Aus der deutschen U21:Ohne Mut und ohne Herz

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Ratlos: Yannik Keitel (l.) und Finn Ole Becker nach dem Aus gegen England. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Die U21-EM endet für die deutschen Junioren früh mit dem Aus auf dem letzten Platz. Das Fazit der Verantwortlichen ist verheerend - trotzdem hält der DFB an Trainer Antonio Di Salvo fest.

Von Ulrich Hartmann

Ihr Olympia-Ticket hätten die deutschen U21-Fußballer bei der Europameisterschaft am kommenden Samstagabend klarmachen können. Im Viertelfinale in Tiflis wäre es gegen den gastgebenden Fußballzwerg Georgien gegangen, der überraschend Erster seiner Gruppe wurde - eine lösbare Aufgabe. Allerdings hat dieser Plan einen entscheidenden Haken: Deutschlands älteste Junioren-Nationalmannschaft hat sich für das Viertelfinale nicht qualifiziert. Sie ist am Donnerstag heimgeflogen.

Um ins EM-Viertelfinale zu gelangen, hätten mehrere Dinge klappen müssen, die alle nicht geklappt haben. Die deutsche Mannschaft hätte im Auftaktspiel gegen Israel (1:1) einen von zwei Elfmetern verwandeln oder ihre 80 Prozent Ballbesitz samt Überzahl zu einem Siegtreffer nutzen müssen. Sie hätte im zweiten Spiel gegen Tschechien bei ihren 28 Torschüssen besser zielen, ihre wiederum 70 Prozent Ballbesitz effektiver nutzen oder zumindest drei Minuten vor Schluss das halbe Eigentor zum 1:2 verhindern müssen. Oder sie hätte im letzten Gruppenspiel gegen bereits qualifizierte und auf acht Positionen veränderte Engländer (0:2) wenigstens ein bisschen Siegeswillen zeigen und gewinnen müssen. Denn dann hätte es am Mittwochabend trotz allem noch fürs Viertelfinale gereicht - und für die große Chance, gegen Georgien das Halbfinale und damit auch das Olympia-Turnier 2024 zu erreichen.

All diese Chancen hat die U21 verstreichen lassen. Die Nachfolger der deutschen 2021er-Europameister sind in einer gewiss nicht allzu schwierigen Gruppe mit nur einem Punkt Letzter geworden. Sie haben in viereinhalb Stunden bloß zwei Tore geschossen, obwohl sie von allen 16 Mannschaften in der Gruppenphase die meisten Torschüsse abgaben, nämlich 60. Georgien - das nur zur Einordnung - hat als Gewinner der Gruppe A in seinen drei Spielen lediglich 25 Mal aufs Tor geschossen - und trifft im Viertelfinale nun statt auf Deutschland auf Israel. Georgien und Israel meinte Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter Nationalmannschaften beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), allerdings nicht, als er am Mittwochabend enttäuscht konstatierte: "Andere Nationen sind uns voraus." Er blickte dabei eher auf die souveränen Turnierfavoriten England, Frankreich und Spanien.

Die deutsche U21 ist erstmals seit zehn Jahren schon in der EM-Gruppenphase ausgeschieden - und zum ersten Mal überhaupt ohne einen einzigen Sieg. Das ganze Malheur ging damit los, dass Youssoufa Moukoko in der dritten Minute des Auftaktspiels einen Strafstoß verschoss und die Israelis wenig später in Führung gingen. Die Deutschen haben in ihren drei Gruppenspielen nie geführt, nie ein gutes Gefühl gehabt, nie einen Flow entwickelt. Es lief alles gegen sie.

Was ihnen die Trainer und die Verantwortlichen vom Verband aber nicht so leicht verzeihen dürften, ist, dass sie gegen England trotz einer weiterhin reellen Chance aufs Weiterkommen keinerlei Leidenschaft mehr entwickelten. Nach 20 Minuten lagen sie bereits 0:2 zurück, danach kickten sie müde herum, als seien sie bereits im Urlaub am Strand. Chatzialexiou nannte den deutschen EM-Auftritt einen "Super-GAU", schlimmer hätte sich eine DFB-Auswahl international kaum präsentieren können. Am Donnerstag mahnte er in Batumi zwar auch an, man dürfe jetzt nicht alles schlechtrechnen und "den deutschen Fußball auch nicht begraben". Aber, so Chatzialexiou, "Fakt ist: Unsere Mission hier wurde nicht erfüllt."

Unter Trainer Stefan Kuntz stand die U21 dreimal im EM-Endspiel

Das Gesamtergebnis wirft kein gutes Licht auf eigentlich aussichtsreiche Spieler wie Yann Aurel Bisseck, Josha Vagnoman, Yannik Keitel, Angelo Stiller oder Kevin Schade. Sie haben sich nicht empfehlen können für die A-Nationalmannschaft, die derzeit doch so dringend Impulse sucht. Dass der U21 bei der EM fast eine komplette Elf wegen Verletzungen gefehlt hatte, ist zwar auch ein Grund für das schwache Abschneiden, aber keine Entschuldigung für das kampflose Auftreten der Verbliebenen gegen England. "Ohne Mut, ohne Herz", so hatte Mittelfeldspieler Angelo Stiller die finale Vorstellung seines Teams empfunden.

Auffällig war zudem, dass unter dem neuen U21-Trainer Antonio Di Salvo offenbar nicht der erforderliche Teamgeist und Zusammenhalt entstanden ist, den es für solch ein Turnier braucht. Dabei weiß Di Salvo eigentlich, wie das geht, denn er hat es fünf Jahre lang miterlebt - als Assistent jenes Cheftrainers Stefan Kuntz, der drei U21-Generationen nacheinander auch mit seinem Charisma und mit seiner Begeisterungsfähigkeit in drei EM-Endspiele geführt hatte, 2017 und 2021 sogar zum Titel.

Der Vertrag mit Di Salvo wurde schon vor der EM verlängert

Eine Debatte um Di Salvo haben sie beim DFB allerdings schon vor der EM unterbunden, als sie seinen Vertrag vorzeitig bis 2025 verlängert haben. Entsprechend sagte Chatzialexiou am Mittwochabend: "Eine Trainerdiskussion gibt es nicht, weil wir Toni das Vertrauen schon vor dem Turnier ausgesprochen haben, weil wir sehen, wie er arbeitet."

Stand jetzt, wird Di Salvo mit seinen Assistenten Hermann Gerland, Daniel Niedzkowski und Klaus Thomforde also auch die nächste U21-Generation zur kommenden EM führen dürfen, die 2025 in der Slowakei stattfindet. Sieben Spieler aus dem aktuellen Kader dürften dann aus Altersgründen noch mitspielen. Dazu gehören gewiss der Torwart Noah Atubolu (SC Freiburg) sowie die Mittelstürmer Youssoufa Moukoko (BVB) und Nelson Weiper (Mainz 05). Weil sie in relevanten Positionen spielen, ruhen auf ihnen nun die Hoffnungen der Fußballnation.

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