Unentschieden der DFB-Elf gegen Irland:Schock in der Nachspielzeit

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Spätes Tor von John O'Shea (links) - Irland jubelt. (Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)

Der Sieg scheint besiegelt, dann trifft John O'Shea: Das späte Ausgleichstor Irlands zum 1:1 bringt die deutsche Nationalmannschaft in der EM-Qualifikation in ernste Nöte. Das Tor von Toni Kroos ist zu wenig.

Von Ulrich Hartmann, Gelsenkirchen

Es herrschen schwierige Zeiten im Fußballweltmeisterland. Und so ist zunächst auch nur sicher und beruhigend, dass es für die nächste Zusammenkunft der wankelmütigen deutschen Nationalfußballer eine Zufriedenheitsgarantie gibt. Das ist ja nicht selbstverständlich angesichts ihres holprigen Wiedereintritts in die Erdatmosphäre nach dem galaktischen Höhenflug bei der Weltmeisterschaft. Am 10. November bekommen die WM-Helden im Berliner Schloss Bellevue vom Bundespräsidenten Joachim Gauck das Silberne Lorbeerblatt überreicht, und es ist nun halbwegs beruhigend zu wissen, dass sie dem Charaktertest bei der finalen sportlichen Überprüfung am Dienstagabend in Gelsenkirchen wenigstens formal Genüge tun konnten.

Für die Auszeichnung mit dem Silbernen Lorbeerblatt ist offiziell "auch eine charakterlich vorbildliche Haltung unabdingbare Voraussetzung" - und zumindest diese darf man den Fußballern trotz eines mühsamen 1:1 (0:0) im EM-Qualifikationsspiel gegen Irland keinesfalls absprechen.

Die DFB-Elf hatte sich bereits wie der sichere Sieger gefühlt, hatte gegen geschlossen verteidigende und aufopfernd kämpfende Iren durch einen Distanzschuss von Toni Kroos (71.) geführt - doch dann traf John O'Shea in der vierten Minute der Nachspielzeit zum Endstand.

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"Enttäuscht sind wir alle. Ich glaube, das war die einzige Chance von Irland, dann fällt das Tor. In den letzten paar Minuten waren wir einfach auch naiv", sagte Bundestrainer Joachim Löw.

Zum Charaktertest, zur Mentalitätsprüfung war die Partie nach einem durchwachsenen 2:1 gegen Schottland und dem jüngsten 0:2 in Polen erklärt worden. Die "Siegermentalität der Deutschen", wie Irlands Trainer Martin O'Neill es genannt hatte, nahm es mit der "Kämpfermentalität der Iren" auf. Letztere hatte Bundestrainer Joachim Löw prophezeit, der zu Spielbeginn hinter sich auf der Spielerersatzbank nur zwei Torhüter und vier Feldspieler sitzen sah.

Zusätzlich zu den verletzten Weltmeistern Bastian Schweinsteiger, Mesut Özil, Benedikt Höwedes und Sami Khedira sowie den verletzten Stürmern Marco Reus und Mario Gomez hatten sich noch die WM-Teilnehmer Christoph Kramer und André Schürrle aus grippalen Gründen abmelden müssen. Löw verzichtete trotzdem auf eine Nachnominierung. Bangen Blicks verfolgte der DFB-Tross das Aufwärmen, bei dem sich aber niemand mehr verletzte.

In der Folge bedrängten die gewinnerfahrenen Deutschen (neu mit Matthias Ginter im defensiven Mittelfeld und Julian Draxler auf dem linken Flügel) die kampferfahrenen Iren, bei denen O'Neill zwar acht Startspieler vom jüngsten 7:0-Sieg gegen Gibraltar aufbot, das zentrale Mittelfeld aber mit den drei routinierten Haudegen Glenn Whelan, Jon Walters und Stephen Quinn aufpeppte, die beim 2:1 zuvor in Georgien dabei waren.

Zwar fanden die Deutschen im zentralen Mittelfeld zunächst Räume, doch nachdem Erik Durm die Attacke in der 5. Minute mit einem 30-Meter-Schuss auf die Latte des irischen Tors krachend eröffnet hatte, versicherten sich die Iren lieber doch noch einmal explizit ihrer Abwehrqualitäten. Zeitweise standen danach genauso viele Spieler in ihrer Abwehrkette wie die deutsche Mannschaft Reservisten auf der Bank hatte: ein halbes Dutzend.

"Es war ein schwieriges Spiel, Irland stand mit allen Leuten hinten drin. Wir mussten Geduld haben", sagte Löw. Sehr viel Geduld.

Stimmen zu Deutschland - Irland
:"Wir waren einfach naiv"

Bundestrainer Joachim Löw verärgern die letzten Minuten gegen Irland. Wolfgang Niersbach ist ebenfalls not amused - und John O'Shea freut sich über seinen Treffer gegen den besten Torwart der Welt.

Mit solch menschlichem Mauerwerk konfrontiert, taten sich die deutschen Spieler schwerer, Nahtstellen fürs Vertikalspiel in den Strafraum aufzuspüren. Gelegentliche Fernschüsse und Kopfbälle nach Flanken nahmen dem Publikum in der nicht ganz ausverkauften Arena nicht die Zweifel, die die vorangegangenen Ergebnisse genährt hatten. 15 Monate lang hatte die deutsche Mannschaft kein Spiel verloren, und dann zuletzt mit dem 2:4 gegen Argentinien und dem 0:2 in Warschau gleich zwei binnen fünfeinhalb Wochen.

Es bedurfte mithin einer zweiten Halbzeit der besseren Torchancen und der Vertrauensbildung. Nach der Pause schickte Löw Lukas Podolski für Ginter aufs Feld. Podolski feierte seinen Einstand mit einem erschreckenden Rückpass auf Robbie Keane, brachte dann aber Schwung nach vorne. Eine wachsende Taktierung von Gefahrensituationen im irischen Strafraum erbrachte zunächst nichts Zählbares, weshalb Löw mit der Hereinnahme von Max Kruse für Draxler 20 Minuten vor Schluss mehr Druck erzwingen wollte.

Und wirklich: Kruse war gerade eine halbe Minute auf dem Feld, als Deutschland - wenn auch ohne Zutun des eingewechselten Gladbachers - verdient 1:0 in Führung ging. Toni Kroos nahm aus 20 Metern sehr genau Maß und schoss den Ball an den Innenpfosten des irischen Tors, von dort sprang er knapp hinter die Linie. Es bedurfte in dieser 71. Minute gegen hartnäckig dicht deckende Iren genau eines solchen zentimetergenauen Treffers.

Nun mussten die Iren endlich ein bisschen aktiver werden und eröffneten den Gastgebern mehr Raum, allerdings blieb der Erspielen von Chancen und mehr noch der Abschluss das erkennbare Manko dieser um Harmonie bemühten deutschen Übergangs-Mannschaft. "Am Ende haben wir nicht die Ruhe bewahrt. Das ist mir unverständlich. Wir haben unsere Spielweise in den letzten fünf Minuten verloren", ärgerte sich Kroos. Es lief schließlich die letzte von 94 Spielminuten. Die irische Mannschaft hatte den Ball an der Seitenlinie, kein deutscher Verteidiger störte, Götze trabte ausgepumpt nebenher, und auf einmal kam John O'Shea im Strafraum an den Ball. Und traf. "Der Ball am Ende war vom besten Torwart der Welt nicht abzuwehren, das war ein toller Moment", sagte der Torschütze. Es war ein verstecktes Lob. Und ein sehr bitteres für die deutsche Nationalmannschaft.

© SZ vom 15.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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