Tour de France:Pogacars Team setzt den ersten Stich

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Erster - zumindest im Sprint der Favoriten ums Gelbe Trikot: Tadej Pogacar jubelt am Samstag in Bilbao. (Foto: Stephane Mahé/Reuters)

Die erste Etappe der Tour de France liefert das erwartete Spektakel im Baskenland: Der Brite Adam Yates gewinnt - und deutet an, wie sehr er seinem Kapitän Tadej Pogacar in den kommenden Wochen im Kampf ums Gelbe Trikot helfen könnte.

Von Johannes Knuth, Bilbao

Nur einmal wirkte es am Samstag so, als wäre Tadej Pogacar die Übersicht entglitten. Er riss die Arme hoch, jubelte wie ein Sieger, als er in Bilbao ins Ziel rauschte - knapp vor allen Mitbewerbern im Kampf um die Gesamtwertung, auch vor Jonas Vingegaard, seinem härtesten Widersacher. Aber die erste Etappe dieser 110. Tour de France hatte ein paar Sekunden zuvor ja Adam Yates gewonnen, Pogacars Teamkollege, knapp vor Bruder Simon Yates. Hatte Pogacar etwa vergessen, dass vor ihm jemand ausgebüxt war?

Natürlich nicht. Kurz darauf herzte er den Tagessieger, als sei ihm dessen Glück viel wichtiger als sein eigenes. Pogacar freute sich vermutlich auch, dass sein leicht lädiertes Handgelenk ihn nicht behindert hatte. Und am meisten dürfte ihn erfreut haben, dass sein Team etwas vollbracht hatte, was in den vergangenen Jahren nicht selten Jumbo-Visma vorbehalten war, der Equipe von seinem Rivalen Vingegaard: Diesmal hatte Pogacars Auswahl ein hektisches Finale vitalisiert, den anderen die Strategie aufgezwungen.

Und wie!

Erster Spitzenreiter der 110. Tour de France: Adam Yates sichert sich in Bilbao den Tagessieg und das Gelbe Trikot. (Foto: Jasper Jacobs/dpa)

Was hatten sie zuletzt nicht alles getan in Pogacars Lager, alles mit einem Schmelz der Verklärung überzogen. Der Slowene habe nach seinem schweren Sturz Ende April viele Trainingskilometer verpasst; Vingegaard, der Vorjahressieger, sei der große Favorit für diese Tour, gar keine Frage. Und die Domestiken in Pogacars Team, alimentiert von den Vereinten Arabischen Emiraten, seien zwar so wehrhaft wie vielleicht noch nie, aber noch nicht an die Grenze des Machbaren gestoßen. Ob Pogacar sich im Lichte dieser erschütternden Lage überhaupt an den Start trauen würde?

Nun: Der Samstag war erst der erste von 21 fiebrigen Tagen bei der Tour, schon am Sonntag steht die nächste schwere Prüfung nach San Sebastián an - aber diese ersten 182 Kilometer rund um Bilbao waren schon mit derart vielen Gemeinheiten gespickt, allein mit 3300 Höhenmetern, dass die Favoriten um den Gesamtsieg in den ersten Stresstet getrieben wurden - an dessen Ende die Stimmung im Team des zweimaligen Tour-Siegers deutlich wohltemperierter war als bei der Konkurrenz.

Der Deutsche Georg Zimmermann verliert nur knapp den ersten Kampf ums Bergtrikot

Bilbao hatte schon am Mittag vor dem Start vibriert; die Basken hatten vorgeführt, wie vielseitig sie ihre Landesflagge einsetzen können: als Lendenschurz, Umhang, Stirnband, vereinzelt auch als Körperschmuck für den Hund. Die Tour bekam ihren erhofften Emotionsrausch zum Auftakt, die Basken durften sogar ein klitzekleines bisschen auf einen Heimsieg hoffen: Pello Bilbao ist einer, der die giftigen Anstiege rund um Bilbao liebt und besser kennt als alle anderen im Peloton.

Doch dieser Tag gehörte nur zu Beginn den Außenseitern. Eine fünfköpfige Gruppe staubte bei den ersten beiden Bergwertungen noch alle Punkte ab, die im Kampf ums Bergtrikot verteilt wurden, doch 50 Kilometer vor dem Ziel, vor den drei letzten Bergwertungen, hatte sich das Peloton wieder herangesaugt. Am Côte de Vivero schnappte sich der Deutsche Georg Zimmermann dann fast jene fünf Zähler, die ihm am Samstag Platz eins in der Bergwertung beschert hätten. Doch Zimmermann verlor kurz aus den Augen, wie weit es bis zur Ziellinie war, zog den Spurt zu spät an - so darf der Amerikaner Neilson Powless am Sonntag das gepunktete Trikot anlegen.

Wo geht's hier zur Bergwertung? Adam Yates, Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard (von links) schieben sich an den baskischen Fans vorbei den Cote de Pike hinauf. (Foto: Daniel Cole/AP)

Und dann also der Côte de Pike, recht sanft auf dem ersten Kilometer, bis zu 15 Prozent steil auf dem zweiten. Die Zuschauer drängten und lärmten wie in den Pyrenäen, wer im Feld einmal den Anschluss verlor, kam nicht mehr bis zur Spitze heran. "Ein großes Durcheinander", sagte Adam Yates später, und es war sein Team, das aus diesem Chaos heraus das größte Kapital zog.

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Yates' Teamkollege Felix Großschartner setzte den ersten Stich, dann zog bald schon Pogacar davon - nur Vingegaard und der Franzose Victor Lafay hielten mit. Die schnellkräftigen Mathieu van der Poel, Julian Alaphilippe, Wout van Aert, alle Konkurrenten im Gesamtklassement: abgehängt, als die beiden großen Favoriten ums Gelbe Trikot ernst machten. Das war die erste, nicht ganz unerwartete Botschaft.

Als Pogacar sich von Vingegaard nicht absetzen konnte, schlossen die Verfolger wieder auf, in der Abfahrt nach Bilbao. Dann setzte Yates den nächsten Stich fürs UAE-Team, mit seinem Bruder Simon. Knapp fünf Kilometer vor dem Ziel habe er von Pogacar die Order erhalten, die Konkurrenz unter Stress zu setzen, sagte Yates später. Das sei "perfekt" aufgegangen, und das räumte die Konkurrenz auch ein. Man habe alles probiert, um die Lücke zu schließen, sagte van Aert, Vingegaards Teamkollege - in einem Sprint auf der letzten Rampe zum Ziel wäre van Aert wohl der Stärkste gewesen. Aber: "Die Yates-Brüder waren heute stärker", sagte der Belgier, "das ist schon enttäuschend."

Enric Mas und Richard Carapaz stürzen - und sind im Kampf im Klassement schon geschlagen

Yates ist ein interessanter Protagonist in Gelb, sein Team hatte ihn erst im vergangenen Winter verpflichtet, vor allem um Pogacar bei der Tour besser zu helfen. Mauro Gianetti, der Teamchef von UAE, hatte ihn zuletzt gar zum Co-Kapitän ausgerufen - man wisse ja nicht, wie gut Pogacar nach seinem Sturz überhaupt mithalten könne. Nun ja. Yates betonte am Samstag jedenfalls, dass Pogacar in den kommenden drei Wochen gewiss beweisen werde, dass er "der Beste der Welt" ist. Und dabei wolle er dem Slowenen helfen, attackieren, die Konkurrenz von Jumbo-Visma immer wieder zum Reagieren zwingen - so wie es Jumbo im Vorjahr mit Pogacar praktiziert hatte.

Vingegaard wirkte am Samstag indes nicht wirklich beunruhigt. Er sei sehr glücklich, es sicher ins Ziel geschafft zu haben, sagte der Däne, zumal es zwei weitere Konkurrenten schwer erwischt hatte: Der Spanier Enric Mas und der Ecuadorianer Richard Carapaz waren in der vorletzten Abfahrt gestürzt - Mas gab noch an der Unfallstelle auf. Carapaz schleppte sich zwar noch mit großen Schmerzen und einer Viertelstunde Rückstand ins Ziel, stieg aber nach Rennende ebenfalls von der diesjährigen Tour aus. Jay Hindley, die Hoffnung von Bora-Hansgrohe, erreichte indes mit den Besten das Ziel. Dort sicherte sich Pogacar noch vier Bonussekunden, als Dritter der Etappe. "Aber auch diese Tour wird am Ende sicherlich nicht um vier Sekunden entschieden", konterte Vingegaard.

Der erste Jubel gehörte trotzdem den anderen.

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