US Open:Revoluzzerin im Blümchenkleid

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Venus Williams steht mittlerweile deutlich im Schatten ihrer jüngeren Schwester Serena. In New York trifft sie in Runde zwei auf die Deutsche Julia Görges. (Foto: AFP)

Venus Williams war stilprägend für das Frauentennis, weil sie die Bälle über das Netz prügelte. Mit 36 Jahren präsentiert sie sich in New York als Gesamtkunstwerk.

Von Jürgen Schmieder, New York

Modisch betrachtet sind wie immer einige Offenbarungseide zu bestaunen bei den US Open. Der Trend zu Pink bei 100 Prozent der männlichen Spieler zum Beispiel, oder die komplett in der Farbe Telemagenta gehaltenen und damit vom dritten Satz an perfekt zur Gesichtsfarbe passenden Klamotten von Stanislas Wawrinka. Oder auch das Outfit von Sascha Zverev, das so eigentlich nur Andre Agassi auf der Love Parade tragen darf.

Venus Williams dagegen präsentierte sich mal wieder als Gesamtkunstwerk. Sie trug ein Blumenkleidchen aus der Kollektion Prism ihrer Bekleidungsfirma, dazu rote und orange und gelbe Haarflechten sowie eine Halskette mit goldenem Amulett. Es wäre freilich eine Frechheit, Williams auf Äußerlichkeiten zu reduzieren.

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Da saß sie, nach dem mühevollen und fehlerbehafteten 6:2, 5:7, 6:4 gegen Katerina Koslowa (Ukraine), in den Katakomben des Arthur Ashe Stadiums, ganz gelassen. Die Dreadlocks hatte sie geöffnet, sie spielte hin und wieder mit den roten und orangen und gelben Strähnen und sagte philosophisch anmutende Sätze von wunderbarer Eleganz. "Ein Sportler strebt nach Perfektion und erreicht sie nie. Er kann respektieren, was er erreicht hat - und erkennt zugleich, was er noch nicht geschafft hat." Oder diesen: "Ich spiele gerade zu gut, als dass ich ans Aufhören denken könnte."

Williams will trotz Autoimmunerkrankung weiterspielen, so lange es geht

Williams, 36, hat in dieser Saison ein Turnier gewonnen (in Kaohsiung/Taiwan), ein Endspiel erreicht (Stanford/Kalifornien) und das Halbfinale in Wimbledon, dazu gab es Silber im Mixed bei den Olympischen Spielen in Rio. In der Weltrangliste wird sie auf dem sechsten Rang geführt. Diese Leistung ist umso erstaunlicher, weil bei ihr vor vier Jahren das Sjögren-Syndrom diagnostiziert wurde, eine chronische Autoimmunerkrankung, die zu Gelenk- und Muskelschmerzen und permanenter Müdigkeit führt.

Sie hätte aufhören und Klamotten entwerfen können - dass sie Talent dazu hat, ist an den von ihr entworfenen Outfits zu sehen. Doch sie will weiterspielen, so lange es geht. "Ich liebe die Arbeit. Ich liebe den Druck. Ich liebe, dass es um was geht", sagt sie nun in New York. Da sitzt einem kein Teenager gegenüber, der muffelig ins Mikrofon schweigt oder gelangweilt Floskeln durch den Raum schleudert, sondern eine erwachsene Frau, deren Augen ein paar Sachen gesehen haben und die deshalb tatsächlich Sätze von Belang sagen kann.

So was ist selten bei diesen US Open. Man muss Venus Williams und ihre Karriere als Tennisprofi in einem größeren Zusammenhang sehen und dabei nicht nur die 49 Einzeltitel, den Rekord von 72 Teilnahmen an Grand-Slam-Turnieren und die insgesamt knapp 31 Millionen Dollar Preisgeld betrachten.

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Sie gilt noch immer als stilprägend für das Frauentennis, weil sie Bälle nie über das Netz schubste, sondern prügelte. Ihr Vater Richard tanzte im Jahr 2000 nicht wegen ihrer Schwester Serena, sondern wegen ihr auf dem Dach der Kommentatoren-Kabine in Wimbledon und thematisierte damit, wie schwer es die schwarze Familie im weißen Sport hatte.

Sie war im Jahr 2002 die erste Afroamerikanerin, die auf Platz eins der Weltrangliste stand. Der Angriff aufs Tennis-Establishment, die sportliche Revolution, die gesellschaftlichen Debatten - das alles begann mit Venus.

"Die US Open sind so New York", sagt sie nun - und es wirkt nicht wie die übliche Koketterie, diese Stadt irgendwie klasse finden zu müssen: "Es ist schnell, intensiv, lebhaft, du musst andauernd kämpfen. Es ist ja schon eine Herausforderung, überhaupt auf die Anlage zu kommen." Sie ist zum 18. Mal dabei - im ersten Match waren kraftvolle Gewinnschläge ungefähr gleich oft zu bestaunen wie groteske Fehler. Wirklich souverän wirkte sie selten.

Julia Görges wirkt vor dem Duell mit Williams furchtlos

Sie trifft in der zweiten Runde am Donnerstag auf Julia Görges, die beim 6:3, 6:2 gegen die Belgierin Yanina Wickmayer auf einem Nebenplatz deutlich lockerer und geschmeidiger wirkte als Williams später in der großen Arena. Görges ist deshalb ebenfalls der Meinung, dass ihre Leistungen derzeit zu stabil sind, als dass sie sich bald aus dem Turnier verabschieden müsste. "Ich bin jetzt in einem Alter, in dem man langsam mal Spaß haben sollte bei dem, was man tut", sagte sie nach ihrer Partie: "Ich entwickle mich wieder in die richtige Richtung - und endlich trägt die Arbeit auch Früchte."

Görges, 27, wirkt furchtlos vor diesem Duell. "Es freut mich, in New York gegen eine Amerikanerin zu spielen, die einen ganz guten Nachnamen hat", sagt sie. Görges und Williams haben sich bereits getroffen bei diesem Turnier, sie haben sich im Spielergarten über die Olympischen Spiele in Rio und Urlaub in Deutschland unterhalten. "Ich habe sie angesprochen und zu ihrem wunderbaren Kleid gratuliert", sagt Görges: "Aber ich finde mein Outfit auch sehr schön."

Eine Aussage, die durchaus als Metapher für die sportliche Leistungsfähigkeit interpretiert werden darf. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass Görges' Kombination aus fliederfarbenem Tank Top und weißem Minirock ebenfalls ein Gesamtkunstwerk ergibt.

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