SZ für Kinder: Fußball-Regeln:Torhüter im Klammergriff

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Ohne Regeln könnte Podolski den spanischen Torwart im Würgegriff halten, während Klose seelenruhig den Ball ins Tor schiebt. Doch so geht es ja auch nicht.

Evelyn Roll

Der 11. Juli 2010, die letzte Spielminute im Johannesburger Soccer City Stadion. Podolski hat den Ball, spielt zu Cacau, der zurück zu Podolski, schöner Doppelpa..., nein, daneben, Fehlpass, Raúl Albiol hat sich den Ball von hinten geangelt.

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Cacau grätscht noch einmal dazwischen und tritt gezielt in Albiols rechtes Kniegelenk, Albiol sackt zusammen, Podolski ist zur Stelle, nimmt den Ball mit beiden Händen, drückt ihn fest an seine Brust und läuft. Und läuft in den Strafraum der Spanier, in dem Klose lässig bereit steht und Albiol den Stinkefinger zeigt.

Kein spanischer Abwehrspieler ist zu sehen. Podolski wirft den Ball mit einem eleganten Schlenz zu Klose, tänzelt weiter vor zum Tor, greift sich den spanischen Keeper Iker Casillas und hält ihn von hinten im Polizeigriff fest. Klose kann sich den Ball in aller Seelenruhe zurecht legen und Anlauf nehmen. Und schießt. Und Tor. Tor, Tor, Tor! Zwei zu Null. Deutschland ist Weltmeister.

So nicht!

Nein? So geht das nicht? Alles ganz falsch? Lauter Fouls und Regelverstöße? Handspiel? Abseits? Festhalten des Torhüters im Torraum? Unfair? So kann Deutschland auf keinen Fall Weltmeister werden?

Stimmt alles. Aber so sähe Fußball aus, wenn es keine Regeln gäbe und keine Fairness. Kein Spiel der Welt funktioniert ohne Regeln und Fairness. Und das Leben in Wirklichkeit ja auch nicht.

Fairness liegt im Blut

Fairness ist ein englisches Wort. Es kommt von fair, das heißt anständig. Fairness bedeutet, gerecht zu sein und sich an die Spielregeln zu halten. Es scheint bei den Menschen, und übrigens auch bei einigen höher entwickelten Tieren, eine Art Gen für Gerechtigkeit zu geben, aus dem sich solche Regeln ableiten.

Kinder machen's vor

Interessanterweise ist die bis heute berühmteste Forschungsarbeit zu diesem Thema beim Murmel-Spiel mit Kindern entstanden. Murmel ist ein etwas altertümliches Wort für kleine, bunte Glaskugeln, mit denen man herrliche Spiele und Wettkämpfe veranstalten kann.

Jean Piaget, ein berühmter Schweizer Biologe, Psychologe und Philosoph hat Kinder verschiedener Altersstufen beim Spiel mit solchen Murmeln beobachtet. Und er hat nachgewiesen, dass alle Kinder einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit haben.

Was immer die Kinder mit den Murmeln anstellten, sie vereinbarten vor ihrem Spiel miteinander Regeln, die dann auch von allen eingehalten und geachtet wurden. Piaget nannte das "moralischen Realismus" und schrieb darüber ein dickes Buch, das sehr berühmt geworden ist, es heiß "Das moralische Urteil beim Kind".

Werte gelten immer

Im Buch steht: Gerechtigkeit und Fairness sind angeborene Grundwerte, um die vom frühesten Alter an ausdauernd und leidenschaftlich verhandelt wird. Spiele funktionieren nur, wenn jeder sich an vereinbarte Regeln hält. Und es gibt Regeln und Gesetze, die nicht nur im Spiel gelten, sondern vor allem im Leben. Dazu hätte es keinen Wissenschaftler aus der Schweiz gebraucht, keine Murmeln und kein dickes Buch? Das weiß doch wirklich schon jedes Kindergartenkind?

Ja, stimmt auch wieder. Aber es gibt Erwachsene, die man jeden Tag daran erinnern muss, leider nicht nur auf dem Fußballplatz.

© SZ vom 19.5.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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