Torwart Manuel Neuer:Koan Ball

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Bayerns Manuel Neuer ist ein Spitzentorhüter bei einem Spitzenverein mit einer Spitzenbilanz - und das ist nicht nur gut. Denn wie soll er sich auszeichnen und in die Herzen der Münchner Anhänger spielen können, wenn er keinerlei Bälle halten muss? Wie gut, dass es seinen alten Herzensklub Schalke 04 gibt.

Christof Kneer

Die Ja-nein-Frage ist eine ziemlich praktische Erfindung. Sie ist unmissverständlich, sie macht keine Umstände, sie braucht nicht viel Zeit. Fragt man etwa den Münchner Fußballtorwart Manuel Neuer, ob er Fan von Borussia Dortmund sei, so kann er präzise mit "nein" antworten. Und fragt man ihn, ob er es ungerecht fände, wenn die Schalker Fans ihn am Sonntag auspfeifen würden, dann. . . - ja, dann wird's kompliziert.

Manuel Neuer beim Spiel in Villareal: Bei den Bayern bekommt der Torhüter bislang kaum einen Ball zu halten. (Foto: dpa)

Der Fußballtorwart Manuel Neuer hat ein Problem zurzeit, genauer gesagt, er hat drei. Er ist ein Spitzentorhüter bei einem Spitzenverein mit einer Spitzenbilanz. Das ist bedrohlicher, als es klingt. Es ist nämlich so, dass im Moment niemand genau sagen kann, wie das alles zusammenhängt - ob die Bilanz (kein Gegentor seit 658 Minuten) so gut ist, weil der Spitzentorwart so gut ist, oder ob das nicht doch an dem Spitzenverein liegt, der so gut ist, dass man zur Not auch einen Dortmund-Fan ins Tor stellen könnte. "Als Torwart freu' ich mich doch, wenn wir zu Null spielen", sagt Neuer.

Manuel Neuer, 25, kann im Moment nicht Manuel Neuer sein. Er kann nicht halten wie Neuer, und er kann nicht reden wie er. Ersteres liegt daran, dass es zurzeit nichts zu halten gibt in diesem Verein, der nach den Episoden mit den Defensivverächtern Jürgen Klinsmann und Louis van Gaal trotzig die Schleusen schließt. Und Letzteres liegt daran, dass es am Sonntag nach Schalke geht. Neuer kann nicht sagen, dass er Schalke immer noch im Herzen trägt, weil das verirrte Bayern-Fans wieder auf die Idee bringen könnte, Koan-Neuer-Plakate zu basteln. Dass Bayern viel toller ist als Schalke, kann Neuer auch nicht sagen, weil das schrille Pfeifkonzert, das ihn auf Schalke erwartet, dann noch schriller würde und die Plakate noch gemeiner.

Ob er Bayern und Schalke mal vergleichen könne, wurde er noch gefragt. "Beides sind Klassevereine", sagte Neuer.

Die Bayern haben ihren Torwart am Freitag nochmal kurz der Presse zugeführt, es wollte ja doch jeder wissen, ob Neuer sich freut auf dieses Spiel, ob er Respekt hat und, wie gesagt, ob er es ungerecht fände, wenn sie ihn auspfeifen. "Das Schalker Publikum ist emotional, und man weiß, dass die Leute den Fußball dort leben", sagte Neuer, er selbst habe "viel für den Verein getan - wer dann pfeift oder jubelt, der muss es selbst wissen". Eine Antwort war das nicht, aber doch die beste, die er geben konnte.

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Neuer ist der Aufregung mit verschmitzter Diskretion begegnet, er hat Ja-nein-Fragen mit Sowohl-als-auch beantwortet und einmal sogar mit "nee" (auf die Frage, ob er als Schalke-Fan sich selbst auch auspfeifen würde). Das Vorspiel hat er souverän heruntergespielt, er geht gut vorbereitet in jenes Match, das im offiziellen DFL-Kalender als Schalke gegen Bayern firmiert, inoffiziell aber nichts anderes ist als das Manuel-Neuer-Spiel. Für ihn ist dieses Spiel tatsächlich eine echte Prüfung - Neuer geht als Staatenloser in dieses Spiel, die einen Fans haben ihn ausgebürgert und die anderen noch nicht so richtig eingebürgert, und die Kunst wird nun darin bestehen, sich einzureden, dass er niemandem etwas beweisen muss, keinem Lager, den Schalkern nicht und nicht den Bayern.

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Markus Schäflein

Ich hab' Manu gesagt: Bleib ruhig, überdreh' nicht, deine Spiele kommen noch", sagt Andreas Köpke, der Bundestorwart-Trainer, der ein natürliches Interesse daran hat, dass diese spektakuläre Torwartbegabung ihre Leichtigkeit nicht verliert. Denn das ist ja Neuers aktuelles Luxusproblem: dass er koan Ball aufs Tor kriegt. Im ersten Saisonspiel gegen Mönchengladbach hat er ein Tor verschuldet, weil er, wie Köpke sagen würde, für einen Moment überdreht hat.

Er kam furchtlos aus seinem Tor herausgestochen, er wollte dem Bayern-Anhang gleich mal zeigen wollte, wie ein modernen Torwart Fußball spielt, aber der Bayern-Anhang sah nur, wie Neuer am Ball vorbeisegelte. Ansonsten: ein schön gehaltener Schuss von Arango (Gladbach), ein nicht gehaltener Kopfball von Helmes (wegen angeblichen Abseits' aberkannt) sowie Spiele gegen Kaiserslautern, Hamburg und Freiburg, deren Profis ihn zirka nullmal prüften. "Aber im Training werde ich voll gefordert", sagt Neuer mit tapferer Selbstironie.

Die Bayern würde ihrem Keeper ja gerne helfen bei seiner Akklimatisierung in ihrem Tor, aber sie können ja schlecht die alte Klinsmann-Taktik hervorholen und den Gegner einfach stürmen lassen. Hilfsweise verlegen sich die Spieler darauf, ihren Torwart für seine beruhigende Ausstrahlung zu belobigen, aber leider hat niemand einen Geigerzähler, mit dem sich messen ließe, dass Neuer gegen Freiburg acht Prozent mehr Ausstrahlung hatte als zuvor gegen den HSV.

Der Torwart, der wie kein Zweiter das Spiel beschleunigen kann, muss jetzt langsam machen. Er muss lernen zu warten. "Manuel war bei seinem Wechsel schon bewusst, dass er sein Spiel etwas umstellen muss", sagt Andreas Köpke, "er wusste, dass er bei Bayern weniger Szenen haben wird, bei denen aber hellwach sein muss." Was Köpke nicht sagt, aber weiß: In München könnte sich der Weltklassetorwart Neuer jene letzte Facette des Torwartspiels aneignen, die ihm zur Komplettierung seiner Fähigkeiten noch fehlt.

Neuer ist kein Konzentrationsmonster wie Oliver Kahn eines war, er hypnotisiert den Ball nicht, zwingt ihn nicht mit bösen Blicken, in seine Arme zu kommen. Er ist eher der Lausbub im Tor, manchmal greift er im Training ein bisschen lässig zu, manchmal ist er in Gedanken auch schon beim Abwurf. "Bei Bayern wird Manu seine Konzentration weiter schulen, und dann ist er vollends perfekt", sagt Köpke mit einem Schmunzeln, "dann ist er unbezwingbar."

Schalke hat übrigens 0:0 gespielt in der Europa League bei Steaua Bukarest, aber Neuer sagt, der Klub habe "eine tolle Offensive, die uns fordern wird". Es klingt hoffnungsfroh.

© SZ vom 17.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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