U21-Torhüter Noah Atubolu:Der Erbprinz von Neuer und ter Stegen?

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Ein großes Versprechen: Noah Atubolu. (Foto: Joaquim Ferreira/HMB-Media/Imago)

Torhüter Noah Atubolu ist die Nummer eins in der deutschen U21 - und soll kommende Saison Mark Flekken im Tor des SC Freiburg nachfolgen. Die Erwartungen an ihn sind schon jetzt hoch.

Von Sebastian Leisgang, Kutaisi

Manchmal gibt es solche Abende. Man kennt das etwa aus dem DFB-Pokal, erste Runde: Fünftligist gegen Champions-League-Teilnehmer, Handwerker gegen Berufsfußballer, das Spiel des Lebens für diejenigen, die montags wieder auf einem Gerüst stehen oder an einem Auto herumschrauben. Hin und wieder werden diese Duelle zu sogenannten Torwartspielen, wenn sich der Außenseiter nach Kräften wehrt - und der Fliesenleger, der zwischen den Pfosten steht, über sich hinauswächst.

Torhüter wie Daniel Peretz lieben solche Spiele. Der Schlussmann der israelischen U 21 ist zwar Fußballer im Hauptberuf - die 90 Minuten, die er am Donnerstagabend im Starkregen von Kutaisi erlebte, hatten aber durchaus etwas von einem Erstrundenspiel im DFB-Pokal. Im Auftaktspiel der Europameisterschaft hielt Peretz gleich zwei Elfmeter und wurde beim 1:1 (1:1) zum Helden der Israelis. Dabei soll dieses Turnier doch eigentlich die Bühne jenes Mannes werden, der genau auf der anderen Seite des Spielfelds stand: Noah Atubolu, Torhüter des SC Freiburg und der U21 des DFB - und so viel mehr als das.

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Atubolu, 21, ist ein derart großes Versprechen, dass er sich in Fußballdeutschland schon bald einen Namen machen dürfte. In Freiburg wird er diesen Sommer vom Reservetorwart zur Nummer eins aufsteigen, nachdem Mark Flekken zum FC Brentford in die Premier League gezogen ist - und beim DFB gilt Atubolu bereits als erster Mann jener Torwart-Generation, die eines Tages auf Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen folgt. Atubolu könnte ihr Erbprinz sein. Wenn der Tag X gekommen ist, an dem der Platz im Tor der A-Nationalelf frei wird, dann könnte Atubolu derjenige sein, der nachrückt.

Das ist die Vorstellung, da soll es hingehen, doch Atubolu weiß, dass der Weg ein langer ist. Er führt über Freiburg - und unter Umständen sogar über Georgien. Wenn er sich dort bei der U21-EM bewährt, kann sein Plan aufgehen. Dann kommt er tatsächlich als Thronfolger in Frage.

Donnerstagabend also, Kutaisi im Landesinneren Georgiens. Hier hat es die deutsche U 21 zum Start des Turniers mit Israel zu tun. Während Batumi - jene Stadt am Schwarzen Meer, in der die deutsche Mannschaft ihr Quartier bezogen hat - Neuartiges, Aufbruch und Dynamik verströmt, braucht es nicht viel, um zu erkennen, wie sehr Kutaisi in die Jahre gekommen ist. Selbst in bester Lage am Rioni, dem drittlängsten Fluss des Landes, stehen zig Gebäude leer, Hausfassaden blättern ab, und an den Straßenrändern reihen sich Autos, die in einem noch bedenklicheren Zustand sind als die deutsche A-Nationalmannschaft.

Die großen Namen im DFB-Tor können eine schwere Bürde sein. Doch Atubolu erweckt den Eindruck, diese Last tragen zu können

Das war also das Ambiente, in dem Atubolu zum ersten Mal bei einem viel beachteten Turnier für Deutschland spielte. Von hier könnte er also- wenn er hält, was sich Freiburg und der DFB von ihm versprechen - hinausziehen in die große Fußballwelt. Es sind hohe Erwartungen, und solche Erwartungen schaffen eine Fallhöhe, die schon zig andere Talente haben scheitern lassen, lange bevor sie überhaupt mal in einem fernen Land für Deutschland gespielt haben. Neuer und ter Stegen - diese Namen können eine schwere Last sein. Sie können einen erdrücken, doch Atubolu, diesen Eindruck darf man haben, hat das Zeug, um diese Last zu tragen.

Er würde zum einen locker als Boxer durchgehen, weil er das ist, was man früher ein Kraftpaket genannt hätte: einsneunzig, breite Schultern, eine Erscheinung. Zum anderen hat er zu einer inneren Ruhe und Ausgeglichenheit gefunden, die ihm vor einigen Jahren noch abging. Wer ihm nun an diesem Spätabend von Kutaisi gegenübersteht, erlebt einen abgeklärten jungen Mann, der einen ziemlich reifen Eindruck macht. Inzwischen ist Atubolu nicht mehr ein Torhüter, der nach Perfektion strebt, sich nach Fehlern selbst geißelt und die Angst mit sich herumträgt, er könne den Ansprüchen nicht genügen. So war es zwar mal, doch so ist es längst nicht mehr. Mittlerweile macht Atubolu keinen Hehl daraus, welch große Pläne er hat.

Eines Tages, so sagt er es auch öffentlich, will er im deutschen Tor stehen. Nicht hier in Kutaisi, nicht bei der U21 - sondern oben, bei den Großen, dort, wo Neuer im vergangenen Jahrzehnt neue Maßstäbe gesetzt hat. 14 Jahre ist es jetzt her, dass Neuer mit der U21 Europameister wurde, um danach das Torwartspiel zu revolutionieren und Weltkarriere zu machen - jetzt will Atubolu zumindest den ersten Schritt gehen und bei der Junioren-EM für Aufsehen sorgen.

"Der Auftakt war nicht ganz glücklich, aber trotz allem sind wir positiv", sagte Atubolu nach dem 1:1 im ersten Gruppenspiel gegen Israel, das die deutsche Mannschaft und Trainer Antonio Di Salvo ziemlich frustriert zurückließ. Es war alles andere als ein guter Abend für den Titelverteidiger, der bereits nach weniger als drei Minuten durch Youssoufa Moukoko einen Strafstoß vergab - und den Sieg endgültig liegen ließ, als auch der eingewechselte Jessic Ngankam beim zweiten Elfmeter an Daniel Peretz scheiterte (78.).

So wurde Israels Torwart zum Mann des Abends, und das bringt Deutschland bereits in eine Drucksituation, die es nun am Sonntagabend (18 Uhr) gegen Tschechien zu meistern gilt, ehe es im letzten Gruppenspiel gegen den Favoriten England gehen wird (Mittwoch). "Erst mal die Gruppenphase überstehen und dann Schritt für Schritt", sagt der Torwart Atubolu auf die Frage nach den Zielen bei der EM. Er weiß, wie weit der Weg ist, den Neuer 2009 mit dem damaligen Team zurückgelegt hat. Und für ihn soll es ja nur der Anfang sein.

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