. Sie schütteln noch mal ihre Beine aus. Sie ducken sich in die Startblöcke. Sie verharren. Sie warten. Sie hören den Schuss und schnellen nach vorne. Trommelnde Schritte auf himmelblauem Grund.

Farben fliegen durch den Regen, die Leute auf den Tribünen schreien. Einer der Männer löst sich aus der Reihe der anderen, nur einer kann ihm noch halbwegs folgen. Sie setzen sich ab, aber der größere Sprinter ist voraus. Und nach ein paar Augenblicken erreicht er als Erster die Linie. Usain Bolt aus Jamaika breitet die Arme aus. Und die Uhr sagt, dass er 9,77 Sekunden für dieses kurze, schnelle Wettrennen gebraucht hat, das er vor Justin Gatlin (USA/9,85) und Nesta Carter (Jamaika/ 9,95) gewonnen hat und das im Grunde gar kein richtiges Wettrennen war.

Es gilt das gesehene Bild, zumindest solange, bis sich eines Tages herausstellt, dass hinter den Bildern von den Männern auf der Bahn doch noch ein paar ganz andere Geschichten liegen. Das ist die Vorgabe, welche die Leichtathletik ihren Zuschauern macht, und die Zuschauer jubeln, was bleibt ihnen auch anderes übrig?

Doping ist das große Thema gewesen vor dieser WM, vor allem im Sprint, nachdem vier hochprominente Kurzstreckler in diesem Sommer positiv auf verbotene Substanzen getestet worden waren, unter anderem der amerikanische Usain-Bolt-Gegenspieler Tyson Gay, der immer noch als Erster der Weltjahresbestenliste im 100-Meter-Lauf notiert ist - obwohl Gay seine 9,75 Sekunden bei den US-Meisterschaften in Desmoines im Juni erzielt hat, nach seinem positiven Trainingstest vom 16. Mai auf eine bisher nicht genannte Substanz. Die Doping-Diskussion hatte nicht durchgängig das gleiche Niveau, und manchmal hatte man den Eindruck, als verstünden die Leute gar nicht richtig, dass es sich bei den einzelnen prominenten Fällen um sehr unterschiedliche Fälle handelt.

Aber eines hat man aus den Debatten durchaus lernen können: Die Verunsicherung ist groß in der Leichtathletik-Gemeinde. Der Weltverband IAAF ließ am ersten WM-Samstag seinen Chefmediziner Gabriel Dollé über den umfassenden IAAF-Anti-Doping-Kampf mit Bluttests bei allen Startern und ausgeklügelter Bio-Pass-Strategie berichten. Die IAAF-Funktionäre versuchten ihre Zuhörer davon zu überzeugen, dass die vielen Positiv-Tests ein Zeichen für die Wehrhaftigkeit des Sports seien. "Das System funktioniert", sagte der Stabhochsprung-Weltrekordler und IAAF-Vizepräsident Sergej Bubka. Und wenn es um Bolt ging, legte sich Präsident Lamine Diack sogar fest: "Bolt ist sauber." Trotzdem fehlt vielen der Glaube. Der deutsche Weitspringer Christian Reif sagte über Bolt: "Ich kann nicht sagen, dass er gedopt ist. Ich kann nur Vermutungen anstellen - und die teilen komischerweise sehr viel Menschen."

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Der Wattenscheider Sprinter Julian Reus, in Moskau mit 10,27 genauso wie der Leipziger Martin Keller (10,32) im Vorlauf gescheitert, sagte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum oft und immer negativ getesteten Bolt: "Wenn man eins zu eins zusammenzählen kann und von den Top Ten neun positiv getestet worden sind, schwebt da immer eine kleine dunkle Wolke drüber." Leichtathleten misstrauen Leichtathleten, dem Testsystem, den Reden ihrer Funktionäre. Das ist die Lage im olympischen Kernsport.

Aber Usain Bolt rennt unbeeindruckt voraus. Er wirkt ein bisschen ernster als sonst, er hat die Sommerkrise schließlich auch zu spüren bekommen. Es gab viele Fragen, denen sich Bolt in seiner unverbindlichen Art stellte. Er verwies auf sein unbestrittenes Talent, mit dem er die 200 Meter schon als 17-Jähriger unter 20 Sekunden schaffte, er sagte: "Ich weiß, dass ich sauber bin." Ehe er im Guardian ankündigte, in Moskau Weltrekord laufen zu wollen, unter 9,58 Sekunden also. "Klar hängt das von der Bahn ab, vom Wetter, aber wenn ich meine Technik rüberbringe und einen guten Start mache, ist alles möglich", sagte er, "ich will schnell laufen und der Welt wieder zeigen, was ich kann."

Er brauchte eine besondere Zeit, um wieder richtig umjubelt zu werden, so sah er das selbst. Denn viel Gegenwehr war ja nicht mehr zu erwarten ohne Gay und ohne seinen Trainingspartner Yohan Blake, den verletzten Titelverteidiger. Justin Gatlin hatte Bolt Anfang Juni in Rom bezwungen, 9,94 zu 9,95. Aber das war ja zu einer ganz anderen Zeit im Sommer. Und auch wenn Gatlin seine 9,99 in der Vorrunde lässig "als 50-Prozent-Leistung" bezeichnete und im Halbfinale kaum mehr Mühe hatte mit seinen 9,94 Sekunden vor Nesta Carter (9,97) - der Favorit fürchtete sich nicht.

Bolt war souverän in der karibikartigen Moskauer Schwüle. 10,07 in der ersten Runde - es sah aus, als trabe er. 9,93 im Halbfinale, mit gebremster Kraft. Lächelte er nicht sogar im Rennen? Der ebenfalls qualifizierte Amerikaner Mike Rodgers (9,93) starrte ihn vor der Ziellinie demonstrativ von der Seite an, Bolt ging darüber hinweg und sagte später, das habe er gar nicht als Provokation empfunden: "Wir sind cool. Wir haben gelacht." Flüchtig klopfte er dem Chinesen Peimeng Zhang auf die Schulter, der als Fünfter im zweiten Halb- finale mit 10,00 einen Landesrekord aufgestellt hatte, und rauschte weiter.

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Er ist der schnellste Mann der Welt - und der beste Sprinter der Geschichte: Seit Jahren dominiert Usain Bolt die kurzen Strecken der Leichtathletik, in London holt er drei Medaillen. Doch auch Rückschläge musste der Jamaikaner bereits überwinden.

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Ein Gewitter zog auf. Blitze zuckten am Nachthimmel, der Wind lebte auf und es begann zu regnen. Dann stellten sich die acht Finalisten auf. Usain Bolt und die Komparsen seines nächsten Triumphes.

© SZ vom 12.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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