Ineos bei der Tour de France:Wer ist hier der Chef?

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Geraint Thomas (re.) ist erneut gut dabei bei der diesjährigen Tour. (Foto: AFP)
  • Bei der Tour de France ist Vorjahressieger Geraint Thomas erneut stark unterwegs - auch ohne Gelbes Trikot.
  • Doch in seinem Team ist derzeit die Frage des Mannschafts-Anführers ungeklärt.

Von Johannes Aumüller, Belfort

Mit vergleichsweise wenig Aufwand und Aufregung schafft es Geraint Thomas, loszufahren. Im Zentrum von Belfort versammeln sich an diesem Freitagmorgen die Mannschaften zum Start in einen neuen Tourtag. Als Peter Sagan aus dem Bus steigt, der slowakische Exzentriker, ist das Gekreische der wartenden Fans besonders groß; auch "Julian" rufen viele Monsieur Alaphilippe hinterher, der am Donnerstag so knapp das Gelbe Trikot verlor. Und als Vorjahressieger Thomas aus dem Bus kommt, muss er zwar ein paar Autogramme schreiben und wartet auch eine zweiköpfige Fan-Delegation aus der walisischen Heimat. Aber richtig viel Action herrscht da nicht.

Es ist keine gewagte Prognose, dass sich der Ansturm auf ihn noch etwas verstärken wird im Laufe dieser Tour.

Geraint Thomas darf sich zum Ende der ersten Tour-Woche durchaus als ein Gewinner fühlen - auch wenn er bislang weder eine Etappe für sich entschied noch das Gelbe Trikot trägt. Dafür gab es einen moralischen Erfolg: Am Donnerstag, auf dem ekligen Schotterpisten-Anstieg nach La Planche des Belles Filles, war er der stärkste aller Sieganwärter - vor allem war er neun Sekunden schneller als sein Teamkollege Egan Bernal aus Kolumbien.

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Neun Sekunden, das ist normalerweise nichts im Radsport. Aber manchmal können neun Sekunden auch viel sein. Etwa, wenn sie hineinplatzen in eine schwelende Kapitänsdebatte wie beim Team Ineos (bis Mai Team Sky), das unbedingt seinen insgesamt siebten Tour-Sieg feiern will. Und wo sich mit Blick auf die schweren Etappen in den nächsten Wochen alles um die Frage dreht, ob nun Routinier Thomas, 33, oder Bernal, 22, der stärkere ist.

Geraint Thomas ist durchaus ein Mysterium. Nach seinem Toursieg 2018 hat er vor allem gefeiert. Und das so ausgiebig, dass er im Herbst zwei Monate lang gar kein Rad fuhr und bis Januar nicht mehr auf die Waage stieg. "Ich wollte es nicht wissen. Mir reichten die Bilder, um zu realisieren, wie fett ich war. Ich brauchte nicht auch noch eine Zahl dazu. Ich glaube, die hätte mich gebrochen", sagte er kürzlich. Nur 25 Renntage und damit die wenigsten aller Podiumsanwärter absolvierte er 2019 vor der Tour. Er gewann dabei keine Etappe und wurde Dritter bei der Tour de Romandie; bei der Tour de Suisse, der Generalprobe, stieg er nach einem Sturz aus.

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Sehr menschlich finden es die einen, wenn jemand nach einem solchen Triumph auch mal Fünfe gerade sein lässt. Thomas kommt ja ohnehin sympathischer rüber als die früheren Sieger Bradley Wiggins und Christopher Froome, und bisher ist mit ihm konkret auch noch kein fragwürdiger medizinischer Vorgang verbunden wie bei den Vorgängern. Andere finden es wiederum eher unmenschlich, wenn jemand nach so holpriger Vorbereitung zurückkommt und auf einer 24 Prozent steilen Rampe allen davonfährt.

Vor der Tour erklärten die Ineos-Bosse, dass es eine geteilte Leader-Rolle geben soll. Bernal und er seien keine Rivalen, versicherte Thomas treuherzig. Eine Doppelspitze passe doch auch zum modernen Radsport, findet etwa Ralph Denk, Teamchef der deutschen Bora-Truppe, für die der Ravensburger Emanuel Buchmann als Achter am Donnerstag ein beachtliches Resultat herausfuhr. Und klar, ein Sturz oder ein Defekt können alles verändern, und da ist es vorteilhaft, einen starken zweiten Mann zu haben. Aber der Radsport ist nun mal nicht die Formel 1, wo ein Team zwei Fahrer in den direkten Infight schicken kann, sondern genießt der eine eben mehr Privilegien als der andere, und mehr Unterstützung von den Teamkollegen.

Bei Ineos will davon niemand etwas hören. "Kapitänsdebatte? Bei uns gibt es keine Kapitänsdebatte", sagt Geraint Thomas am Freitag in Belfort knapp. Egan Bernal entscheidet sich, nur dem kolumbianischen Heimat-TV zu antworten, bei Fragen auf Englisch geht er schnell weg. Und Teamchef David Brailsford sagt: "Eine Kapitänsdebatte gibt es doch nur draußen, bei uns im Teambus gibt es keine."

Klar, und vermutlich gab es auch keine fragwürdigen Vorgänge bei Ineos in den vergangenen Jahren, keine seltsame Medikamentenlieferung, keine medizinische Ausnahmegenehmigung für Wiggins und keinen Salbutamol-Befund bei Froome.

Bei den Briten haben sie jedenfalls Erfahrung mit solchen Zweier-Konstellationen. 2013 war Froome klar stärker als der damalige Titelverteidiger Bradley Wiggins und machte ihn mit seiner Fahrweise fast zum Gespött, ehe es ein Machtwort zu Wiggins' Gunsten gab. Im Vorjahr war dann Froome der Patron und Thomas der aufstrebende Mann: Froome verlor am Anfang nach einem Defekt viel Zeit, Thomas war so stark, dass er nie abgehängt wurde, so klärte sich die Gelb-Frage. Aber der spätere Sieger knabberte auch daran, wie schwer das Team sich damit tat, ihn zur Nummer eins auszurufen; das führte er selbst in einem Buch nach der Tour aus.

Jetzt drängt also Bernal nach vorn, der Sieger der diesjährigen Tour de Suisse. Auf Etappe drei kam er fünf Sekunden vor Thomas ins Ziel, jetzt verlor er auf dem Schotter-Anstieg neun. Der Parcours der drei Wochen (kein Kopfsteinpflaster, wenige Zeitfahr-Kilometer, viele Bergankünfte) kommt ihm eher entgegen, aber ihm fehlt auch noch die Erfahrung.

"Wenn beide anerkennen, dass es gut wäre, wenn der andere siegt, steigt die Chance, dass es tatsächlich einem von ihnen gelingt", sagte Dave Brailsford diese Woche. Ex-Champion Wiggins monierte freilich erst im Vorjahr, dass der Teamchef seine Fahrer gerne in diese Duelle treibe und das durchaus gefährlich sei. Wenn es wider Erwarten schiefgeht mit dem neuerlichen Gesamtsieg, dürfte es jedenfalls nicht nur an den Fahrern gelegen haben.

© SZ vom 13.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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