Tennisnationalteam der Frauen:Vitalkur in Bad Cannstatt

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Selfie der Siegerinnen: Tatjana Maria (links) bittet die Teamkolleginnen zum Erinnerungsfoto. (Foto: Paul Zimmer/Imago)

Die Spielerinnen des Deutschen Tennis Bundes erreichen mit einem Sieg über Brasilien die Endrunde im Billie-Jean-King-Cup. Das Team überzeugt - die Organisatoren des Mannschaftswettbewerbs weniger.

Von Barbara Klimke, Stuttgart

Die Kur- und Heilwirkung der Bad Cannstatter Brunnen ist weit bekannt, und so war es wohl folgerichtig, dass Wasserquellen auch beim Stuttgarter Tennisnationenduell eine Rolle spielten. Zunächst in eher kleinen Dosen, als sich erst Tatjana Maria und am Tag darauf Jule Niemeier nach ihren Matchbällen jeweils verdächtig über die Augen wischten. Dann kam es zur hohen Mineralwasserausschüttung bei der Pressekonferenz: Das Team stürmte den Saal und leerte unter "So-sehen-Sieger-aus"-Gesang Flaschen über dem Kopf von Kapitän Rainer Schüttler und Schlusssiegerin Anna-Lena Friedsam aus. "Das bekommen sie später zurück!", erklärte Schüttler, aber es war klar, dass das nur eine scherzhafte Drohung blieb.

Es ist ein ungleiches Trio - doch es hat das Team um Spitzenspielerin Beatriz Haddad Maia rausgekegelt

Vielleicht lag es an den Mineralien, die schon die Römer schätzen; wahrscheinlich aber ist es den Spielerinnen selbst und dem ausgleichenden Wesen des Kapitäns zuzuschreiben, dass sich beim Billie-Jean-King-Cup in Stuttgart Bad Cannstatt am Wochenende eine Art sprudelnder Kureffekt im deutschen Frauentennis entfaltete. "Es ist einfach ein tolles Team", sagte Schüttler, als der 3:1-Sieg in der Qualifikationsrunde über Brasilien gelungen war. "Sie sind alle miteinander befreundet, und das macht es schön, mit ihnen zusammenzuarbeiten." Er wird mit dieser Gute-Laune-Gruppe nun im November zur Endrunde in dem Traditionswettbewerb reisen, der früher FedCup hieß; dieses Ziel hatte der Deutsche Tennis Bund (DTB) im vergangenen Jahr noch verpasst, und damals war im Frühjahr die dreimalige Grand-Slam-Siegerin Angelique Kerber mit von der Partie.

Seitdem hat sich ein Generationenwechsel vollzogen, ein ruhmreiches Tennisspielerinnenterzett zog sich peu à peu zurück: Julia Görges und Andrea Petkovic beendeten die Karriere, Kerber, 35, befindet sich nach der Geburt ihrer Tochter in Elternzeit. Kerbers Rolle als neue deutsche Nummer eins ist nun Jule Niemeier, 23, aus Dortmund zugefallen, die trotz ihres Auftritts im Wimbledon-Viertelfinale 2022 erst am Beginn ihres Wegs in die Top-50 der Weltrangliste steht. Die erfahrene Kollegin Tatjana Maria, 35, hat soeben ihren dritten Karrieretitel in Bogotá gewonnen und reist mit Ehemann und zwei kleinen Kindern um die Welt. Hinter Anna-Lena Friedsam, 29, der dritten Solistin in Schüttlers Team, liegen schwierige Verletzungszeiten.

Dass es dieses ungleiche Trio nun fertigbrachte, die Brasilianerinnen um Spitzenspielerin Beatriz Haddad Maia, Nummer 14 der Welt, aus dem Wettbewerb zu kegeln, war mehr als eine Überraschung in der Umbruchphase: Es hat wie Sprudelwasser Geist und Sinne vitalisiert.

Sie müssten als Mannschaft niemanden fürchten, stellte Anna-Lena Friedsam fest, die zum Auftakt in drei Sätzen gegen Haddad Maia verloren hatte, ehe sie mit Elan und harten, schnellen Longline-Bällen Brasiliens Nummer zwei, Laura Pigossi, 6:1, 6:0 abfertigte: "Wir sind in der Breite ein so gutes Team, dass wir sehr viele Variationsmöglichkeiten haben." Diese Variabilität, fand Friedsam, sei der Unterschied zu anderen Nationen, die sich oft nur auf eine Weltklasseakteurin verließen: "Wir dagegen können aufeinander vertrauen."

Mit Wumms und Übersicht - Jule Niemeyer imponiert dem Team-Kapitän

Anders als Friedsam pflegt Tatjana Maria, Wimbledon-Halbfinalistin 2022, einen filigranen Stil mit viel Slice, mit Bällen, die sie in die Winkel zirkelt. Sie war erst am Montag aus Bogotà in Stuttgart angekommen, gewann am Freitag ihr Marathonmatch auf dem Sandplatz gegen die quirlige Pigossi - und durfte nach den Reisestrapazen pausieren, weil Jule Niemeier ihren Platz einnahm. Dass die Jüngste die favorisierte Haddad Maia 7:6 (3), 3:6, 6:2 niederkämpfte mit Wumms, Übersicht und peitschenden Vorhandschlägen, hat Schüttler besonders imponiert. Zumal es Niemeiers Heimspieldebut im Nationencup war und ihre bisherige Saisonbilanz - zwei Siege, elf Niederlagen - eher desolat.

Zum allseitigen Wohlbefinden trug auch bei, dass der Kapitän die Individualtrainer der Profispielerinnen im Team willkommen hieß. Eine derartige Kollegialität sei im DTB in der Vergangenheit nicht immer Usus gewesen, gab Schüttler zu, aber er habe dem Wunsch der Spielerinnen entsprochen: Wenn sie das "gewohnte Umfeld in Stresssituationen als Ruhepol" benötigten, dann gewähre er das gern. Und so trieben sie sich, am Spielfeldrand in den Logen sitzend, als Kollektiv zum Qualifikationsrundensieg voran.

Die Endrunde hat das DTB-Team nun erreicht, wo es am 7. bis 12. November weitergehen soll, ist jedoch offen. Den Finalort hat der Internationale Tennisverband ITF noch nicht bekannt gegeben. Die Auswahl der Kandidatenstädte sei "noch nicht abgeschlossen", erklärte das britische ITF-Council-Mitglied Martin Corrie in Stuttgart auf Anfrage, ohne die Bewerberorte zu benennen. Wie der Davis Cup der Männer so wurde auch der Teamwettbewerb der Frauen vor einigen Jahren umgestaltet: Im Billie-Jean-King-Cup spielen die zwölf besten Nationen eine Woche lang den Sieger aus. Dass bei einem derartigen Organisationsaufwand die Spielstätte noch nicht feststeht, findet der DTB-Präsident Dietloff von Arnim hanebüchen. Schüttler sagte schulterzuckend, er werde "die Rahmenbedingungen hinnehmen". Wohin das Team auch fliegen wird: Es empfiehlt sich vermutlich, ein paar Mineralwasserflaschen aus Bad Cannstatt mitzunehmen.

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