Tennisprofi Coco Gauff:Am Limit

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Versucht sie die Bälle zu hypnotisieren? In New York scheinen sie Coco Gauff jedenfalls zu gehorchen. (Foto: Angela Weiss/AFP)

Coco Gauff führt bei den US Open den "Summer of Coco" fort: Spätestens nach dem Aus von Titelverteidigerin Iga Swiatek ist die Amerikanerin die Favoritin auf den Turniersieg, alles andere würde als Enttäuschung interpretiert. Wie viel Druck kann eine 19-Jährige aushalten?

Von Jürgen Schmieder, New York

Es ist gut, dass es Leute wie Courtney Ngyuen gibt, die im Zirkus der US Open stets die Ruhe behält. Man kennt die Journalistin der Frauentour WTA aus der Netflix-Serie "Breaking Point": Sie ist die Person, die einem erklärt, was da eigentlich passiert und wie Tennis funktioniert. Kann also vorkommen, dass ein paar Reporter ausflippen im Presseraum, weil es eine Überraschung geben könnte; die Regel ist aber: So lange Courtney ruhig bleibt, sollte man das auch tun. Was aber, wenn sie anfängt, auf dem Stuhl zu wackeln und hin und wieder sogar aufzustehen? Dann droht laut Courtney-Seismograf ein Erdbeben der Stärke acht.

Die drohende Katastrophe: Coco Gauff lag zurück gegen Elise Mertens, wie schon in der ersten Runde gegen Laura Siegemund war sie bei dieser dritten Partie dem Scheitern nahe; und mit "Scheitern" ist schon alles erklärt: Alles außer sieben Siege und ein Triumph bei den US Open würde als gewaltige Enttäuschung für Gauff gewertet, nach den Ergebnissen zuletzt reden sie alle vom "Summer of Coco", der nun mit ihrem ersten Grand-Slam-Titel veredelt werden soll. Nein, veredelt werden muss.

Gauff gewann die Wackel-Partien, und dann legte sie im zum Megalomania-Duell stilisierten Match am Sonntag nach: Tennismami Caroline Wozniacki gegen Teenager Gauff. Wieder waren es drei packende Sätze, und wieder ruckelte Courtney - aber wieder obsiegte am Ende Gauff: 6:3, 3:6, 6:1. Nach dem Matchball: ein Serena-Williams-Jubelschrei samt Preisboxer-Pose, und wer ganz genau hinsah, der dürfte bemerkt haben, dass in dieser Freude auch sehr viel Erleichterung steckte. "Sie wurde einfach nicht müde; da war klar, dass ich sie über Ausdauer nicht würde schlagen können", sagte sie später: "Man überlegt, wie man sein Level irgendwie noch ein Stück heben kann - ich habe dann einfach besser gespielt."

Die Veranstalter bevorteilen Gauff, buchen sie auf den größten Platz - ja, was denn sonst?

Alles, wirklich alles, ist darauf ausgelegt, dass Gauff triumphiert, etwa die Positionierung der Pappaufsteller zwischen den beiden größten Stadien auf der Anlage: Fans können sich neben einer lebensgroßen Coco und dem Neon-Schriftzug "Spectacular Awaits" fotografieren lassen; daneben: Carlos Alcaraz und dann Naomi Osaka und Rafael Nadal, die gar nicht teilnehmen.

Oder die Ansetzung der Partien: Gauff ist an sechs gesetzt, spielte bislang aber stets im Arthur Ashe Stadium; zwei Mal gar am Abend. Branchenführerin Iga Swiatek wurde dafür tagsüber ins Louis Armstrong Stadium geschickt. Oder die Debatte über Equal Pay: Sie feiern 50. Jubiläum bei den US Open, also dass Männer und Frauen hier die gleichen Preisgelder kriegen (je drei Millionen für die Sieger) - die Diskussion: In Cincinnati kürzlich bekam Gauff für den Turniersieg 454 000 Dollar, Novak Djokovic mehr als eine Million - was ist da los?

Jelena Ostapenko hat die topgesetzte Iga Swiatek aus dem Weg geräumt - aber ist das für ihre nächste Gegnerin Coco Gauff wirklich eine gute Nachricht? 2017 hat die Lettin mit gerade mal 20 die French Open gewonnen. Danach durchschritt sie Täler - und ist jetzt besser denn je. (Foto: Elsa/Getty)

Gauff muss sich zu alldem äußern, und sie tut das mit einer erstaunlichen Mischung aus Abgeklärtheit und jugendlicher Frische. Über die wacklige Partie gegen Mertens: "Wenn überhaupt, dann zeigt so was doch nur, dass ich mich nicht kampflos ergebe." Nach dem Erfolg gegen Wozniacki darüber, dass sie Ratschläge ihres neuen Beraters Brad Gilbert offenbar ignorierte: "Er sagte, dass ich geduldiger sein müsse; ich wollte jetzt wirklich nicht so viele Gewinnschläge setzen, aber das hat sich irgendwie so ergeben. Was soll ich machen?" Über Gilbert allgemein: "Er hat das Gemüt eines Zehnjährigen, er ist überhaupt voll schrullig: Mag keine geraden Zahlen, Uhrzeit ist stets: 1.53 Uhr. Und er steht jeden Tag um 3.30 Uhr auf."

Gauffs nächste Gegnerin: Jelena Ostapenko, Paris-Gewinnerin von 2017

Über Gegnerin Jelena Ostapenko, die mit ihrer aggressiven Alles-oder-nichts-Spielweise Swiatek am Sonntag regelrecht vom Platz katapultierte, sagt Gauff: "Sie ist entweder heiß - oder eiskalt. Wenn sie heiß ist, haut sie lauter Gewinnschläge raus." 31 schaffte die Lettin beim 3:6, 6:3, 6:1 gegen Swiatek, die meisten davon mit der Vorhand, und die meisten davon von Beginn des zweiten Satzes an: "Da musst du im Match bleiben, die Gratispunkte, von denen es mehr geben könnte, mitnehmen", analysierte Gauff.

Was muss das für ein Druck sein, der auf dieser erst 19 Jahre alten Frau lastet? Wenn alle, wirklich alle auf einen schauen; und alles, wirklich alles außer ein Triumph - und dabei bitteschön immer locker, lustig und höflich sein - eine Enttäuschung wäre? Ach ja: Doppel mit Landsfrau Jessica Pegula spielt sie auch noch, auf dem Grandstand, der als Court mit der besten Stimmung gilt. Jeder Tag ist Coco-Tag, so soll das weitergehen bis zum Sonntag - das Doppel-Finale (Laura Siegemund mit Partnerin Vera Swonarewa wären mögliche Endspiel-Gegnerinnen) findet vor dem Männer-Einzel-Finale statt.

Ashleigh Barty und Naomi Osaka sind früh ausgestiegen, ihnen ging der Zirkus auf die Nerven

Kurz zur Erinnerung: Die Australierin Ashleigh Barty hat im März 2022, als Nummer eins der Welt und im Alter von nur 26 Jahren, ihre Karriere beendet. Die Japanerin Naomi Osaka, viermalige Grand-Slam-Siegerin, hatte noch vor ihrer Babypause immer wieder gesagt, wie sehr sie das Gedöns um den Sport herum belaste. Nun spricht die Weltranglisten-Erste Swiatek über Sinn und Unsinn der extrem späten Partien im Tennis (sie hält sie für großen Unsinn), über Reisestrapazen, Hasskommentare in Sozialen Medien und darüber, dass Szenen aus der Netflix-Doku über sie aus dem Zusammenhang gerissen seien.

Heimspiel gewinnen - und dann zurücktreten: Diesen Traum erfüllte sich Ashleigh Barty mit gerade 26 Jahren nach dem Triumph bei den Australian Open 2022. (Foto: Tennis Australia/Getty)

Gauff äußert sich bislang dazu nicht, sie verhält sich, wie man sagt: professionell. Natürlich könnte man sagen: Man wählt diesen Beruf doch freiwillig; es ist ein privilegiertes Leben, das man als Profi führt; es gibt eben Opfer, die man bringen muss, will man die oder der Beste auf der Welt sein. Man kann aber auch fragen: Ist auf der Suche nach Umsatz-Maximierung ein Limit erreicht, vielleicht sogar längst überschritten worden? Das Turnier der besten acht Spielerinnen am Jahresende dürfte nach Saudi-Arabien vergeben werden; auch darüber wird in New York heftig debattiert.

Die Spieler und Spielerinnen äußern sich mittlerweile recht deutlich, dass es so nicht weitergehen könne - doch sie werden nicht wirklich gehört

Tennis ist in keinem Land dieser Welt Nationalsport - es ist aber in vielen Ländern in den Top fünf. Bei den Männer kommen die 20 besten Spieler der Welt aus 15 verschiedenen Nationen, bei den Frauen sind es elf Länder. Die Akteure sind Nomaden, weil jede Tennisnation den Fans daheim mindestens ein Turnier bieten will; und es braucht Geschichten, Rivalitäten, Drama, damit Leute einschalten oder Tickets kaufen.

Bitte nicht die Fans vergessen: Coco Gauff signiert nach dem Training Bälle. (Foto: Javier Garcia/Shutterstock / Imago)

Die Akteure sind nicht nur Sportler, sondern Marken und Charaktere, die nicht nur auf dem Platz, sondern auch abseits davon unterhalten - bei Gauffs Training sehen Hunderte Fans zu und wollen danach Autogramme und Fotos. Eine der Fragen, die Gauff auf der Pressekonferenz vor den US Open gestellt wurde: "Sie sind nun ja Sprecherin für eine Nudel-Firma. Was ist denn Ihre Lieblings-Pasta?"

Die Spieler und Spielerinnen äußern sich mittlerweile recht deutlich, dass es so nicht weitergehen könne mit diesem Immer-noch-mehr-Denken, doch wie die mögliche Vergabe des Saisonfinales zeigt: Sie werden nicht wirklich gehört. Vielleicht ist das Ruckeln von Courtney Nguyen auch der Hinweis darauf, dass es bald rumpeln wird im Frauentennis. Bis dahin gilt die Oliver-Kahn-Regel: weiter, immer weiter. Für Gauff bedeutet das: Doppel mit Pegula am Montag auf dem Grandstand; Einzel am Dienstag, im Arthur Ashe Stadium, abends, gegen Ostapenko.

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