Jule Niemeier beim Turnier in Stuttgart:Die Tennisglücksfee ist keine Freundin

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"Entwicklung braucht Zeit": Jule Niemeier trifft in Stuttgart auf Jelena Rybakina, die Nummer sieben der Welt. (Foto: Angelika Warmuth/Reuters)

Jule Niemeier trifft in ersten Runden regelmäßig auf die Besten der Welt - in Stuttgart auf die Wimbledonsiegerin. Oft verlor sie die Duelle, doch aus der Krise hat sie sich mit wuchtigen Vorhandschlägen, Cleverness und Elan befreit.

Von Barbara Klimke

Manchmal beginnt es mit einem Seufzer: Manches Turnier fängt mit einem Stirnrunzeln an, wenn der Blick auf die Auslosung fällt und dort als Auftaktgegner der Name der Wimbledonsiegerin steht. Jule Niemeier, 23, aus Dortmund muss sich in der ersten Runde des hochklassig besetzten Stuttgarter Tennis-Grand-Prix in dieser Woche mit Jelena Rybakina aus Kasachstan duellieren, die 2022 im All England Club triumphierte und gerade das Finale von Indian Wells gewann. Es hätte natürlich noch ein paar Grad brenzliger werden können, etwa mit einem Turnierauftakt gegen Iga Swiatek aus Polen, die Nummer eins der Welt. Auch das hat Jule Niemeier schon erlebt: im Januar, in der ersten Runde der Australian Open.

Dass es eine Tennisglücksfee war, die Jule Niemeier im Weißröckchenreich der Profis die Steine aus dem Weg geräumt hätte, lässt sich nicht behaupten, im Gegenteil: Sie hat sich mit wuchtigen Vorhandschlägen, Cleverness und Elan allein durchgeschlagen. Auf Position 65 im Ranking ist sie angekommen; und wer weiß, so sagte Rainer Schüttler, Teamkapitän der Tennisfrauen im Verband DTB neulich, wo Jule Niemeier stände, wenn ihr für das Erreichen des Wimbledon-Viertelfinals im vergangenen Jahr Weltranglistenpunkte angerechnet worden wären. Das hatte die WTA-Tour damals unterbunden, weil die Engländer beim wichtigsten Rasenturnier die russischen und belarussischen Athletinnen wegen des Ukraineüberfalls ausgesperrt hatten.

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Auch den Umgang mit sportlichen Rückschlägen hat Jule Niemeier gelernt. Der vielleicht eindrucksvollste Beleg gelang ihr am vergangenen Samstag beim Billie-Jean-King-Cup in Stuttgart, als sie im Duell gegen Brasilien das Nationalteam beim Stand von 1:1 in Führung brachte. Sie war nervös wie lange nicht, bekannte sie danach: Denn sie spielte nicht nur gegen die hohe Favoritin, Beatriz Haddad Maia, Nummer 14 der Welt, sondern auch gegen ihre eigene Negativbilanz: Seit Beginn des Jahres standen für Niemeier zwei Siege in 13 Matches zu Buche, die Liste ihrer Erstrundenniederlagen war lang. In Stuttgart gelang ihr mit Wucht ein Dreisatz-Doppelerfolg: gegen Haddad Maia - und gegen sich selbst: "Ob das schon die Wende ist, kann ich nicht sagen", erklärte sie, als das DTB-Team das Nationenduell gewonnen hatte, "aber wenn ich so spiele wie heute, ist es okay."

In die kleine Abwärtsspirale war sie im Januar geraten, als sie nacheinander gegen vier Profis aus den Top 30 antreten musste und jeweils verlor. Zuspruch erhielt sie von ihrem Trainer Christopher Kas, von der DFB-Frauenchefin Barbara Rittner, die seit Jahren von Niemeiers Fähigkeiten überzeugt ist ("Auf Sand ist sie eine Nummer!"), sowie von Teamkapitän Schüttler, der zu Geduld riet: Ein Tennismatch werde manchmal nur durch drei oder vier Punkte entschieden: "Wenn das Selbstvertrauen fehlt, dann fliegt ein riskanter Ball manchmal einfach vorbei, mit Selbstvertrauen landet er auf der Linie." Manchmal reihenweise.

Die Konkurrenz in Stuttgart ist beachtlich

Ohnehin ist Schüttler ein Verfechter einer kontinuierlichen Karriereplanung bei jungen Profispielerinnen nach dem Abitur: "Früher musste man im Alter von 18 oder 20 Jahren schon sehr gut sein, das ist heute nicht mehr so", sagt er. "Jetzt kann man mit 35 noch absolutes Spitzentennis spielen." Niemeiers Teamkollegin Tatjana Maria, zweifache Mutter und Siegerin des Turniers in Bogotá, ist der beste Beweis: "Entwicklung braucht Zeit."

Beim Grand Prix in Stuttgart sind Jule Niemeier und die zwölf Jahre ältere Tatjana Maria, Nummer 71 der Rangliste, die besten Deutschen, vom Veranstalter wurden sie allerdings per Wild Card fürs Hauptfeld eingeladen, denn die Konkurrenz ist beachtlich: Von den zehn weltbesten Tennisspielerinnen werden acht aufschlagen, neben Titelverteidigerin Swiatek die Australian-Open-Siegerin Aryna Sabalenka, Wimbledon-Finalistin Ons Jabeur und US-Spitzenspielerin Coco Gauff.

Nicht für jede hat das Turnier übrigens mit einem Seufzer angefangen: Tatjana Maria wurde eine Qualifikantin, die Schweizerin Ylena In-Albon, zugelost.

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