Turbulentes BVB-Spiel gegen Odds BK:Überrumpelt wie in der Katastrophen-Saison

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Henrikh Mkhitaryan (in Gelb) kann den Norweger Jone Samuelsen nicht stoppen. (Foto: imago/Digitalsport)

Gegen den krassen Außsenseiter Odds BK liegt Borussia Dortmund rasch 0:3 zurück. Zwar dreht Thomas Tuchels Team das Spiel noch, doch ein ungutes Gefühl bleibt.

Von Felix Meininghaus, Skien

Kurz vor Spielbeginn herrschte in der Skagerak Arena Heiterkeit, als die Fans des kleinen norwegischen Klubs Odds BK ihr Banner entrollten: "This continent isn't big enough for the both of us", war da zu lesen. Der europäische Kontinent sei also nicht groß genug für den Klub aus der beschaulichen Region Telemark und Borussia Dortmund, ein börsenorientiertes Schwergewicht mit einem Jahresetat von mehr als 300 Millionen Euro? Diese Norweger, so die Erkenntnis, haben ja echt Humor.

Kaum 20 Minuten später lachte im Dortmunder Lager niemand mehr. Der krasse Außenseiter aus dem Niemandsland führte vor knapp 13 000 Besuchern im pittoresken Stadion mit 3:0. In Worten: drei zu null. Wie, um Himmels Willen, war so etwas möglich?

Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke gab nach dem Schlusspfiff zu Protokoll, er habe sich gefühlt "wie im falschen Film". Die bis dato so launige Dienstreise nach Skandinavien drohte für den BVB zu einem Horrortrip zu werden. Am Ende hatte die Borussia die Dinge jedoch noch zum Guten gedreht und in einem turbulenten Spiel aus dem krassen Rückstand noch einen 4:3-Sieg gemacht.

Rein von den Zahlen her flogen die Dortmunder also mit einem positiven Ergebnis zurück in die Heimat - und dennoch sahen sie nicht aus wie Sieger. Das heftige Zwischenergebnis hatte Spuren hinterlassen. "Darüber können wir nicht den Mantel des Schweigens legen", sinnierte Sportdirektor Michael Zorc. Tatsächlich warf der Auftritt in der Anfangsphase viele Fragen auf. Vor allem, weil er in einem solch exorbitanten Gegensatz zu dem stand, was die Mannschaft von Thomas Tuchel wenige Tage zuvor beim fulminanten 4:0 im Bundesliga-Auftaktspiel gegen Borussia Mönchengladbach abgeliefert hatte.

Davon war am Austragungsort Skien zunächst rein gar nichts zu sehen. In der norwegischen Provinz ließ der BVB all das vermissen, wofür er und sein neuer Trainer Thomas Tuchel zuvor so hoch gelobt worden waren: Passqualität, Tempo beim Spiel in die Spitze, Abstimmung in der Viererkette und Biss in der Zweikampfführung. So kam es, dass der erste Gegentreffer im fünften Pflichtspiel der noch neuen Spielzeit bereits nach handgestoppten 13 Sekunden fiel.

Dabei hatten die Dortmunder doch beteuert, ihre Schlafkrankheit überwunden zu haben. Rekordverdächtige vier Mal hatten sie sich in der letzten Saison in der ersten Spielminute überrumpeln lassen, nun passierte ihnen dieses Missgeschick erneut. "So wollten wir das nicht haben", erklärte Tuchel: "Wir waren nicht gut vorbereitet auf das, was hier auf uns zukam. Ich war entsetzt, wie einfach das ging." Watzke sprach von einem "Wahnsinn" und davon, das sei "natürlich viel zu wenig, was wir hier geboten haben". Und Zorc ergänzte: "Wir waren im Schockzustand."

Der 52-Jährige hat selbst genügend Europapokal-Schlachten geschlagen, um beurteilen zu können, wie so etwas zustande kommen kann. "Wenn du überhaupt nicht verteidigst und körperbewusst spielst, darfst du dich nicht wundern." Entsprechend schuldbewusst gab sich das kickende Personal, das den bemerkenswerten Zwischenstand zu verantworten hatte. "Wir haben in der ersten Halbzeit alles falsch gemacht", sagte Nationalspieler Matthias Ginter: "So etwas darf uns nicht passieren."

Dass die Dortmunder die Dinge für sich gegen einen international allenfalls zweitklassigen Gegner nach Toren von Aubameyang (zwei Treffer), Kagawa und Mchitarjan noch in ihrem Sinne regelten, durften sie für sich auf der Habenseite verbuchen. Kapitän Mats Hummels empfand es als "wichtig, dass man sich aus solch einem Katastrophenstart noch herauskämpft". Dennoch blieb ein ungutes Gefühl, weil sich der BVB viele Versäumnisse hatte zuschulden kommen lassen. So musste sich Tuchel die Frage gefallen lassen, ob er die Aufgabe beim skandinavischen Nobody mit dem nötigen Ernst angegangen war.

Die Marschroute, seine beim Galaauftritt gegen Mönchengladbach so formidabel agierende Formation auf fünf Positionen umzukrempeln, ließ die Interpretation zu, der Trainer habe den Gegner unterschätzt. Noch dazu, weil er später einräumte, er habe den Plan verfolgt, Mats Hummels in der Halbzeitpause aus der Partie zu nehmen, um ihm eine Pause zu gönnen. Dieses Ansinnen war allerdings angesichts des 1:3-Rückstands hinfällig. "Es war klar, dass der Kapitän an Bord bleiben musste."

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:Aufholjagd gegen den Außenseiter

Nach 22 Minuten scheint alles gelaufen. Doch dann holt Thomas Tuchels Team einen 0:3-Rückstand gegen den norwegischen Außenseiter Odds BK auf und gewinnt.

Stattdessen musste Gonzalo Castro das Feld räumen, der als rechter Verteidiger eine mehr als unglückliche Figur abgegeben hatte. Eigentlich kann der 28-Jährige diese Position ausfüllen, zumindest hat er das bei seinem früheren Verein mehrfach nachgewiesen. 16 Jahre war Castro bei Bayer Leverkusen eine feste Größe, um dann zum BVB zu wechseln, wo er den nächsten Karriereschritt machen wollte. Doch dieses Ansinnen lässt sich denkbar schlecht an. Zunächst entschloss sich Ilkay Gündogan, den Castro im defensiven Mittelfeld beerben sollte, seine Karriere doch in Dortmund fortzusetzen, und dann erwischte der neue Mann auf dem Aushilfsposten auch noch einen schwarzen Tag.

Nun droht Castro, für den die Borussia eine Ablöse von geschätzten elf Millionen Euro investierte, in Dortmund zur tragischen Figur zu werden. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass ihn Tuchel in Schutz nahm: "Ich will nicht, dass man nun mit dem Finger auf ihn zeigt und in ihm den Schuldigen sieht." Vielleicht bekommt der fünfmalige Nationalspieler ja in Dortmund noch die Kurve, weil er die richtigen Schlüsse aus den Erlebnissen in Norwegen zieht.

Zumindest hielt Watzke das in einer lauen norwegischen Sommernacht für möglich, als er über den in jeder Hinsicht bemerkenswerten Auftritt von Castro und seinen Mitstreitern sinnierte. Im Nachhinein, so der Dortmunder Geschäftsführer, könne dieses Erlebnis durchaus heilsam sein, "weil wir jetzt wissen, dass wir immer hellwach sein müssen."

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