Team-Gold für Skispringer:"Das Warten war die Hölle pur"

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Sprung ins Glück: Die deutschen Skispringer bei der Blumenzeremonie nach dem Wettbewerb. (Foto: REUTERS)

Die Sekunden, bis die Wertung für Severin Freund eingeblendet wird, gehören schon jetzt zu den olympischen Erinnerungen. Die deutschen Skispringer gewinnen in Sotschi Mannschaftsgold. Und rechnen mit einer noch erfolgreicheren Zukunft.

Von Carsten Eberts, Krasnaja Poljana

Andreas Wellinger geht noch zur Schule, wenn er nicht gerade Skispringer ist. Wellinger ist 18, Marinus Kraus auch erst 23. Andere erleben in diesem Alter ihre wildesten Jahre, doch die deutschen Skispringer blieben sehr erwachsen bei der Getränkewahl.

Nicht mit Bier oder Sekt wird am fortgeschrittenen Dienstagmorgen im Deutschen Haus angestoßen. Sondern mit vier großen, fast randvollen Gläsern Wasser.

In der Nacht zuvor ging es schon zünftiger zu. Nach dem Medienrummel fuhr das Shuttle ins Deutsche Haus, nach einer guten Stunde ging es weiter zu den Österreichern, die ein paar Hundert Meter weiter ihre Silbermedaille feierten. "Sehr freundschaftlich" sei die Atmosphäre dort beim Bier gewesen, erzählt Andreas Wank, der dritte Springer und nächtliches Geburtstagskind, müden Blickes. Um 4.30 Uhr fuhr die Gondel zum Hotel wieder. Endlich ins Bett.

Der Abend war nervenraubend gewesen. Die Sekunden am Fuß der Schanze, die Blicke zur Anzeigetafel. Vor den letzten Springern hatten die Deutschen ungefähr zwei Meter Vorsprung vor den Österreichern. Deren Gregor Schlierenzauer hatte vorgelegt mit 132 Metern, dann kam Severin Freund. Er brachte seinen Sprung ordentlich hinunter, er landete bei 131 Metern. Nun mussten die Wertungsrichter ihr Punkte abgeben, der Wind musste gemessen und in das Resultat eingerechnet werden. All das kostete selbst dem Computer einige Zeit.

Dann leuchtete endlich die große Eins auf. Olympiasieger, tatsächlich! Die anderen drei begruben Freund unter ihrem Jubelknäuel, der japste nach Luft, halb am Ersticken, halb überglücklich.

"Das Warten war die Hölle pur", erklärt Kraus am Dienstagmorgen. Er habe einfach nur gehofft, dass der Vorsprung ausreicht. "Der Sevi ist ein großer Mann", konstatiert Kraus, der Blick geht rüber zum Kollegen. Der lächelt zurück, müde und ein bisschen schüchtern.

Freund erklärt den letzten Sprung aus seiner Sicht. Er habe weder an den knappen Vorsprung gedacht, noch an seinen unglücklichen vierten Platz im Einzelspringen von der Großschanze. "Wenn man in so einem Moment etwas anders machen würde, würde es nicht funktionieren", sagt Freund. Er musste abliefern, und er tat es.

Die deutschen Skispringer sind damit zum Phänomen geworden bei diesen Winterspielen. Schon der Einzeltitel von Carina Vogt war eine gewaltige Überraschung gewesen, nun das Mannschaftsgold der Männer. Sie brachen damit die eine Dekade währende Dominanz der Österreicher in diesem Wettbewerb. "Für das Skispringen in Deutschland ist der Sieg Gold wert", jubiliert Michael Vesper, der Chef de Mission der deutschen Mannschaft.

Ein anderer hatte die Jubelszenen am Montagabend eher aus der Ferne betrachtet: Werner Schuster, der Bundestrainer. Für ihn war es ein Moment der besonderen Genugtuung. Vor sechs Jahren hatte der Österreicher den Schweizer Verband verlassen, um den Deutschen aus ihrer Post-Hannawald-Depression zu helfen. Vieles schoss ihm durch den Kopf, als er seine Jungs jubeln sah, viele kleine Szenen aus den vergangenen Jahren. "Als Trainer erlebt man das etwas anders", erzählt Schuster.

Die Medaille sei der vorläufige Höhepunkt einer "ziemlich lange Reise, in der ich als Reiseleiter fungiere". Schuster hatte die Nachwuchsförderung auf neue Füße gestellt, eigentlich die gesamten Strukturen verändert. Als die Ergebnisse nicht so regelmäßig eintrudelten, wie von der erfolgsverwöhnten Skisprungnation erwartet, wurde deutlich vernehmbar gemurrt. Nun sei das Rad endlich in Schwung gebracht, sagt Schuster.

In Vancouver, vor vier Jahren, sei die Mannschaft nach Schusters Ansicht "meilenweit vom Sieg entfernt" gewesen, mit Platz zwei hinter Österreich. Nun ist dieser Rückstand aufgeholt. "Das ist eine junge Mannschaft, die das Zeug hat, die Skisprungwelt in den nächsten Jahren zu bestimmen", sagt Schuster.

Auch Freund erklärt: "Das war sicher nicht der letzte Schritt für uns. Dieses Gold soll der Startschuss sein." Ziele gibt es genug, künftig sollen Einzel-Medaillen bei Großereignissen dazukommen. Auch das letzte richtig gute Ergebnis bei der Vierschanzentournee liegt einige Zeit zurück. "Um die nächsten Jahre", glaubt Freund, "braucht uns nicht Bange sein."

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Am ungläubigsten blickt Wellinger drein, der jüngste im Team. Vor vier Jahren, erzählt er, habe er bei Olympia noch vor dem Fernseher gesessen. 14 Jahre war er alt, und er habe kurz daran gedacht, wie schön es wäre, vielleicht 2018 Teil der deutschen Skisprung-Mannschaft zu sein. "Jetzt bin ich vier Jahre früher dran", sagt Wellinger. Sein knappes Fazit: "Wahnsinn!"

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