TSV 1860 München:Von den Sitzkissen gerissen

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Hoch hinaus - mit unsanfter Landung: Stephan Salger (links) und die Sechziger führten gegen den Tabellendritten Braunschweig nach einer starken ersten Hälfte 2:0 - und mussten sich dann doch mit einem Remis begnügen. (Foto: Sebastian Widmann/Getty)

Das 2:2 gegen Braunschweig bremst die Aufholjagd der Löwen aus - auch wenn Trainer Köllner mit einem Remis "mal zufrieden" ist. Gerade gegen Teams, die der TSV noch einholen möchte, wird aber die Kaderbreite ein Thema bleiben.

Von Christoph Leischwitz

Eine Ovation ist erst einmal nichts anderes als starker Applaus, erwähnt wird sie freilich meist nur, wenn sie stehend erfolgt. Nun war genau das aber nicht erlaubt am Sonntagnachmittag im Grünwalder Stadion, die Anhänger von 1860 München waren ja sogar angehalten, Sitzkissen mitzubringen, als Zeichen dafür, dass man sich auch wirklich hinsetzt und die vorgegebenen Abstände einhält. Viele Sitzkissen waren dann aber nicht zu sehen. Und die Partie gegen den Tabellendritten Eintracht Braunschweig war auch gänzlich ungeeignet, um auf das Hinsetzen hinzuweisen - in der ersten Halbzeit standen viele für stehende Ovationen auf, in der zweiten Halbzeit hielt es viele vor lauter Spannung nicht mehr auf den Plätzen. Am Schluss stand es 2:2 (2:0), ein Remis, über das man sich bei den Sechzigern auch ein wenig ärgern könnte - Torschütze Marcel Bär etwa fand es "schon ein bisschen bitter".

Doch Michael Köllner hörte sich gleich nach dem Spiel so an, als sitze er gemütlich zurückgelehnt in einem großen Ohrensessel: "Nach vier Siegen muss man damit mal zufrieden sein", fand der Trainer. Immerhin habe man ja noch zwei Spiele in der Hinterhand, um den Angriff auf die Tabellenspitze erfolgreich zu gestalten. Und er hatte etwas beobachtet, das ihn zuversichtlich stimmte: "Wir haben heute gesehen, dass wir Mannschaften beherrschen können, die weit vorne sind in der Tabelle." Wobei das Braunschweigs Trainer Michael Schiele ein wenig anders bewertet hatte.

Erschöpfungsbedingte Auswechslungen kann sich 1860 gegen Spitzenteams meist nicht leisten

Zu Beginn hatten die Gäste aus Niedersachsen zwar auch schon gute Gelegenheiten. Der entscheidende Unterschied war allerdings das geradlinige Spiel der Sechziger nach vorne. Beide Tore zur 2:0-Pausenführung fielen nach wenigen Ballkontakten, immer kurz nach einer Braunschweiger Chance. Die frühe Führung besorgte Bär, der nach einem Braunschweiger Ballverlust im Mittelfeld einen perfekten Pass in den Lauf spielte (3.). Das herrlich herausgespielte zweite Tor sorgten dann endgültig für stehende Ovationen: Eine Spielverlagerung über Bär, Richard Neudecker und Stefan Lex landete bei Phillipp Steinhart, der im vollen Lauf ins ferne Ecke abschloss (34.). Die Offensive wirkt befreit, die Erinnerungen an Sascha Mölders verschwimmen immer mehr. Und Bär, der in den fünf Partien seit Mölders' Weggang fünf Tore erzielt hat, wirkte gegen seinen ehemaligen Klub besonders präsent.

Umso überraschender war es dann, wie schüchtern die Sechziger aus der Kabine kamen. Mit dem kräftigen Rückenwind war plötzlich auch deutlich mehr Gegenwind zu spüren: "Braunschweig hat's gut gemacht", analysierte Köllner, man könne solch einen Gegner auch nicht 90 Minuten bearbeiten, "so gut sind wir nicht", sagte er. Die recht harte Gangart des Gegners habe außerdem den einen oder anderen jungen Spieler eingeschüchtert, man lasse sich ab und zu noch den Schneid abkaufen. Ein Kräfteproblem kam hinzu: "Wir hatten drei Spieler auf dem Platz, die frisch aus einer Coronainfektion kommen", so Köllner, und das habe man ihnen auch angemerkt. So fielen die Gegentore durch Lion Lauberbach (56.) und per Volleyschuss von Jan-Hendrik Marx (78.). Der Ausgleich entstand kurz nach einer verletzungsbedingten Spielunterbrechung, Stephan Salger und Torwart Marco Hiller waren zusammengerumpelt, beiden wirkten ein wenig benommen.

Doch so, wie Sechzig vor der Pause eine höhere Führung vergab, wäre in der Schlussphase auch noch der Sieg möglich gewesen. Nach der gelb-roten Karte für Braunschweigs Brian Behrendt (87.) hatte die Köllner-Elf mehrere Standardmöglichkeiten. Und dann war da noch Tim Linsbichler, ein Spieler, der auch nicht dazu geeignet ist, die Zuschauer zum Hinsetzen zu bringen: Der eingewechselte Österreicher hatte in der 72. Minute die Chance zum 3:1; er umkurvte Torwart Jasmin Fejzic, stand dann aber schlecht zum Ball und schob überhastet am Tor vorbei. So wird - gerade gegen Teams, die man einholen möchte, und trotz des 1:0-Sieges bei Viktoria Köln mit einer Notelf - die Kaderbreite ein Thema bleiben. Erschöpfungsbedingte Auswechslungen kann sich 1860 gegen Spitzenteams meist nicht leisten. Der nächste Gegner Meppen steht aktuell vier Punkte vor den Sechzigern - die Aufholjagd ist ja nur gebremst, aber noch lange nicht beendet.

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