Tour de France:Jähes Ende nach den Rangeleien

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Reumütig nach dem Ausschluss: Tony Martin. (Foto: Sirotti Stefano / imago)
  • Tony Martin und der Waliser Luke Rowe werden von der Tour de France ausgeschlossen.
  • Die beiden hatten sich auf der 17. Etappe mehrere Rangeleien geliefert.
  • Beide empfinden die Strafe als harsch, doch es gibt Argumente für die rigorose Regelauslegung.

Von Johannes Knuth, Embrun/Valloire

Tony Martin erschien am Donnerstagmorgen mit gefasster Miene am Start. Sein Fahrrad klemmte noch auf dem Dach des Begleitautos, wie die Räder seiner Teamkollegen, die sich bald auf die 208 Kilometer von Embrun nach Valloire machen würden. Allerdings hatte Martin auch seinen gepackten Koffer mitgebracht. Sein Einspruch wurde zwar noch verhandelt, noch glomm die Hoffnung, dass ein Ad-hoc-Panel des Internationalen Sportgerichthofs den Deutschen in letzter Minute vor Anbruch der Etappe freipauken könnte. Aber der 34-Jährige ahnte schon, dass er etwas abwenden wollte, was kaum abzuwenden war: dass die 106. Tour de France am Donnerstag ohne ihn und den Waliser Luke Rowe in ihr großes Finale in den Alpen rollen würde.

Die Kommissare hatten beide am Mittwochabend nach der Etappe von Pont du Gard nach Gap (die der Italiener Matteo Trentin als Solist gewann) von der Rundfahrt verbannt, mit 1000 Franken Strafe belegt und ihnen je 50 Punkte in der Weltrangliste des Radsport-Weltverbands UCI abgezogen. Fernsehaufnahmen hatten gezeigt, dass Martin den Waliser fast in den Straßengraben gedrängt hatte, Rowe hatte Martin kurz darauf die Hand ins Gesicht gedrückt. Die Streithähne versöhnten sich zwar noch während des Rennens und beteuerten im Ziel unisono, im Grunde sei ja kaum was passiert. Doch kurz darauf wurden sie zu den Kommissaren zitiert. Rund eine Stunde verbrachten sie in jenem Bus, in dem die Jury die Fernsehbilder auswertete, die sie seit zwei Jahren bei strittigen Fällen hinzuzieht. Da zeigte sich schon, dass eine wuchtigere Debatte heraufzog.

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So sehr die Kontrahenten zuvor aneinandergerasselt waren, so einig traten sie auf, als sie der Bann getroffen hatte. Martin und Rowe nahmen im Hotel von Rowes Ineos-Auswahl gemeinsam ein Video auf, das später auch von Martins Jumbo-Visma-Equipe verbreitet wurde. Ja, man habe einen Fehler gemacht, sagten die Fahrer und schauten wie Schulbuben drein, die gerade bei einem Streich ertappt worden waren. Ja, es sei in der Hitze des Gefechts passiert - bei 35 Grad am Mittwoch, nach fünf Stunden im Sattel. Aber deshalb vom Hof gejagt zu werden, das sei zu harsch.

Fürsprache gab es durchaus im Peloton, unter anderem von Rowes Teamkollege Geraint Thomas: "Beide kämpfen darum, ihre Leader in die beste Position zu bringen. Das ist nichts Verrücktes", sagte Thomas; Rowe war vor der Rangelei schon mit Martins Kapitän Steven Kruijswijk aneinandergeraten. Später legte Martin noch bei Spiegel online nach: "Ich denke, die Jury wollte ein Exempel an uns statuieren." Ob die Jury auch einen Franzosen disqualifiziert hätte?

"Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht der Fall gewesen wäre." Allerdings ließen sich auch ein paar Indizien sammeln, die einen anderen Schluss zuließen. Martin hatte Rowe mit seinem Lenkmanöver fast in eine schwere Kollision gedrängt - der Waliser hielt sich gerade noch auf seinem schlingernden Rad und steuerte knapp einen halben Meter an Zuschauern am Straßenrand vorbei. Und Rowe drückte Martin seine Hand daraufhin so vehement ins Gesicht, dass der zusammenzuckte - auch wenn das nicht als Schlag gemeint war, wie Rowe später beteuerte. Aber als was sonst? Dass die Parteien sich noch im Rennen außergerichtlich einigten, änderte auch wenig an der gefährlichen Dynamik, die sie zuvor entfacht hatten. Und dass sich solche Vorfälle "mehrmals am Tag" ereignen, wie Rowe reklamierte, war, nun ja, eine mutige These.

Martin, sagte sein ehemaliger Teamkollege und heutige TV-Experte Bradley Wiggins später, sei ein netter Junge, ihm rutsche aber ab und zu ein "Brainfart" raus - was sich am unverfänglichsten noch mit "mentaler Aussetzer" übersetzen lässt. Die Jury erachtete das Ganze jedenfalls als "unangebrachte Haltung" und damit für disqualifikationswürdig. Grundlage war Artikel 8.2.1 der UCI-Hausordnung, der einen Ausschluss empfiehlt, wenn Fahrer "Anweisungen ignorieren, sich unangemessen, gefährlich oder gewalttätig verhalten, die Umwelt oder das Image des Sports beschädigen". Wiederholte Vorfälle, wie am Mittwoch, können dabei strafverschärfend wirken. Letztlich hatte die Jury wohl die Wahl zwischen einer dunkelgelben und einer roten Karte - und entschied sich offenbar, im Schlussspurt der Tour nicht zu viel Nachsicht zu gewähren.

Beiden Teams fehlen nun wichtige Helfer auf den drei entscheidenden Abschnitten in den Alpen: Martin als Lokomotive und Leibwächter für Kruijswijk, der am Donnerstag im Klassement auf den vierten Rang zurückrutschteRowe als sogenannter Road Captain. Es ist eine wenige sichtbare, aber wichtige Rolle: Ein Road Captain sichtet Etappenprofile und Gefahren, er ist im Rennen der Verbindungsmann zwischen dem Begleitauto, den Helfern und seinem eigentlichen Kapitän, im Fall von Ineos sind das die Klassement-Kandidaten - also Bernal, der sich am Donnerstag vom fünften auf den zweiten Gesamt-Rang schob, vor Thomas, dem Titelverteidiger.

Für Martin endet so auch jäh eine Tour, die es bisher gut mit ihm gemeint hatte. Der viermalige Zeitfahr-Weltmeister hatte sein Team im Mannschaftszeitfahren zum Erfolg gezogen, hatte Verfolger gestellt und sich auch sonst verdient gemacht, so dass sie im Team ganz verzückt waren. Er fühlte sich auch sicht- und hörbar wohler als bei der Katjuscha-Equipe, die er im Winter verlassen hatte. Und nun? "So kurz vor dem Ziel in Paris aus dem Rennen genommen zu werden, ist nicht schön", sagte er am Donnerstag, bevor er sich zum Flughafen aufmachte, aber jetzt freue er sich halt auf die Spanien-Rundfahrt im Herbst. Und auf die Familie.

© SZ vom 26.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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