Laura Siegemund bei den French Open:Ihr Repertoire treibt alle in den Wahnsinn

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Unkonventionell wie immer, erfolgreich wie noch nie: Laura Siegemund in Paris. (Foto: Julian Finney/Getty Images)

Laura Siegemund hörte schon fast mit dem Tennis auf, studierte Psychologie und spielte nur noch Miniturniere. Nun steht sie mit 32 erstmals in einem Grand-Slam-Viertelfinale - und wird für ihre Schläge gefürchtet.

Von Gerald Kleffmann, Paris/München

In der ersten Woche der French Open saß Viktoria Asarenka bei einem Seitenwechsel auf der Bank und klagte laut: Es seien nur zehn Grad! Sie komme aus Florida! Es sei so kalt! So nass! Laura Siegemund lächelte, als sie in der Video-Pressekonferenz auf diese Szene angesprochen wurde. "Pausen kann man wohl nur erwarten, wenn man einen bestimmten Nachnamen hat", sagte sie: "Andere Leute müssen hier spielen bei gefühlt Starkregen. Und der Schiri pfeift nicht ab."

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Sie sieht ihr Schicksal, in Paris unter erschwerten Bedingungen arbeiten zu müssen, anders: "Man muss eine Entscheidung treffen: Entweder man ist Profi oder ist keiner", führte Siegemund aus, "man hat sich entschieden, hier Tennis zu spielen - dann kann man nicht jammern." Wobei, das räumte sie ein, es ihr nicht nur gut erging: "Ich denke auch manchmal, wenn es nicht läuft: ooch! Es macht echt keinen Spaß!" Sie versuche dann konsequent, positiv zu bleiben. Quasi die Anti-Asarenka-Methode. Sie rufe sich Turniere ins Gedächtnis, die "übel angefangen" hatten - "und am Finaltag schien die Sonne". Nach eineinhalb Wochen steht fest: wirkt, diese Siegemund-Methode. Auch wenn Siegemund nicht in Florida wohnt, sondern in Metzingen. Oder vielleicht gerade deshalb.

Man kann jedenfalls anschaulich begutachten, wie Gegnerin auf Gegnerin an ihrem Werk zerbricht. Am Montag fand sie die nächste, die an ihr scheiterte.

Siegemund besiegte Paula Badosa, 22, aus Spanien souverän 7:5, 6:2, abermals verbessert die Schwäbin ihre Bestleistung im Einzel bei einem Grand Slam. Schon im Achtelfinale war sie, die vor drei Wochen in New York den Doppeltitel errang, ja noch nie gewesen. 32 ist sie jetzt, sie galt als riesiges Talent, doch dann, sagt sie selbst, "habe ich lange Zeit nicht so gut gespielt, wie ich dachte, dass ich es kann". Sie hörte fast auf, studierte Psychologie, machte den Trainerschein und spielte nur aus Freude am Sport einige Miniturniere. So fand Siegemund auf die Tour zurück. "Ich werde belohnt für die Arbeit und die Kontinuität, die ich - auch als es nicht gut lief - über Jahre da reingesteckt habe", sagte sie. Ein Satz, der viel zu sachlich klingt angesichts ihres auch emotional aufreibenden Weges, der 2017 einen Kreuzbandriss beinhaltete.

Es gab Debatten und Theater

Sie hat sich nie kleinkriegen lassen, das ist ihre Geschichte. Sie ist unerschütterlich und zäh. Man könnte sie sich gut beim Skifahren im Schneesturm vorstellen. Während die anderen längst die wärmende Hütte aufsuchen, sagt sie: Ich fahre noch dreimal! Nein, viermal! Und deshalb hat sie im Viertelfinale gegen Petra Kvitova eine Chance, auch wenn die Tschechin die Nummer elf der Weltrangliste ist und Siegemund die Nummer 66.

Der Reihe nach hatten sich die deutschen Kolleginnen aus dem Turnier verabschiedet, das wegen Corona vom Frühling in den Herbst verlegt wurde; nur 1000 Zuschauer sind erlaubt, es gibt zig Verhaltensregeln, alles ist anders. Immer war irgendwas bei Siegmunds Kolleginnen, oft nachvollziehbar, Andrea Petkovic etwa hatte in Zwetana Pironkowa eine Top-Gegnerin. Bei Siegemunds Matches war auch immer was, Regen, Wind, ihr Rücken schmerzt oft.

In Runde eins gegen Kristina Mladenovic spielte sie bei einem Satzball der Französin unbewusst einen Ball, der regelwidrig zweimal aufgesprungen war. Es gab Debatten und Theater. Aber es war ihr egal. Auch der Sieg gegen Badosa passte ins Muster ihrer Siege zuvor. Wieder Rückstand, wie gegen Julia Görges und Petra Martic. Eine "Nervenschlacht" sei es gewesen, diesmal kam auch Druck dazu. Das Viertelfinale lockte samt 283 500 Euro Preisgeld. Siegemund sagte sich, sie warte "einfach auf die nächste Chance und auf die nächste". Sie kamen. Auch, weil ihre Bandbreite an Schlägen, vor allem die Stopps, alle in den Wahnsinn treibt. Sie bricht damit jeden Rhythmus. Kvitova wird das noch merken.

Ihre Reife weiß Siegemund selbst gut einzuschätzen. "Es hätte sicher Momente gegeben, da hätte ich solche Bedingungen nicht händeln können in früheren Zeiten", sagte sie. Aber mit dem Bewusstsein ihres langen Weges sieht sie es als Belohnung an, im schlechten Wetter Stopps spielen zu dürfen: "Ich versuche, das zu genießen, und bin froh, dass mir das vergönnt ist."

© SZ vom 06.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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