Tour de France:Angriff der Killerwespen

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Die Wespen greifen an, rechts im Bild ihr bester Fahrer: Primoz Roglic. (Foto: AFP)

Bei der Tour de France will das Team Jumbo-Visma die ewige Dominanz von Ineos brechen. Die Pyrenäen-Etappen am Wochenende dürften zeigten, wie realistisch das ist.

Von Johannes Aumüller, Lavaur/Frankfurt

Genau acht Jahre ist es inzwischen her, dass bei der Tour de France eine neue Ära begann. Die Rundfahrt 2012 war die erste, in der das Team Ineos (damals noch Team Sky) das Geschehen im Peloton nach Belieben dominierte. Sieben der acht Frankreich-Schleifen seit jenem Sommer gewann ein Vertreter der britischen Mannschaft.

Ebenfalls genau acht Jahre ist es her, dass Richard Plugge auf ungewöhnlichem Weg in den Radsport fand. Jahrelang war er als Journalist tätig gewesen, dann wechselte er als Kommunikationsdirektor zum niederländischen Team Rabobank. Als dieses in den Dopingtrümmern unterging, stieg er kurzerhand zum Generalmanager auf und versuchte sich an einem zähen Neuaufbau. Nun, acht Jahre später, ist es just seine Jumbo-Visma-Mannschaft, die wie keine andere dafür infrage kommt, die ewige Herrschaft von Ineos zu brechen.

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An diesem Wochenende stehen bei der 107. Tour de France in den Pyrenäen die ersten richtig schweren Bergetappen an - und auch wenn die Ziellinie jeweils im Tal liegt, dürfte sich die Gesamtwertung kräftig schütteln. "Da wird das Radrennen mal richtig losgehen", hielt der deutsche Klassementfahrer Emanuel Buchmann am Freitag fest. Alles scheint bereit zu sein für den großen Zweikampf: zwischen den Dauer-Dominatoren von Ineos mit dem kolumbianischen Vorjahreschampion Egan Bernal - und eben der Jumbo-Equipe mit ihren Kapitänen Primoz Roglic (30, Slowenien) und Tom Dumoulin (29, Niederlande).

Der Teamchef musste einen schweren Verlauf einer Corona-Erkrankung bewältigen

Es ist eine stete Entwicklung gewesen, die Jumbo in diese Position gebracht hat. Schon 2018 kamen bei der Tour zwei Fahrer unter die Top fünf. Im Vorjahr gelangte Steven Kruijswijk aufs Podium, Roglic ragte mit Platz drei beim Giro und dem Gesamtsieg bei der Vuelta heraus. Zu dieser Saison verstärkte Dumoulin, Giro-Sieger 2017 und Tour-Zweiter 2018, das Team. Beim Vorbereitungsrennen Dauphiné vor wenigen Wochen präsentierte sich dieses dann so stark, dass der Rivale Richie Porte im Angesicht der schwarz-gelben Jumbo-Shirts ehrfurchtsvoll von "Killerwespen" sprach.

Bei der Tour fehlt nun zwar Kruijswijk verletzt, aber mit den Kletterern George Bennett und Sepp Kuss und auch Tony Martin gibt es genügend starke Helfer. Und anders als in den Vorjahren ist im Aufgebot kein vollblütiger Sprinter dabei und konzentriert sich alles auf die Gesamtwertung - was den starken Allrounder Wout Van Aert freilich nicht daran hinderte, schon zwei Flachetappen zu gewinnen.

Es ist erstaunlich, dass Jumbo einen solchen Kader komponieren konnte, denn finanziell ist das Team keineswegs herausragend ausgestattet. Zwar bewegt sich das Budget nach mageren Jahren nun bei circa 20 Millionen Euro und damit im vorderen Mittelfeld der World-Tour-Teams. Aber das ist bloß knapp die Hälfte von dem, was Ineos in seinen Kader stecken kann. Dennoch wird Jumbo von den Fahrern sehr geschätzt; Tony Martin bezeichnete es kürzlich als "das professionellste Team", für das er gefahren sei.

Teamchef Plugge, der im Frühjahr einen schweren Verlauf einer Corona-Erkrankung bewältigen musste, meldet sich zwar gerne zu sportpolitischen Fragen zu Wort, etwa in der Debatte um mehr Streckensicherheit mit dem Radsport-Weltverband UCI. Aus dem sportlichen Ressort aber, so heißt es, hält er sich anders als andere Teamchefs tendenziell raus. Dort ist vor allem seine rechte Hand Merijn Zeeman der maßgebliche Mann.

Es wirkt freilich auch manches aus der Zeit der Rabobank-Trümmer nach, als der niederländische Rennstall ein besonders schattiges Beispiel für die Dopingverbreitung im Peloton war. Teamchef Plugge beteuerte oft, wie wichtig die Etablierung einer neuen Anti-Doping-Kultur sei. Er statuierte auch mal ein Exempel, als er drei Fahrer wegen des Konsums von (nicht verbotenen) Schlafmitteln suspendierte - weil sie dies der Teamleitung nicht gemeldet hätten.

Andererseits gehört zu den Sportlichen Leitern auch der Deutsche Grischa Niermann, der wie zahlreiche andere frühere Rabobank-Fahrer Doping eingeräumt hat. Zudem geriet Jumbo im Vorjahr in die Kritik, als bekannt wurde, dass sie mit Ketonpräparaten experimentierten. Diese Mittel zur schnellen Fettverbrennung sind zwar nicht verboten, die Ärzte manch anderer Teams lehnen sie aber ab, weil die Folgen unklar seien.

Jumbo scheint jedenfalls gewappnet zu sein für das große Duell. In den ersten Tagen der Tour wirkte die Equipe meist aktiver als Ineos, durch Roglic und Van Aert gelangen schon drei Etappensiege. Aber auf die Teamleitung könnte noch eine schwierige Situation warten: Denn mit dem früheren Skispringer Roglic und Dumoulin, Spitzname "Schmetterling von Maastricht", kommen ja zwei Fahrer für den Tour-Sieg infrage - womöglich braucht es irgendwann eine Entscheidung, wer die Nummer eins ist. Das ist eine Konstellation, wie sie Ineos in den Vorjahren öfter erlebt hat. Diesmal gibt es bei den Briten immerhin, nach der Ausbootung der früheren Tour-Sieger Geraint Thomas und Chris Froome, in Egan Bernal einen klaren Kapitän.

© SZ vom 05.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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