Peter Gojowczyk bei den US Open:"Ich bin gern mein eigener Herr"

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"Tennis war immer mein Leben": Peter Gojowczyk, 34. (Foto: Seth Wenig/dpa)

Peter Gojowczyk ist vor zwei Wochen als Qualifikant nach New York gekommen, nun steht er im Achtelfinale - und hat auch dort Chancen, weil er in der Lage ist, Probleme ganz ohne Hilfe zu lösen. Am Samstag schafft ein zweiter deutscher Qualifikant den Einzug in die zweite Woche.

Von Jürgen Schmieder, New York

Allzu viel Zeit wollte Peter Gojowczyk dann doch nicht verbringen in diesem stickigen Interview Room 3 in den Katakomben des Arthur Ashe Stadiums. Er hatte doch noch einiges vor an diesem Tag, obwohl seine primäre Arbeit längst erledigt war - er hatte Henri Laaksonen (Schweiz) auf dem Grandstand mit 3:6, 6:3, 6:1, 6:4 besiegt und das erste Mal in seinem Leben das Achtelfinale eines Grand-Slam-Turniers erreicht. Nun also, nach dem virtuellen Treffen mit Reportern: zweite Massage, noch einmal dehnen, essen - vor allem aber wollte er raus ins größte Tennisstadion der Welt. "Ein paar Punkte gucken", wie er sagte, denn draußen spielte schließlich der nächste Gegner.

Das ist nicht, wie allgemein erwartet, der griechische Tenniskünstler und notorische Toilettenbesucher Stefanos Tsitsipas, sondern Carlos Alcaraz (Spanien), 18 Jahre jung, der 6:3, 4:6, 7:6 (2), 0:6, 7:6 (5) gewann. Gojowczyk dürfte die Vorhand bemerkt haben, die Alcaraz so ansatzlos schwingt, wie John Wayne einst den Revolver gezogen hat. Ein unangenehmer Gegner, sicherlich, aber Gojowczyk sagt über sich: "Wenn es bei mir klickt, dann bin ich ziemlich eklig zu spielen."

Kann selbst nicht glauben, dass er gerade den großen Favoriten Stefanos Tsitsipas geschlagen hat: der Spanier Carlos Alcaraz. (Foto: Seth Wenig/dpa)

Es ist erstaunlich, was Gojowczyk gerade in New York erlebt. Vor zwei Wochen war er gekommen, als Qualifikant. In der ersten Quali-Runde lag er gegen Veteran Lukas Rosol (Tschechien) bereits einen Satz hinten (es werden nur zwei Gewinnsätze gespielt), den zweiten gewann er im Tie-Break. Er schaffte den Sprung ins Hauptfeld, besiegte den an 23 gesetzten Ugo Humbert (Frankreich) und eine Runde später Dusan Lajovic (Serbien) jeweils in fünf Sätzen - und verlor stets den ersten Satz, wie nun auch gegen Laaksonen.

Kein Trainer, kein Physiotherapeut - Gojowczyk muss selbst Lösungen finden

"Ich habe zu Beginn des Spiels versucht, erst einmal in die Ballwechsel zu kommen und nicht gleich auf den Punktgewinn zu gehen. Er hat mich aber mit dem kurzen Slice unter Druck gesetzt, dann ging der Aufschlag flöten", sagte Gojowczyk danach, fürs Einzelgespräch mit der SZ war er in den nicht ganz so stickigen Interview Room 4 gewechselt. In solchen Moment einer Partie blicken Tennisspieler gewöhnlich zum Trainer und erhoffen sich Aufmunterung oder vielleicht sogar einen kleinen Hinweis (auch wenn der verboten wäre), wie es besser laufen könnte. Gojowczyk hat aber weder Trainer, Physiotherapeut noch andere Begleiter dabei, er muss also stets selbst die Lösung finden - und das ist gar nicht mal so schlimm. "Ich bin gern mein eigener Herr", sagt er, und das war er auch gegen Laaksonen.

Er spielte vom zweiten Satz an aggressiver, oder, wie er sagte: "Ich habe seinen giftigen Slice verhindert, bin selbst häufiger ans Netz und habe versucht, die Punkte schneller zu beenden. Das hat dann ganz gut geklappt." Ein Problem gab es freilich noch am Ende der Partie: "Ich wusste, ich serviere für meine erste Achtelfinal-Teilnahme. Ich dachte nur: Bitte, bitte, bitte, vier erste Aufschläge - und dann kommt kein einziger!" Er musste zwei Breakbälle abwehren, ehe er sich den ersten Matchball erspielte: "Und dann mache ich ein Ass - puh!"

Achtelfinale klingt schon ein bisschen nach Endspiel

Sie haben die Preisgeldstruktur geändert bei den US Open, der Sieger und die Siegerin bekommen in diesem Jahr weniger (allerdings immer noch jeweils 2,5 Millionen Dollar), dafür gibt es mehr für die ersten Runden. Gojowczyk erhält für den Einzug ins Achtelfinale 265 000 Dollar ("Das ist schon ein krasser Scheck"), doch daran will er erst einmal nicht denken, er hat ja noch was vor in New York. Dritte Runde klingt ja wie Zugabe in der Achterbahn. Er steht in der zweiten Woche, und Achtelfinale klingt schon ein bisschen nach Endspiel.

Dieses Achtelfinale erreichte auch Oscar Otte, der in der Qualifikation drei Mal den Entscheidungssatz benötigte und der erst den an Rang 20 gesetzten Italiener Loranzo Sonego besiegte und danach Denis Kudla aus den USA. Am Samstagmorgen gewann er auf dem Grandstand gegen Andreas Seppi (Italien) 6:3, 6:4, 2:6, 7:5 und feierte den bislang größten Erfolg seiner Karriere mit einem Purzelbaum. "Auch wenn das komisch klingt: Ich mag es, wenn viele Leute gegen mich sind", hatte er vor der Partie gesagt - und dann festgestellt, dass mittlerweile ziemlich viele Zuschauer für ihn sind wegen dieser erfrischenden Spielweise, aber eben auch wegen dieser Kölschen Einstellung, das Leben und auch sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen.

Oscar Otte gewann seine Drittrundenpartie gegen den Italiener Andreas Seppi und steht nun im Achtelfinale der US Open. (Foto: Al Bello/AFP)

Laut Männerverband ATP gab es seit dem Start der statistischen Erfassung im Jahr 1983 nur ein Grand-Slam-Turnier, bei dem zwei Qualifikanten aus einem Land das Achtelfinale erreichten: Chris Garner und Kelly Jones (USA) bei den Australian Open 1993. Für Leute wie Otte und Gojowczyk sind diese US Open wie ein Sport-Computerspiel: Man besiegt Gegner, und dann darf man in immer größeren Stadien antreten. Gegner von Otte im Achtelfinale ist der italienische Aufschlag-Kanonier Matteo Berrettini, und diese Partie dürfte im Louis Armstrong Stadium stattfinden, die mit einem Fassungsvermögen von 14.000 Zuschauern zweitgrößte Arena auf der Anlage in Flushing Meadows.

Gojowczyk wird nun gegen Alcaraz spielen, vielleicht sogar im Arthur Ashe Stadium, mit mehr als 22.000 Plätzen die größte Tennisarena der Welt. Die Dinge sind dort anders als in anderen Stadien; es ist lauter, größer, und beim Aufschlag sieht der Spieler zum Beispiel nicht, was er auf Court 8 (Gegner, Zaun, Tribüne, Himmel) sieht, sondern er sieht da: Gegner, Tribüne, Loge, Anzeigetafel, US-Flagge, Dach, Flutlicht. Viele Spieler, die ihre erste Partie in dieser monströsen Arena absolviert hatten, berichteten danach davon, dass das Match vorbei gewesen sei, ehe sie sich daran gewöhnen konnten.

Peter Gojowczyk dürfte das nicht passieren; wenn er eines bewiesen hat bei den US Open: Er kann sich schnell und ohne Hilfe den Gegebenheiten anpassen.

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