Am Sonntagabend hatte Rudi Völler ein Déjà Vu - und zwar kein schönes. Der Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes war in die georgische Hafenstadt Batumi am Schwarzen Meer gereist, um sich auch ein bisschen zu erholen von den zuletzt strapaziösen Auftritten der A-Nationalmannschaft. Zu diesem Zweck schien die Teilnahme der U21-Junioren des DFB an der Europameisterschaft in Georgien und Rumänien bestens geeignet. Allerdings droht der in den vergangenen Jahren stets so erfolgsverwöhnten Auswahl diesmal das frühe Vorrunden-Aus. Nach der bitteren 1:2-Niederlage im zweiten Gruppenspiel gegen Tschechien am Sonntagabend sagte Völler tags darauf in Batumi: "Es fehlten die letzten paar Prozent Konsequenz, Entschlossenheit und Wille. Das war ein bisschen ein Spiegelbild der A-Mannschaft."
Bevor bei der EM das erste Spiel gespielt war, hatte Kapitän Yann Aurel Bisseck durchklingen lassen, dass er nichts dagegen hätte, mit der U21 zu helfen, die Stimmung in der Heimat aufzubessern: "Ich fänd's übertrieben zu erwarten, dass wir die Fußballbegeisterung nach Deutschland zurückholen", hatte er gesagt, "aber wenn wir die Fans begeistern könnten und die Nation dadurch ein bisschen glücklicher wäre - umso besser." Als am Sonntag das zweite Spiel seiner U21 gerade abgepfiffen war, zog sich Bisseck das Trikot über den Kopf und legte sich auf den Rasen.
Kollektive Begeisterung, das ersehnte EM-Viertelfinale und vor allem das erhoffte Ticket zu den Olympischen Spielen 2024 sind vor dem finalen Gruppenspiel gegen England (Mittwoch, 18 Uhr) nun weit weg. Erstmals seit zehn Jahren droht eine deutsche U21 bei einer EM schon in der Gruppenphase zu scheitern. Am Mittwoch müsste Di Salvos Team die bereits als Gruppenerster feststehenden Engländer besiegen, zugleich müsste Tschechien gegen Israel verlieren. Nur dann, und nur, wenn die Israelis nicht deutlich höher gewinnen als Deutschland, könnte man noch das Viertelfinale erreichen. Aber das sind so viele Wenns, dass die Chancen nur noch minimal sind.
DFB-Frauen gegen Vietnam:Böse Zungen ziehen Parallelen zu den Männern
Die DFB-Frauen legen einen zusammenhanglosen Auftritt beim WM-Testspiel gegen Vietnam hin. Manche vergleichen nun Voss-Tecklenburg und Flick - doch im Gegensatz zu ihm war die Bundestrainerin zu den vielen Experimenten gezwungen.
Nach dem bereits enttäuschenden 1:1 zum Auftakt gegen Israel (mit zwei verschossenen Elfmetern) kassierte Deutschland gegen Tschechien eine noch herbere Niederlage. Wie bereits in der ersten Partie lief man einem 0:1-Rückstand (30.) hinterher. Nach deutlicher Leistungsverbesserung gelang dem Hoffenheimer Angelo Stiller in der zweiten Halbzeit der 1:1-Ausgleich (70.), doch als sogar der Siegtreffer möglich zu sein schien, fälschte der Schalker Henning Matriciani in der 87. Minute einen gegnerischen Schuss zum 1:2-Endstand ins eigene Tor ab. "Das Spiel war eine Fortsetzung des Israel-Spiels", sagte Bisseck und beklagte "fehlendes Spielglück" - er meinte damit vor allem die mangelnde Chancenverwertung.
Es ist zehn Jahre her, dass sich eine deutsche U21 bei einer EM derart erfolglos präsentierte. 2013 schied unter dem damaligen Trainer Rainer Adrion eine Mannschaft mit Spielern wie Bernd Leno, Matthias Ginter, Sebastian Rode, Sebastian Rudy und Pierre-Michel Lasogga bereits in der Gruppe aus; für Adrion blieb es das einzige EM-Turnier. 2015 führte Horst Hrubesch die U21 ins EM-Halbfinale, anschließend erreichte Stefan Kuntz mit den Junioren drei Mal nacheinander das Endspiel, 2017 und 2021 gelang sogar der Europameistertitel.
Als Kuntz im Herbst 2021 türkischer Nationaltrainer wurde, übernahm die U21 sein vorheriger Co-Trainer Antonio Di Salvo. Dessen erste EM als Cheftrainer droht nun zum Rückschlag zu werden. Di Salvos Vertrag war allerdings schon vor dieser EM bis 2025 verlängert worden.
Viele Nationalspieler haben noch keine Stammplätze in ihren Klubs
Die Bedingungen für das Turnier waren schwierig. Di Salvo hatte mit den verletzten Jonathan Burkardt, Ansgar Knauff, Felix Nmecha, Armel Bella-Kotchap, Patrick Osterhage, Jan Thielmann und Jordan Beyer schon vor EM-Beginn relevante Ausfälle zu beklagen. Gegen Tschechien konnte zudem das Dortmunder Sturmtalent Youssoufa Moukoko wegen muskulärer Probleme nicht mitspielen, und in der 84. Minute musste auch noch der Torschütze Stiller wegen Oberschenkelzwickens vom Feld. Hinzu kommt: Viele Spieler haben in ihren Klubs in der soeben beendeten Saison nur wenig Einsatzzeit bekommen. Der U21 fehlte von Beginn der EM an ein gewisser Rhythmus, sie lag noch kein einziges Mal in Führung und entwickelte in der Offensive zu wenig Durchschlagskraft. Sie kam nie in einen Flow.
Nun ist überall zu lesen, der Titelverteidiger Deutschand stehe vor dem Vorrunden-Aus. Aber das stimmt so natürlich nicht. Von den Spielern, die 2021 in Ljubljana unter Kuntz den Titel gewonnen haben, ist nur noch Josha Vagnoman dabei, ansonsten ist dies ein vollkommen neuer Kader. Jede U21-EM zeigt den Status Quo des ältesten deutschen Nachwuchses, und so ist es wohl kein Zufall, dass einige dieser jungen Nationalspieler in ihren Klubs noch keinen Stammplatz erkämpfen konnten.
Es wäre gar kein Drama, sollte die deutsche U21 nicht über die EM-Vorrunde hinauskommen - bedauerlich für die jungen Fußballer wäre allerdings, wenn sie Olympia verpassen. Die Sommerspiele (2016 in Rio holte Deutschland Silber) wären ein Meilenstein in der Karriere von jedem. Aber um Paris 2024 zu erreichen, müsste die Mannschaft bei der EM das Halbfinale erreichen. Und dazu bräuchte es ein Wunder.