Tennis:Agassi wird Djokovics glaubwürdigster Therapeut

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Irritiert: Der zwölfmalige Grand-Slam-Gewinner Novak Djokovic verliert das Finale von Rom. (Foto: Steele/Getty Images)
  • Andre Agassi wird neuer Trainer von Novak Djokovic.
  • Der Weltranglisten-Zweite aus Serbien sucht nach anhaltendem Formtief Inspiration beim achtfachen Grand-Slam-Sieger.
  • Agassis ganzheitlicher Ansatz und sein Spielverständnis seien dabei entscheidend.

Von Gerald Kleffmann, München

Der Zufall wollte es, dass Andre Agassi an diesem Sommertag in Melbourne gleich zu Novak Djokovic befragt wurde. Es war der 21. Januar dieses Jahres. Am Abend zuvor war der Serbe als Titelverteidiger der Australian Open überraschend dem Usbeken Denis Istomin unterlegen. Agassi, der zu Hause in Las Vegas saß und über Skype in den Medienraum der Australian Open zugeschaltet wurde, verteidigte Djokovic mit freundlichen Worten.

Er sei ein unfassbarer Athlet. Einer der Größten des Tennissports. Dass Djokovic, der gut drei Jahre die Branche dominiert hatte und fast auf mysteriöse Art ab dem Sommer 2016 die Aura des Unbesiegbaren verlor, weiter angeschlagen wirkt? "Es gibt keinen Grund der Welt, warum er nicht genauso schnell, wie ihn seine Fähigkeiten verlassen haben, diese wiedererlangt", sprach Agassi und resümierte: "Wir haben alle unsere eigene, einzigartige Reise."

Im Rückblick wirkte dieses "Wir" prophetisch. Agassi und Djokovic gehen nun tatsächlich gemeinsam ein Stück ihres Weges. Als Trainer und Spieler.

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Nach seiner Finalniederlage beim Masters-Event in Rom gegen den deutschen Überflieger und neuen Top-Ten-Profi Alexander Zverev gab der Weltranglisten-Zweite bekannt: Ach, Agassi wird mein Trainer. Vorerst nur bei den French Open. Und wohl auch nicht für die ganze Dauer meines Auftrittes beim Grand Slam. In Aufbruchsstimmung betonte er dennoch: "Wir sind beide aufgeregt, zusammenzuarbeiten und zu sehen, wo es uns hinbringt."

Nicht nur die zwei sind euphorisiert. Die Branche ist es. Denn was so beiläufig von Djokovic erwähnt wurde, ist in Wahrheit die derzeit größtmögliche Trainer-News, die der Tennissport noch übrig hatte. Ivan Lendl, Jimmy Connors, John McEnroe, Stefan Edberg, Goran Ivanisevic, diese Helden der alten Generation haben ja schon längst ihren Beitrag zur Ära der Super-Coaches geleistet. Boris Becker führte Djokovic gar zu sechs von dessen zwölf Grand-Slam-Titeln. Pete Sampras ist der Letzte der Ruhmreichen, der sich weiter verweigert.

Zwei frösteln sich zusammen

Aber der mit dem schillerndsten Charisma war und ist zweifellos: Agassi, der Mann mit den rehbraunen Augen und der Glatze, der achtmalige Grand-Slam-Sieger, der frühere Weltranglisten-Erste, der Ehemann von Steffi Graf, vor allem: der, der die aufwühlende Biografie "Open" schrieb, in der er alles offenbarte. Zweifel, Hass auf Tennis, Dopingvergehen, Zerrissenheit, Liebe dann doch für den Sport. "Aber wenn Tennis das Leben ist, dann muss das, was auf das Tennis folgt, die unergründliche Leere sein", schrieb er an eine Stelle. "Der Gedanke lässt mich frösteln."

Djokovic hat es auch gefröstelt, in den letzten Monaten. So ist ihr Zusammenkommen im Grunde ein Wink des Schicksals.

Das Faszinierende an dieser brandneuen Instant-Liaison ist daher bereits, dass sie per se viel erzählt, obwohl nicht viel passiert ist. Sie hatten vor Wochen telefoniert, Djokovic machte das Angebot, Agassi nahm es nach Bedenkzeit an. "Ich bin sehr dankbar dafür", sagte Djokovic. So der formale Ablauf. Der Kern der Geschichte geht tiefer: Er handelt davon, was mit einem Sportler passiert, wenn er alles gewinnt. Wenn Ziele ausgehen. Wenn das Siegen allein nicht mehr die Sehnsucht ist. Wenn sich das Bewusstsein verändert, abkoppelt vom bloßen Tennisspiel. Wenn private Probleme auch die Folge sind von all dem.

Djokovic hätte sich keinen glaubwürdigeren Therapeuten als Agassi suchen können. Und dass er Orientierung suchte, ist seit Langem offensichtlich, außerdem gab er es oft selbst zu verstehen. Exakt vor einem Jahr hatte Djokovic mit dem Coupe des Mousquetaires den letzten der vier möglichen Grand-Slam-Pokale gewonnen. So oft war er zuvor gescheitert in Paris. Während er bejubelt und nicht realitätsfremd spekuliert wurde, ob er als Erster seit Rod Laver (1969) den Jahres-Grand-Slam schaffen könnte, stürzte er in die Krise; begleitet von Pleiten, Eheproblemen, Veränderungen im Team.

Pepe Imaz kam als Trainer dazu, wie aus dem Nichts. Der Spanier wirbt für "Amor y paz", Liebe und Frieden. Ende 2016 sprang Becker ab, weil er den esoterischen Kurs offenbar nicht mittragen wollte. Kürzlich sagte sich Djokovic dann von seinem gesamten, stets loyalen Team los. "Eine Schocktherapie" nannte er die Maßnahme und verkündete: Der neue Trainer müsse jemand sein, der viel erreicht und erlebt habe. Zu dem er aufschauen könne. Der Antworten auf die Fragen kennt, die er sich stellt. Allein schon nach dem Ausschlussverfahren stieß er automatisch auf den inzwischen 47 Jahre alten Agassi. Und einige Parallelen sind fürwahr so, als könnten sich da zwei Seelenverwandte nun verbünden, wenn auch erst mal nur für das kurzfristig angelegte Projekt in Paris, das für beide ein spezieller, fast heiliger Ort ist.

Agassi rang oft genug damit, dass Sampras Amerikas Darling war. Djokovic stand lange im Schatten von Roger Federer und Rafael Nadal und wird wohl nie ganz ihren Status erreichen. Agassi mühte sich jahrelang vergebens, den letzten fehlenden Grand-Slam-Titel in Paris zu holen, ehe es ihm schluchzend 1999 gelang. Djokovic erging es genau so. Vor zwölf Monaten fiel er damals auch Becker in die Arme, dessen Mission damit im Grunde erfüllt war: Djokovic hatte ihn Ende 2013 geholt, weil er gnadenloser werden wollte. Er hatte zu viele Schlachten um Ruhm und Glanz verloren. Becker, der Schlachtenrecke par excellence, hatte ihn Härte gelehrt.

Agassi hat sich noch nicht geäußert

Nun, nach einem Übergangsjahr der Orientierung, wirkt es, als starte Djokovic offiziell eine neue Reise: Er hat seine privaten Probleme auf die süßeste Weise gemeistert, er wird wieder Vater. Seine Stiftung hat er stark vorangetrieben. Nun will er diese Welt wieder mit den sportlichen Ambitionen vereinen. Er wolle die beste Version von sich selbst werden, diesen Anspruch hatte er vergangenen Sommer geäußert. Zu dieser Version zählen freilich auch Siege.

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Aber nicht nur. Wie wichtig ihm Ganzheitlichkeit ist, wurde klar, als er in Rom von Agassi schwärmte. Agassi verstehe das Spiel unglaublich. Er sei aber auch jemand, der Werte pflege, philanthropisch arbeite, der demütig sei, gebildet, der sich auf und abseits des Platzes einbringen könne. Djokovic spüre bereits "nette Schwingungen" nach den Gesprächen. Agassi selbst hat sich vorerst noch nicht geäußert, soll aber schon auf dem Weg nach Paris sein. Dass auch er dieses Projekt euphorisiert angehen wird, ist anzunehmen. In Melbourne sprach er im Frühjahr ausgiebig darüber, wie er ein Trainerdasein interpretieren würde. Er nannte es "the art of coaching". Das Wichtigste sei nicht er, der monologisiere. Sondern ein Spieler, der lernen wolle. Über Tennis, übers Leben. Auch Agassi ist wohl irgendwie jetzt angekommen.

© SZ vom 23.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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