Tour de France:Der Tag der Slowenen

Tour de France

Entriss dem tapferen Schweizer Marc Hirsch noch den Tagessieg: Tadej Pogacar.

(Foto: Pool via REUTERS)

Tadej Pogacar gewinnt, Primoz Roglic erobert nach einer turbulenten Pyrenäen-Etappe das Gelbe Trikot. Erneut reiht sich Attacke an Attacke - zum Leidwesen von Emanuel Buchmann.

Von Johannes Aumüller

Der arme Marc Hirschi war sehr zu bedauern. Fast 100 Kilometer lang war der Schweizer auf dieser schweren Pyrenäen-Etappe als Solist an der Spitze gewesen. Doch auf den letzten Metern der Abfahrt vom Col de Marie Blanque kam die Gruppe mit den besten Klassementfahrern noch heran. Und im Zielsprint verlor Hirschi dann knapp gegen Tagessieger Tadej Pogacar (Slowenien, Team UAE) und gegen Primoz Roglic (Slowenien, Jumbo), der sich mit diesem Ergebnis an die Spitze der Gesamtwertung setzte und zum ersten Mal in seiner Profikarriere das Gelbe Trikot eroberte.

Das war das angemessen spannende Finale eines turbulenten zweitägigen Pyrenäen-Blocks, den die Streckenplaner von der Amaury Sport Organisation (Aso) als ersten Härtetest der diesjährigen Tour eingebaut hatten. Schon der erste Abschnitt am Samstag verlief ungeheuer offensiv, Attacke reihte sich an Attacke, und am zweiten Tag wurde es noch intensiver. Roglic und Pogacar sprinteten zum letzten Bergpreis in einer Weise hinauf, die leicht Erinnerungen an ein dunkleres Jahrzehnt des Radsports wecken konnte. Kaum jemand konnte folgen, und am Ende war das Klassement gehörig umsortiert.

Der Brite Adam Yates musste das Gelbe Trikot abgeben und ist jetzt Achter (+ 1:02 Minuten). Roglics erster Verfolger in der Gesamtwertung ist der Kolumbianer Egan Bernal. Aber auch über das reine Ergebnis hinaus lieferten diese beiden Pyrenäen-Tage ein paar wichtige Erkenntnisse. Der offenkundig stärkste Mann ist derzeit der erst 21 Jahre alte Tadej Pogacar, der am Samstag schon alle anderen Favoriten um 40 Sekunden distanzierte, ehe er am Sonntag die Etappe gewann - der aber in der Vorwoche auf einer windanfälligen Etappe Zeit verloren hatte. Im Duell der beiden ganz großen Tour-Favoriten präsentierte sich Roglic als leicht stärker als Bernal, auch wenn sie am Ende an beiden Tagen zeitgleich ins Ziel kamen. "Das ist wunderbar", sagte Roglic nach seiner Fahrt ins Gelbe Trikot: "Jeder träumt davon, es zu tragen, wenn er mit dem Radsport beginnt." Die dritte Erkenntnis schließlich: Roglics Jumbo-Mannschaft trat klar stärker auf als Bernals Ineos-Equipe - wie sie etwa zeigte, als sie am Sonntag mit geballter Kraft den finalen Anstieg vorbereitete. Aber andererseits wirkte sie dabei nicht so dominant wie Ineos oft in den Vorjahren. Stattdessen waren Roglic, Bernal und die anderen Favoriten am Schluss jeweils ohne Helfer unterwegs. Der deutsche Klassementfahrer Emanuel Buchmann (Bora) zählte aber an beiden Tagen nicht dazu. Insbesondere am Sonntag konnte er nicht mithalten, insgesamt verlor er fast sechs Minuten auf Roglic. "Den ganzen Tag habe ich mich schlecht gefühlt. Ich war schon am ersten Berg am Limit. Ich habe mein Bestes gegeben, aber das hat nicht gereicht", sagte Buchmann. Zu schwer wiegen offenkundig die Folgen eines Sturzes beim Vorbereitungsrennen Dauphiné. Im Vorjahr war er bei der Tour Vierter geworden, nun peilte er eine Platzierung auf dem Podium an - aber das dürfte nun perdu sein. Der größte Verlierer dieses Wochenendes aber war der Franzose Thibaut Pinot. Er ist seit Jahren als der Mann auserkoren, der Frankreich den ersten Tour-Sieg seit 1985 bescheren soll - und nun misslang dieses Vorhaben zum wiederholten Mal auf dramatische Weise. Am ersten schweren Pyrenäen-Berg konnte Pinot nicht mehr folgen, 20 Minuten Rückstand waren es am Ende "Mein Rücken tut so weh, dass ich kaum Kraft habe, um in die Pedale zu treten", sagte Pinot, der auf der regenreichen ersten Etappe gestürzt war. An diesem Montag steht nun der erste Ruhetag an, aber bei dieser Tour verlaufen auch Ruhetage anders als sonst. Alle Fahrer und alle Betreuer werden auf das Coronavirus getestet. Wer positiv ist, muss das Rennen verlassen; und sollte es im 30-köpfigen Gesamtteam aus Fahrern und Betreuern zwei Positivtests geben, muss das komplette Team aussteigen.

Die Vertreter des Pelotons hoffen zwar, dass sie das nicht betrifft, weil sie sich seit Beginn der Tour ohne Kontakt zur Außenwelt bewegen. Aber zum einen fürchten sich manche vor falsch-positiven Coronatests. Sollte der Test positiv ausfallen, gibt es auch nicht zwingend einen weiteren Test zur Überprüfung. Das hinge von der Zeit ab, die es zwischen dem Vorliegen des Testergebnisses und dem Start der zehnten Etappe am Dienstag gebe, sagt die Aso.

Zuschauer halten nicht immer den nötigen Mindestabstand

Zum anderen beschäftigt die Fahrer, dass die Zuschauer ihnen an manchen Anstiegen recht nahe kommen. Viele Fans fanden sich trotz Restriktionen und Appellen am Wochenende an den Gipfeln ein, dicht aufgereiht, und wie eh und je hüpften sie mit Fahnen auf die Straße. Von Abstandswahrung war nichts zu bemerken, und das vor dem Hintergrund, dass die Zahl der Corona-Positivtests in Frankreich ständig steigt - auf zuletzt gar 9000 am Tag. Womöglich wird daher der Zugang zur Strecke noch limitierter. "Wenn solche Bilder gezeigt werden, habe ich Bauchweh, ob die Regierung, die Gesundheitsbehörden nicht einfach mal die Bremse reinhauen. So nach dem Motto: Bis hierher und jetzt nicht mehr", sagte Bora-Teamchef Ralph Denk der dpa.

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