Aus von Trainer Fischer beim 1. FC Union:"Es fühlt sich richtig an"

Lesezeit: 4 Min.

Urs Fischer geht, damit Union sich von seiner Negativserie erholen kann. Doch wer wird nun langfristig neuer Coach in Köpenick? (Foto: Ronny Hartmann/AFP)

Nach fünf beispiellos erfolgreichen Jahren trennen sich Trainer Urs Fischer und Union Berlin. Der Schweizer hofft nach 14 Spielen ohne Sieg, mit seiner Demission in Köpenick eine Wende zum Besseren auszulösen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Niemand wird sagen können, dass sie es nicht bis zum letzten Moment versucht hätten. Am Mittwochvormittag aber war die Trennung doch Fakt: Kurz vor zehn Uhr verschickte der 1. FC Union Berlin eine Mitteilung, die von einer "gemeinsamen Entscheidung nach fünf erfolgreichen Jahren" kündete und im Kern lautete: "Urs Fischer und Union beenden die Zusammenarbeit." Fischer, 57, und sein Co-Trainer Markus Hoffmann, 51, werden "bis auf Weiteres" von Unions U-19-Trainer Marco Grote und dessen Co-Trainerin Marie-Louise Eta ersetzt.

Das Ende der Ära Fischer ist die Konsequenz aus einer Serie von zuletzt 14 Spielen ohne Sieg und dem am Sonntag zertifizierten Sturz auf den letzten Tabellenplatz der Bundesliga. Und sie zog, wie Präsident Dirk Zingler in einer Pressekonferenz am Nachmittag verriet, ein intern bereits abgesprochenes Ende des Arbeitsverhältnisses Fischers lediglich vor. Man befinde sich "akut im Abstiegskampf", dem habe man Rechnung zu tragen. Und dennoch: Wenn die Unioner dereinst an die 2018 begonnene Ära Fischers zurückdenken werden, wird ihnen diese Horrorserie so störend vorkommen wie das Muttermal auf der linken Wange von Marilyn Monroe: wie ein Makel, der ihre sonstige Schönheit noch betont. Denn die Geschichte rund um den Schweizer Fischer und Union war, alles in allem, fast schon zu schön, um wahr zu sein. Wie Marilyn.

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2019 stieg Union unter Fischer erstmals in seiner Vereinsgeschichte in die Fußballbundesliga auf, und was seinerzeit niemand wusste: Es war nur der Anfang einer nahezu beispiellosen Erfolgsserie. Nach einer spektakulären 0:4-Niederlage gegen RB Leipzig im ersten Bundesligaspiel überhaupt, die zu jedem Zweifel an der Erstligatauglichkeit der Köpenicker berechtigte, hielt der 1. FC Union die Klasse. Im Folgejahr qualifizierte sich Union für die Conference League, ein Jahr darauf für die Europa League, in der vergangenen Saison erreichte der Verein den vierten Tabellenplatz. Und erhielt damit ein Ticket für die Champions League.

Der Auftakt in die laufende Saison geriet verheißungsvoll: An den ersten beiden Spieltagen gab es jeweils 4:1-Siege gegen Mainz und in Darmstadt. Dann aber leitete ein 0:3 gegen Leipzig jene Niederlagenserie ein, die so abenteuerliche Ausmaße annahm, dass der Fahrer des Mannschaftsbusses behauptet, er sei in einem Akt des Exorzismus bereits mit Weihrauch durch die Teamkarosse gelaufen: Der Bus war gegen Leipzig erstmals eingesetzt worden.

Zingler räumte ein, dass man in den vergangenen Jahren nicht in jedem Spiel gewusst habe, wieso man gewonnen habe; nun habe man nicht nach jeder Niederlage gewusst, wieso man verloren habe. Erst in der Vorwoche durchbrach Union die Serie durch ein 1:1 beim italienischen Meister SSC Neapel in der Champions League. Am vergangenen Sonntag aber dann die Ernüchterung: 0:4 bei Bayer Leverkusen.

In der Zwischenzeit hatte es immer wieder Treuebekundungen gegeben, sowohl von den Fans als auch vom Klub. Vor dem letzten Heimspiel Fischers in der vorvergangenen Woche gegen Eintracht Frankfurt wurde der Coach gefeiert wie ein Heiland - obschon damals die zwölfte Niederlage in Serie dräute. Auch die Führungsspieler scharten sich um ihren Chef. Präsident Zingler sagte seinerzeit fast wörtlich das, was er nun auch in der Pressemitteilung formulierte: dass Urs Fischer ein hervorragender Trainer und er selbst davon "weiterhin absolut überzeugt" sei. Fischer selbst soll sich am Donnerstag bei einem Frühstück von der Mannschaft verabschieden.

Fischer bedankte sich am Mittwoch für das Vertrauen, das er "jederzeit" gespürt habe. "Trotzdem fühlt es sich richtig an, wenn jetzt eine Veränderung passiert: Manchmal hilft einer Mannschaft eben doch ein anderes Gesicht, eine andere Art der Ansprache, um eine Entwicklung auszulösen", erklärte der Coach.

Die Entscheidung wurde am Montag tatsächlich "gemeinsam" getroffen, sie folgte aber offenbar einem Impuls von Fischer. "Wir hatten eine relativ klare Vereinbarung: Ich unterstütze ihn bis zur letzten Sekunde. Und er sagt mir Bescheid, wenn er die Unterstützung nicht mehr braucht und der Zeitpunkt gekommen ist. Und der Zeitpunkt war Montag gekommen", sagte Zingler. Es sei ein "sehr nahes und sehr emotionales Gespräch" gewesen, in dem schon "nach zwei Minuten" klar gewesen sei, dass Fischer abtritt. Die Partie vom Vorabend in Leverkusen (0:4) muss Fischer wie die Bestätigung einer Ahnung vorgekommen sein: dass alles festgefahren war. Er war "schlussendlich" - um einen Begriff aufzunehmen, den Fischer zu Beginn seiner Amtszeit so oft verwendete - mit seinem Latein am Ende. Nachdem in den vergangenen Jahren Zugänge in fast schon unerklärlich guter Weise eingeschlagen hatten, blieben in dieser Spielzeit prominente Transfers wie Robin Gosens, Leonardo Bonucci oder Kevin Volland oft und weit hinter den Erwartungen zurück.

Union Berlin hat den Trainermarkt bislang nicht sondiert

Ein Rätsel dürfte Fischer insbesondere geblieben sein, dass die Mannschaft nur in der Champions League ihre Grenzen auslotete - nicht aber in der Liga und auch nicht im Pokal, wo Union in der zweiten Runde ausschied. Beim Königsklassen-Debüt bei Real Madrid etwa hielt Union bis in die Nachspielzeit ein 0:0, dann kassierte der Bundesligist ein 0:1, das in doppelter Hinsicht toxische Wirkung hatte. Es ging nicht nur ein nahezu sicher geglaubter Punkt beim Champions-League-Rekordsieger verloren - dieses 0:1 bedingte, dass durch ein 0:2 im folgenden Spiel (gegen Hoffenheim) ein Negativrekord der Fischer-Ära etabliert wurde. Vier Niederlagen nacheinander hatte es bis dahin nicht gegeben, und als sich diese Marke in den Köpfen festgesetzt hatte, folgten acht weitere Pleiten.

Wie lange nun Grote und Eta die Übungen im Klub anleiten werden, war am Dienstag komplett offen. Union hatte sein "Urs-Vertrauen" in Fischer nicht bloß proklamiert, sondern auch gelebt. Der Trainermarkt ist, wie Zingler sagte, bislang nicht sondiert worden; es ist daher auch alles andere als ausgeschlossen, dass Grote und Eta beim ersten Spiel nach der derzeit laufenden Länderspielpause am 25. November gegen Augsburg auf der Bank sitzen werden. Grote, 51, spielte in der Jugend beim SV Werder Bremen und dann unterklassig; als Trainer war er unter anderem beim VfL Osnabrück (2020/21) und dem griechischen Erstligisten Apollon Smyrnis beschäftigt, ehe er 2022 bei Union als Jugendtrainer einstieg. Eta, 32, brachte es zu Bundesligaehren, einem Champions-League-Sieg mit Turbine Potsdam (2010) und Einsätzen in den Nachwuchsteams des DFB. Sie würde die erste Frau der Geschichte werden, die bei einem Bundesligisten als Co-Trainerin auf der Bank sitzt.

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