Kiel wird deutscher Handball-Meister:Alles wie immer? Mitnichten

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Die Hände in die Höhe: Kapitän Domagoj Duvnjak (links) stemmt zusammen mit Torhüter Niklas Landin, der den THW verlassen wird, die Meisterschale. (Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Der THW Kiel gewinnt seine 23. Meisterschaft. Das klingt nach Routine, doch die abgelaufene Liga-Saison war eine der spannendsten der jüngeren Geschichte. Nun verliert der neue Meister seine besten Spieler - was der Dramatik nicht schadet.

Von Ralf Tögel

Domagoj Duvnjak blieb es vorbehalten, die silberne Schale als erster in die Höhe zu stemmen. Wieder einmal. Es ist kein ungewohntes Bild, dass der Kapitän der Kieler Handballer mit diesem symbolischen Akt die Feierlichkeiten zur deutschen Meisterschaft einläutet: Rekordmeister THW Kiel hat am Sonntagabend immerhin seinen 23. Titel eingesammelt. Alles wie immer, große Langeweile? Mitnichten, denn dass sich fünf Mannschaften bis tief in die zweite Saisonhälfte Chancen auf den Titel ausrechnen konnten, darf als einmalig gelten. Die Kieler waren zehn Partien vor Saisonschluss einer immens fordernden Spielzeit auf Tabellenrang drei gelistet - und verströmten keineswegs jene Souveränität, die sie so oft zum Titel geführt hatte.

Allerdings steigerten sich die großen Spieler in ihren Reihen zur rechten Zeit, weshalb sie im Saisonfinale hauchdünn die Nase vor Titelverteidiger SC Magdeburg über die Ziellinie streckten. Nach dem lockeren 34:27-Sieg bei Frisch Auf Göppingen betrug der Vorsprung letztlich zwei Punkte und ein um 29 Treffer besseres Torverhältnis. Die entthronten Magdeburger können dafür in einer Woche im Finalturnier der Champions League noch den Königstitel holen - der THW dagegen ist in der Königsklasse im Viertelfinale gescheitert. Die Zeiten, in denen ein Verein das Geschehen dominiert, scheinen endgültig vorbei zu sein, denn auch im Pokal wurden die Kieler vorzeitig - zu Hause von Magdeburg - aus dem Rennen geworfen. Den Cup sicherten sich die Rhein-Neckar Löwen in einem an Klasse und Spannung schwer zu überbietenden Finale nach Siebenmeterwerfen, eben gegen die Sachsen-Anhaltiner.

Kiel muss prominente Spieler verabschieden

Aber neben dem neuen Meister, dem Titelverteidiger und dem Pokalsieger gab es zwei weitere ernst zu nehmende Anwärter auf die Meisterschale, lange waren die Berliner Füchse auf bestem Wege zum nationalen Titel, dem angesichts der Qualität in der Handball-Bundesliga (HBL) wertvollsten im internationalen Vergleich. Die Berliner immerhin haben den Sieg in der European League beim Final Four in Flensburg gefeiert, womit man beim Verlierer der Saison wäre: Die SG Flensburg-Handewitt war mit einer Serie von wettbewerbsübergreifend 21 ungeschlagenen Spielen zum Pokal-Endturnier nach Köln gereist, wo sie dem späteren Sieger nach schwacher Leistung schon im Halbfinale unterlag. Eine Niederlage wie ein Hammerschlag, die den Pokal-Favoriten nachhaltig aus der Bahn boxte: Erst beendete eine schmerzhafte Zehn-Tore-Pleite im Nordderby in Kiel die Chancen im Titelrennen, dann verspielte Flensburg als Ausrichter die als sicher verbuchte Teilnahme am Finalturnier der European League mit erneut indiskutabler Leistung im Viertelfinale - und entließ schließlich Trainer Maik Machulla.

Dass die enorme Spannung dieser Saison ein attraktiver Ausreißer nach oben bleibt, ist nicht zu erwarten. Zum einen muss der THW prominente Spieler verabschieden: allen voran den zweimaligen Welthandballer Niklas Landin. Der 34-Jährige hat die dänische Auswahl im Januar zum dritten Mal in Folge zum Weltmeistertitel geführt und wird nun in die Heimat zurückkehren. Dort schließt er sich dem Meisterschaftszweiten Aalborg an, der dank millionenschwerer Subventionen in der kommenden Saison die Champions League angreifen will, wofür neben Landin unter anderem die Weltklasseakteure Mikkel Hansen (aus Paris) und Aaron Palmarsson (aus Barcelona) geholt wurden.

Auch Sander Sagosen zieht es zurück in die Heimat, er geht zu seinem norwegischen Heimatverein Kolstadt. (Foto: Thomas Haesl/Eibner/Imago)

Auch Spielmacher Sander Sagosen wird sich einem ähnlichen, finanzstarken Projekt seines norwegischen Heimatvereins Kolstadt anschließen. Kiel verliert damit zwei Unterschiedsspieler mit dem Prädikat "nicht zu ersetzen", deren besondere Qualität es ist, gerade in entscheidenden Momenten die beste Leistung abzurufen - was sie im Saisonendspurt eindrucksvoll unter Beweis stellten. Auch Mihai Zarabec, Spielmacher des slowenischen Nationalteams (wechselt zum polnischen Champions-League-Klub Plock), wird eine Lücke hinterlassen, zudem geht Rechtsaußen Yannick Fraatz nach einer Leihe zurück zum Bergischen HC.

Übermäßige Sorgen muss der Aderlass dem Meister aber nicht bereiten, Kiel verfügt über den in der Breite bestbesetzten Kader. Zudem steht der französische Olympiasieger Vincent Gerard als Landin-Nachfolger bereits fest. Bedenkenswert ist eher, dass die Konkurrenten den Abstand nicht nur nachweislich verkürzt haben, sondern daran arbeiten, die Kieler zu überholen.

Bei Nationalspielern sind die Belastungen derart stark, dass sie oft zu Verletzungen führen

Vor allem die gebeutelten Flensburger: Neben Kay Smits aus Magdeburg, dem wohl besten Spieler der abgelaufenen Saison, kommt in den Weltmeistern Simon Pytlick und Lukas Jörgensen sowie Trainer Nicolej Krickau ein Dänen-Paket von Meister GOC Handbold. Berlin, Magdeburg und die Rhein-Neckar-Löwen halten ihre hochkarätigen Kader nicht nur weitgehend zusammen, sondern verstärken diese punktuell. Das verspricht auch für die kommende Saison Spannung und garantiert, dass die Bundesliga trotz aller Projekte und Spitzenvereinen wie Barcelona oder Paris das Maß der Dinge im Welthandball bleiben wird. Kiel und Magdeburg werden die HBL erneut in der Champions League vertreten, Flensburg, die Rhein-Neckar Löwen und Berlin in der European League spielen.

Weil die Füchse den Titel im international zweithöchsten Wettbewerb gewonnen haben, der in den vergangenen 20 Jahren nur dreimal nicht an einen Bundesligisten ging, wird auch der TSV Hannover-Burgdorf dort vertreten sein. Kein anderes Land hat so viele Klubs im internationalen Geschäft, zudem drängen Vereine wie die finanzstarke MT Melsungen, der ehemalige Champions-League-Sieger HSV Hamburg oder der wieder erstarkte VfL Gummersbach ins Rampenlicht. Bei aller Attraktivität liegt allerdings in der enormen Qualität der Liga ihr größtes Problem: Weil die Spitzenteams fast ausschließlich aus Nationalspielern bestehen, sind diese brutalen Belastungen ausgesetzt, worunter alle Vereine zu leiden hatten.

Das war gut zu beobachten beim letzten Kieler Auftritt in Göppingen: Da standen der Schwede Eric Johanssen und Steffen Weinhold in Zivil in der Halle, die beiden Nationalspieler fallen seit längerem verletzt aus.

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