Team Bora bei der Tour de France:Mit Verspätung zu Plan B

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Emanuel Buchmann (grün-weißes Trikot) muss das Podium abhaken. (Foto: Christophe Ena/AP)

Nach den Problemen von Klassementfahrer Emanuel Buchmann in den Pyrenäen wechselt das deutsche Team Bora die Ziele: Es geht um Etappensiege - und vor allem das Grüne Trikot.

Von Johannes Aumüller

Es lässt sich leicht vorstellen, wie oft Emanuel Buchmann in diesen Tagen noch ein Rennen von vor drei Wochen in den Sinn kommt. Das Critérium du Dauphiné stand damals an, das klassische Vorbereitungsrennen für die Tour de France, Buchmann war in starker Verfassung, doch dann kam die Abfahrt von einem Berg namens Col de Plan Bois: viel Kies, viele Schlaglöcher, in einer Kehre erwischte es Buchmann, ein Sturz mit Folgen. Kurz danach gab es ein Video zu sehen, auf dem er ein Krankenhaus im Rollstuhl verließ, mit Prellungen, Schürfwunden, Rückenproblemen. Dieser Tag, er wirkt noch heute nach.

Am Montag war der erste Ruhetag der 107. Tour de France - und Emanuel Buchmann, 27, saß in La Rochelle an der Atlantikküste sehr geknickt vor der Sponsorenwand seiner Bora-Hansgrohe-Equipe. Ein Podiumsplatz, das war ursprünglich sein Ziel gewesen bei dieser Schleife, doch bei den beiden schweren Etappen durch die Pyrenäen am Wochenende musste er einen Rückschlag verkraften. Fast sechs Minuten verlor er auf den Slowenen Primoz Roglic im Gelben Trikot und dessen ärgste Verfolger.

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"Die Gesamtwertung ist überhaupt kein Ziel mehr", sagte Buchmann nun: "Mit dieser Form macht es keinen Sinn." Sie haben es sich bei Bora ja nicht leicht gemacht mit dem Frankreich-Einsatz ihres besten Klassementfahrers. Lange war nach dem Sturz bei der Dauphiné sein Start fraglich, noch am Wochenende vor dem Grand Départ ging es ihm nicht sonderlich gut. Dann entschieden sie sich doch fürs Teilnehmen, und die ersten Tage liefen recht gut.

Klar, einmal verlor Buchmann neun Sekunden, nicht viel, aber vielleicht war da schon zu ahnen, dass der gesundheitliche Zustand noch problematisch sein könnte. Er beschwerte sich nämlich darüber, dass im letzten Anstieg kein Teamkollege mehr bei ihm gewesen sei. Das ist normalerweise nicht sein Stil. Ein paar Tage später in den Pyrenäen waren zwar Teamkollegen bei ihm - aber da konnte Buchmann nicht mehr.

Peter Sagan (re.) will zum achten Mal das Grüne Trikot gewinnen. (Foto: Kenzo Tribouillard/AFP)

"Mir fehlen 15, 20 Watt, die ich vor dem Sturz und auch letztes Jahr hatte", sagte Buchmann. Ohne die fehlenden Watt könne man bei der Leistungsdichte nicht vorne mitfahren. Buchmanns Sportlicher Leiter Enrico Poitschke ergänzte: "Mental ist es schwer zu akzeptieren, dass man nicht ganz vorne mitfahren kann. Er hat monatelang darauf hingearbeitet. Wenn man dann angeschlagen in die Tour geht und merkt, dass es nicht funktioniert, ist das hart", sagte er. Das Gesamtklassement sei nun "hinfällig".

Zum siebten Mal nimmt Bora an der Tour de France teil, und dass am ersten Ruhetag das Gesamtklassement für erledigt erklärt wird, hat es noch nicht oft gegeben. Jetzt muss das Team jedenfalls die Strategie umstellen - und jenen Plan B aktivieren, den es auch gegeben hätte, falls Buchmann vor der Tour kurzfristig hätte passen müssen. An oberster Stelle, laut Sportdirektor Poitschke: das Grüne Trikot, das der Slowake Peter Sagan gerade trägt, bis zum Finale zu verteidigen - und zudem versuchen, eine Etappe zu gewinnen.

Das Grüne Trikot war zwar auch schon vor Buchmanns Problemen ein erklärtes Ziel, aber jetzt ist es noch einmal etwas wichtiger geworden. Für Sagan, 30, wäre das ein besonderer Triumph. Siebenmal trug er das Hemd des besten Sprinters bereits am Ende der Rundfahrt, in den vergangenen beiden Jahren in Diensten von Bora. Schon dabei zählte er nicht zu den wirklich schnellsten Sprintern; er gewann vielmehr das Trikot, weil er besser als die meisten anderen schnellen Sprinter über die Berge kommt und auch auf den hügeligen Etappen Punkte einsammelt.

Das sind im Grunde gute Voraussetzungen für die laufende Tour. Die ist extrem schwer und nichts für die klassischen, schweren Sprinter. Selbst auf vielen Flachetappen warten diesmal Schwierigkeiten. An diesem Dienstag und Mittwoch etwa, wenn Passagen an der Westküste anstehen, können in der Meeresnähe und dem Sumpfgebiet von Marais Poitevin Wind und Feuchtigkeit eine große Rolle spielen.

Dennoch hat es Sagan diesmal schwerer. Das liegt daran, dass seine Fähigkeiten kein Alleinstellungsmerkmal mehr darstellen. Matteo Trentin (CCC) etwa kann in schweren Rennen ebenfalls gut mithalten. Für Wout Van Aert (Jumbo), der schon zwei Etappen gewann, gilt das erst recht, aber der muss nebenbei noch helfen, den Teamkollegen Primoz Roglic zum Gesamtsieg zu geleiten. Selbst manch klassischer Sprinter wie Sam Bennett (Deceuninck) fährt bergauf viel besser als früher.

Der zweite Grund für Skepsis: Sagan präsentiert sich bei der Tour bislang nicht so stark wie in den vergangenen Jahren. "Im Mann-gegen-Mann-Duell der besten Sprinter ist er im Moment nicht konkurrenzfähig", sagt sein Teamchef Ralph Denk.

Von daher kann es gut sein, dass es einen Tagessieg braucht, damit Bora die Tour als zufriedenstellend bewertet. Dass das Team insgesamt stark ist, bewies es am Freitag, als es in einer spektakulären Etappe kurz nach dem Start geschlossen attackierte, um Sagans Konkurrenten abzuhängen - und danach fast 160 Kilometer ein scharfes Tempo anschlug. Insbesondere Max Schachmann präsentierte sich schon angriffslustig, trotz Schlüsselbeinbruchs in der Vorbereitung. Womöglich ergibt sich in der letzten Woche auf einer der schweren Alpen-Etappen auch für Emanuel Buchmann eine Chance zur Attacke - wenn er die Folgen des Sturzes bis dahin verkraftet hat.

© SZ vom 08.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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