Deutsche Turnliga:Zeit für etwas Großes

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Guter Auftakt: Fabian Stemmer, 18, war an drei Geräten ungeschlagen. (Foto: Claus Schunk)

Der Turn-Zweitligist Exquisa Oberbayern strebt das Aufstiegsfinale an. So offensiv ist er seit der Pandemie nicht mehr in eine Saison gestartet.

Von Andreas Liebmann

Manchmal kommt er noch zum Zuschauen zu ihren Wettkämpfen, auch wenn er in ihren Träumen nun keine wichtige Rolle mehr spielt. Marcel Nguyen sitzt dann im Publikum, er feuert sie an. Der zweimalige Olympiazweite von London 2012 am Barren und im Mehrkampf hat den Kontakt zu den Turnern des Zweitligisten Exquisa Oberbayern nie verloren, speziell nicht zu seinem Heimatverein TSV Unterhaching, der ein Teil dieses Gebildes ist. Das ist keine Selbstverständlichkeit, schließlich war Nguyen in der Deutschen Turnliga (DTL) schon viele Jahre lang für andere Klubs unterwegs. Außerhalb der DTL trat er trotzdem immer für Unterhaching an.

Wenn die Ligawettkämpfe vorbei sind, geht Nguyen, 36, aber auch wieder nach Hause. Er geht dann seinem neuen Beruf nach, kümmert sich um ein Enthaarungsstudio, das er leitet.

Als das oberbayerische Turnteam zum letzten Mal einen großen Traum formulierte, da kam Nguyen durchaus darin vor. Knapp drei Jahre ist das her. In der Saison zuvor war Jakob Paulicks zurückgekehrt zu jenem Verein, in dem er das Turnen gelernt hatte, er war da gerade deutscher Mannschaftsmeister geworden mit der KTV Obere Lahn. Die Euphorie war groß. Im ersten Anlauf hatte sein neues altes Team im entscheidenden Wettkampf Pech mit dem Ausfall eines russischen Turners, doch im Jahr darauf nahm es sich dann ganz offen das große Ziel vor: Aufstieg. Jetzt erst recht. Und dann kam jener erste Wettkampftag gegen die TG Hanauerland, den Marcel Nguyen als Ehrengast verfolgte - und bei dem er sagte, dass auch er seine Karriere eines Tages hier beenden wolle. Welche Aussicht!

Es ist eine weite Zeitreise. Man erkennt das schon daran, dass Nguyen damals eine Maske trug und kein Publikum in der Halle war. Die Olympischen Spiele von Tokio waren gerade um ein Jahr verschoben worden, Nguyen wollte dorthin. Doch aus beiden Vorhaben wurde nichts. Die durch die Pandemie ohnehin durcheinandergewirbelte Zweitliga-Saison wurde bald annulliert, einen Aufsteiger gab es nicht - und Nguyen erlitt vor Tokio einen Kreuzbandriss.

"Die Jungs sind motiviert, wir wollen nach dem Bestmöglichen greifen", sagt der neue Abteilungsleiter

Der Rest dürfte bekannt sein. Marcel Nguyen hangelte sich noch einmal von Verletzung zu Verletzung, bis er seine Karriere doch beendete - und zwar nicht nur international, sondern überhaupt, weshalb er auch für Exquisa Oberbayern nicht mehr antreten wird. Auch Jakob Paulicks, 33, hat sich inzwischen berufsbedingt von seiner aktiven Laufbahn zurückgezogen und stattdessen seinen Vater Oskar als Hachinger Abteilungsleiter beerbt. In Jakob Glück, 32, ist ein weiterer Routinier weggefallen, er ist zum TSV Monheim zurückgekehrt. Und Exquisa Oberbayern? Verblüfft. "Unser Ziel ist es, das Aufstiegsfinale zu erreichen", sagt Paulicks. Das bedeutet: Erster werden in der Südstaffel. "Die Jungs sind motiviert, wir wollen nach dem Bestmöglichen greifen", erläutert er.

Der TSV Unterhaching hat zwar noch weitere verlorene Söhne in der ersten Liga, Lukas Dauser und Felix Remuta, von denen allerdings sind keine Absichtserklärungen überliefert, dass sie ihre Karriere hier beenden wollen, Aufstieg hin oder her. Es geht dem aktuellen Kader wohl eher darum, sich "zu belohnen für die vielen harten Trainingstage", sagt Paulicks, vielleicht auch einfach, weil es im zehnten Zweitligajahr mal wieder an der Zeit wäre für etwas Großes. Es wäre eine "Aufwertung", findet Paulicks, vielleicht auch für Sponsoren interessant, "aber es müsste wirklich alles zusammenpassen". Und wie man dann im Fall der Fälle weitermachen würde in der deutlich stärkeren ersten Liga, dazu gebe es noch gar keine Ideen.

Drei Neue haben sie bekommen: Felix Zäuner vom TSV Grötzingen-Karlsruhe und Pirmin Lippl vom TSV Unterföhring, beide erst 19, sowie den 30-jährigen Martin Hartner von der TG Allgäu; dazu zählen weiterhin viele junge Talente zum Kader, etwa der 20-jährige Moritz Braig; auch die Ausländer, von denen pro Gerät immer nur einer eingesetzt werden darf, sind jung: der Belgier Noah Kuavita ist 24, der Brite Jamie Lewis 23, der neue Niederländer Yazz Ramsahai 21. Dessen Vorgänger Casimir Schmidt war zu gut geworden, er ging in die erste Liga.

Am vergangenen Samstag war Saisonauftakt. Exquisa Oberbayern besiegte die WTG Heckengäu in Unterhaching mit 81:3 Scorepunkten. Mit 27 davon setzte sich Lewis gleich an die Spitze der Liga-Topscorer. "Die Leistung hat gepasst", fand Paulicks, etwas Nervosität zu Beginn sei in Ordnung und habe gar nicht geschadet. Nun sind sie erst mal Tabellenführer. Nguyen habe versucht zu kommen, erzählt er, es dann aber nicht geschafft. Zumindest zum Anfeuern wird man trotzdem weiter mit ihm rechnen können.

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