Tischtennis in Neu-Ulm:Ein Streit eskaliert

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Seine Äußerung im Netz löste viel Ärger aus: Dimitrij Ovtcharov, hier im Champions-League-Halbfinale gegen Borussia Düsseldorf. (Foto: Revierfoto/Imago)

Dimitrij Ovtcharov hat die Tischtennis-Bundesliga mit einem Post in Aufruhr versetzt. Seinen Vorwurf an den Düsseldorfer Manager Preuß löscht er zwar schnell wieder. Doch in Wahrheit geht es ohnehin um Grundsätzlicheres.

Von Andreas Liebmann

Andreas Preuß war außer sich. 35 Jahre lang schaue er hier nun schon Tischtennisspiele an, erklärte der Manager von Borussia Düsseldorf, aber so eine unglaubliche Partie wie dieses Champions-League-Halbfinal-Rückspiel gegen den TTC Neu-Ulm habe er noch nie erlebt. "Heute hat der Tischtennissport gewonnen", rief er.

Das war am vergangenen Sonntag. Nach einem 3:2-Erfolg Neu-Ulms im Hin- und einem Düsseldorfer 3:2 im Rückspiel musste das erste Golden Match der Champions-League-Geschichte über den Finaleinzug entscheiden, eine Art Elfmeterschießen. Noch ahnte Preuß nicht, dass sein Klub durch diese knappste aller Entscheidungen weiterkommen würde, mit Timo Boll, Dang Qiu und Anton Källberg; Preuß' Begeisterung war davon unabhängig. Wenige Tage nach dem Spektakel allerdings wird sich der 60-Jährige schon fragen, ob tatsächlich die Sportart gewonnen hat in den vergangenen Tagen. Denn im deutschen Tischtennis ist ein Streit auf eine Weise eskaliert, die Preuß überrascht hat - ebenso wie die Tatsache, dass er plötzlich mitten in dessen Zentrum stand.

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Den Konflikt dahinter gab es schon vor dem Champions-League-Duell, und eigentlich, dachte Preuß, habe dazu längst alles auf dem Tisch gelegen, inklusive der Drohung des TTC Neu-Ulm, die Tischtennis-Bundesliga (TTBL) zu verlassen. 2019 vom Verleger Florian Ebner gegründet, hatte der Klub am Rande Bayerns vor dieser Saison ein Team um den aus Russland heimgekehrten Dimitrij Ovtcharov verpflichtet, das ihn auf einen Schlag zum Favoriten auf den deutschen Pokalsieg und den Champions-League-Titel machte: mit dem Schweden Truls Moregardh, dem Taiwaner Lin Yun-ju, Ovtcharov und dem Japaner Tomokazu Harimoto, vier Spielern aus den Top Ten der Weltrangliste. Im Pokalfinale setzte sich der TTC im Januar durch, holte mit 3:0 gegen Düsseldorf den ersten Titel der Klubhistorie. Der zweite ging den Schwaben am Sonntag durch die Lappen.

Jenen Regelverstoß, der seitdem heiß diskutiert wurde, beging Neu-Ulm kurz nach dem Pokalfinale: Da ließ er Moregardh und Lin zu Klubs in Schweden und Japan ziehen, weil er sie für die restlichen TTBL-Ligaspiele (in denen er drei junge Russen einsetzt) nicht mehr benötigte. In Deutschland ist jedoch keine doppelte Spielberechtigung erlaubt, das gilt auch in der eigenständigen TTBL. Weil die Spieler aber nicht fristgerecht zur Rückrunde gewechselt waren, um das Pokalfinale nicht zu verpassen, waren sie vertragsmäßig eben bis Saisonende an die TTBL gebunden - und die reagierte nun hart: Sie verhängte gegen Moregardh und Lin Vertragsstrafen à 10 000 Euro und Zehn-Spiele-Sperren für die kommende Saison.

Die verspäteten Vereinswechsel waren ein bewusster Verstoß, Ebner gibt das zu. An der Rechtmäßigkeit der Strafen zweifelt er. Darüber wird am Ende wohl ein ständiges Schiedsgericht unter Vorsitz des ehemaligen Handball-Nationaltorhüters Andreas Thiel entscheiden. Ebner prüft seitdem die Option, mit seinen Größen künftig nur noch in der Champions League anzutreten, aus der TTBL mit Liga- und Pokalspielen also auszuscheren. Am Montagabend äußerte sich dann Ovtcharov in den sozialen Medien zum möglichen TTBL-Ausstieg - und brachte die Strafen gegen seine Mitspieler damit in Verbindung, dass Preuß als Düsseldorfs Manager zugleich dem TTBL-Aufsichtsrat vorsitzt und dort persönliche Vorteile suche. Ein Vorwurf, den er zwar wieder löschte, der seitdem aber in der Welt ist. Preuß reagierte: Er sei "sehr enttäuscht" von Ovtcharov, stellte er klar, dieser habe sich mit haltlosen Äußerungen "völlig verrannt" - zumal er, Preuß, im Aufsichtsrat nur Aufsicht führe und nichts entscheide. Die TTBL schrieb von "diffamierenden Behauptungen". Beide betonten den Vorsatz der Neu-Ulmer Regelverstöße, den man habe sanktionieren müssen: "Wir waren entsetzt", sagt Preuß.

Es geht durchaus um Grundsätzliches - aber wohl nicht darum, Düsseldorfs Rivalen kleinzuhalten. Preuß selbst war 2019, als die Liga kontrovers darüber beriet, ob sie eine Wildcard an den finanzkräftigen Ulmer Unternehmer veräußern solle, ein großer Befürworter - um den Wettbewerb anzukurbeln, wie er sagt, und weil er sich einen Zuwachs an Infrastruktur erhofft habe. Das heikle Thema im Hintergrund ist vielmehr das Verbot der doppelten Spielberechtigung, das Neu-Ulm unterlaufen hat. Erst im November hatte die TTBL mit ihren Mitgliedern, also allen Erstliga-Klubs, zuletzt über dieses Dauerthema beraten und einstimmig die bisherige Linie bestätigt: Wer in Deutschland spielt, darf solange für keine anderen Klubs antreten. Das soll Wettbewerbsverzerrungen verhindern und die Identifikation mit den Vereinen hoch halten. Denn auch wenn die neue Weltcup-Serie WTT immer mehr internationale Einsätze erfordert und die Profis in Terminnot bringt, verdienen diese dort kaum Geld. "Falls das mal anders wird, müssten wir unsere Haltung ändern", weiß Preuß. Bis dahin tut die TTBL alles, um in der "Zerrissenheit" zwischen Individual- und Mannschaftssport ihre Bedeutung zu wahren.

Die Tischtenniswelt ist klein. Ovtcharov trainiert wie fast alle deutschen Topspieler in Düsseldorf, zehn Meter Luftlinie von Preuß' Büro entfernt. Einen persönlichen Kontakt habe es seit dem Vorfall trotzdem nicht gegeben, sagt Preuß. Nachtragen werde er niemandem etwas, und er hoffe, sich weiter mit starken Rivalen wie Neu-Ulm messen zu können. Ob das auch in der TTBL noch möglich sei oder künftig nur noch in der Champions League, das vermochte Ebner am Mittwochabend allerdings noch nicht sagen.

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