Der Beweis, dass Oliver Bierhoff wusste, wovon er sprach, hängt im Stadio Friuli in Udine im vierten Stock. Dort läuft man als Besucher vorbei an den Bildern der wichtigen Spieler in der jüngeren Vereinsgeschichte von Udinese Calcio. Bierhoff spielte von 1995 bis 1998 als Stürmer für den italienischen Erstligisten, wurde Torschützenkönig. Vier Stockwerke tiefer sprach er am Sonntagabend als Manager der deutschen Nationalmannschaft darüber, dass es auch schwächere Spiele brauche, um sich zu einem guten Spieler zu entwickeln. Und es war ein schwaches Spiel, das die deutsche U21-Nationalelf zuvor gegen Österreich gemacht hatte.
Das 1:1 reichte zum Gruppensieg mit sieben Punkten aus drei Spielen, das war natürlich die wichtigste Nachricht des Abends. Deutschland steht nun im Halbfinale der U21-EM, Deutschland ist für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio qualifiziert. Stefan Kuntz sprach über seinen Respekt für Turner und Ringer, und wie schön es sei, dabei zu sein. ("Wenn ich an Einzelsportler denke und überlege, was zum Beispiel Ringer oder Turner für einen Aufwand betreiben müssen, damit sie dann alle vier Jahre im Rampenlicht stehen. Und bei uns musst du einfach nur dreimal schnäuzen und dann gibt es normalerweise schon eine Schlagzeile. Diesen Respekt mal ausdrücken zu dürfen und diese Sportler dabei hautnah unterstützen zu dürfen, von der Tribüne aus mit klatschen und jubeln, das ist schon etwas, worauf ich Lust hätte.")
U-21-Elf im Halbfinale:Kapitän Tah klatscht und schreit
Das zähe 1:1 der deutschen U-21-Elf gegen Österreich legt Schwächen offen. Dennoch qualifiziert sich die Mannschaft für das Halbfinale der Europameisterschaft - und für Olympia 2020.
Als es um Fußball ging, wiederholte der Trainer der deutschen U21 immer wieder einen Satz: "Der Erfahrungsschatz aus dem heutigen Spiel wird sehr groß sein." Er sagte, dass er von den Spielern sehen wollte, "dass sie sich gegen die Niederlage stemmen". Dass die Niederlage gedroht hatte, daran bestand ja kein Zweifel.
Torwart Nübel ist einer der Hauptdarsteller des Abends
Die Österreicher, die einen Sieg zum Weiterkommen brauchten, waren vor allem in der ersten Halbzeit die bessere Mannschaft gewesen. Sie spielten gut sortiert und mutig, sie verstellten dem Gegner die Räume und griffen schnell an. Allein Sasa Kalajdzic, der zwei Meter große Stürmer, hatte zwei aussichtsreiche Chancen, einmal scheiterte er am Innenpfosten, einmal am deutschen Torhüter Alexander Nübel, der auf der Linie stark parierte. Auch in der zweiten Halbzeit hielt Nübel einen Schuss von Husein Balic, der allein auf ihn zulief. Überhaupt war der Torwart einer der Hauptdarsteller des Abends.
Er spielte zu Beginn einen Fehlpass im Spielaufbau, geradeso entstand daraus keine Torchance. Und er verursachte den Elfmeter, der zum Ausgleich führte, weil er Kalajdzic nach einer Flanke mit dem Ball in den Händen und dem Knie voran ins Gesicht sprang, ein klares Foul. Zum dritten Mal im dritten EM-Spiel fiel das Gegentor für Deutschland durch einen Strafstoß. Zum ersten Mal hatte Nübel ihn verschuldet. Beim Schuss des Österreichers Kevin Danso war er chancenlos.
Wenn man beim Torwart anfängt, dann hat der Schalker Nübel, 22, den seit Wochen die Gerüchte über einen Wechsel zum FC Bayern begleiten, am Sonntag in seinem dritten Spiel bei seinem ersten Turnier als Juniorennationalkeeper die Erfahrung gesammelt, sich nach Fehlern ins Spiel zurückzufinden. "Er war dann noch zweimal zu hundert Prozent da und hat uns am Leben gehalten", sagte Kuntz. Innenverteidiger Jonathan Tah musste Verantwortung übernehmen für eine erstmals in diesem Turnier wirklich geforderte Abwehr. Der Kapitän hatte vor EM-Beginn darüber gesprochen, wie er sich erst im Kreise der U21-Nationalelf zu jenem Spieler entwickelt habe, der in den entscheidenden Momenten das Wort ergreift und laut ist. Unter der Woche hatten sie im Team die Geschichte erzählt, wie er nach dem 6:1 gegen Serbien eine Ansprache über den Wert der Reservisten gehalten hatte.
Erst die individuelle Klasse sichert den Punkt
Der gegen Serbien noch so filigrane Mittelfeldspieler Florian Neuhaus musste am Sonntag damit zurechtkommen, gegen Österreich nicht nur in der Offensive gefordert zu sein. Kuntz meinte sicher auch ihn, als er erklärte, bewusst auf Wechsel zur Pause verzichtet zu haben, weil er Reaktionen sehen wollte. Kuntz stellte auf ein Spiel mit Doppelsechs um, zog Neuhaus also zurück - und brachte für ihn erst nach einer Stunde den robusten Suat Serdar. Es war individuelle Klasse, die Deutschland den Punkt sicherte, Luca Waldschmidt schoss den zwischenzeitlichen Führungstreffer ansatzlos aus 30 Metern, ein Tor wie gemalt, schon sein fünftes im Turnier. Doch die anderen beiden Angreifer, Marco Richter und Levin Öztunali, spielten schwach. Öztunali verpasste einmal vor dem leeren Tore eine Hereingabe. Kuntz sagte aber: "Jeder war bereit etwas zu geben, was er nicht mehr hatte: Kraft und Energie."
Der Gegner für das Halbfinale am Donnerstag steht noch nicht fest, es könnte Italien sein, Frankreich oder Rumänien. Letztere spielen an diesem Montag gegeneinander, sie sind die einzigen weiteren bislang ungeschlagenen Teams. Deutschland fehlen nun nur noch zwei Siege zur Verteidigung des EM-Titels von 2017. Doch vielleicht wird schon das glückliche, erkämpfte Unentschieden gegen Österreich ein Spiel sein, an dem ein paar deutsche Nachwuchsfußballer wachsen werden. So jedenfalls wünscht es sich ihr Trainer.