Malick Thiaw:Erfolgreicher Absolvent der italienischen Lehre

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Bester Deutscher in Warschau: Malick Thiaw. (Foto: Marc Schueler/Schüler/Imago)

Beim 0:1 des DFB-Teams in Polen war er die positive Überraschung des Tages: Malick Thiaw, vor Kurzem noch Zweitligaspieler bei Schalke 04, zeigte, welchen Sprung er in Mailand gemacht hat.

Von Philipp Selldorf, Warschau

Auf dem Weg zum Ausgang nahm Malick Thiaw nicht nur Abschied vom Warschauer Nationalstadion, in dem er gerade ein anerkannt gelungenes Nationalelf-Debüt feiern durfte, sondern auch von jener Mannschaft, der er bis vor einem halben Jahr als Kapitän vorgestanden hatte: Zwar ist seine Mitgliedschaft im U21-Team des DFB schon im Frühjahr ausgesetzt worden, als er erstmals in den 1-A-Kader aufrückte. Doch inzwischen hat sich auch die eventuelle Rückkehr ein für alle Mal erledigt, den Junioren ist er entwachsen, und so blieben ihm jetzt nur die besten Wünsche an die ehemaligen Kollegen, die in der kommenden Woche an einem Ort namens Kutaissi (liegt angeblich in Georgien) in die Europameisterschaft starten: "Ich drücke den Jungs die Daumen", sagte Thiaw, "sie haben eine Top-Mannschaft."

Das Thema U21 hatte der Bundestrainer schon vor dem Einstand des 21 Jahre alten Thiaw beendet. Hansi Flick machte von seinen Privilegien Gebrauch und beschlagnahmte den beim AC Mailand tätigen Verteidiger für die eigenen Zwecke. Der für die U21 zuständige Kollege Antonio di Salvo muss sich beim Turnier mit Maximilian Bauer vom FC Augsburg und Yann-Aurel Bisseck vom dänischen Klub Aarhus GF behelfen. Hier deutet sich eine spannende Randgeschichte an, denn Bisseck, 22, soll ein schon sehr konkretes Interesse bei Inter Mailand geweckt haben, so dass es künftig beim lombardischen Derby womöglich ein rheinisches Verteidigerduell geben wird: der Düsseldorfer Thiaw gegen den Kölner Bisseck. Brisanter geht's nicht.

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Was die italienische Schule dem deutschen Fußball geben kann, dafür ist Thiaw ein Vorzeigebeispiel. Am Freitagabend fiel er durch aufmerksames Antizipieren auf, durch geschickte Tacklings, durch athletisches Intervenieren, durch schnelles Ablaufen des Gegners. Einmal spitzelte er Robert Lewandowski so filigran den Ball vom Fuß, als hätte er mit ihm Mikado gespielt - die Operation führte er körperkontaktlos aus. Eine Viertelstunde vor Schluss hätte der Verteidiger auch noch beinahe den Ausgleich per Drehschuss geschossen.

Thiaws Karriere hat eine vielfältige Herkunft. Seine Mutter stammt aus Finnland, sein Vater aus Senegal, geboren wurde er in Düsseldorf, sportlich aufgezogen im Ruhrgebiet bei Schalke 04, wo er ab dem Sommer 2015 in die Lehre ging. Seinen Premierenauftritt als gelungen zu bezeichnen, wäre wirklich Understatement. "Super gespielt, Persönlichkeit gezeigt, sehr, sehr gutes Debüt", gab, offenbar schwer beeindruckt, Antonio Rüdiger zu Protokoll. Rüdiger habe ihm von Anfang an geholfen, als er im März beim Nationalteam auftauchte, berichtete Thiaw.

In der Hinrunde saß er in Mailand noch meist auf der Bank

Als er zum Ende der Transferperiode im vorigen Sommer zum AC Mailand wechselte, musste er sich ohne Schutzpatron zurechtfinden. Der Anfang war nicht leicht. Zwar kam Thiaw vom deutschen Meister zum italienischen Scudetto-Sieger. Mit den Schalkern hatte er aber lediglich die sogenannte Radkappe gewonnen - den Pokal des Zweitliga-Champions. Seinem alten Klub brachte der Handel rund zehn Millionen Euro ein. Geld, das Schalke mal wieder dringend brauchte, sonst hätten sie ihren Stammverteidiger sicher behalten.

Seitdem hat sich Thiaw immer wieder in der alten Heimat blicken lassen, und jedes Mal stand er dann höher im Kurs als beim letzten Mal. Während der Hinrunde befand er sich noch in der Calcio-Lehre, erst im Februar begann Coach Stefano Pioli damit, den Zugang in die erste Elf aufzunehmen. "Ich bin unglaublich dankbar, dass sie mir bei Milan die Chance gegeben haben", sagte Thiaw in Warschau. In Schalkes Profi-Team kam er im Corona-Frühling 2020 erstmals zu Bundesligaehren, die U19 des legendären Ausbilders Norbert Elgert hatte er übersprungen, er stieg geradewegs aus der U17 auf.

Tempo, Physis, Zweikampfstärke und andere heiße Vermögenswerte waren schon damals zu erkennen. Aber die Fortschritte, die er im vergangenen Halbjahr in Mailand gemacht hat, haben ihn im Schnellverfahren zu einem potenziellen Spitzenspieler erhoben. Mancher Zeuge meinte am Freitag, der neue Mann müsse nun aber bitteschön sofort Stammspieler neben Rüdiger werden. Thiaw hat vernünftigerweise zunächst das Naheliegende im Blick: am Dienstag beim dritten und letzten Teil der Länderspielrunde ein mögliches Comeback in Gelsenkirchen - und im kommenden Sommer die Zugehörigkeit zum EM-Kader. "Das ist ein klares Ziel für mich", sagte er. Kein Wenn und kein Aber brachte er dabei vor.

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