Diskussionen bei Werder Bremen:Leiharbeiter sucht familiäre Umgebung

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Ausgerechnet der vom FC Chelsea für eine Saison ausgeliehene Kevin de Bruyne stößt Bremen auf Probleme. Der verschlossene Trainer Thomas Schaaf spreche zu wenig mit ihm, er vermisse die Wärme in der gern zitierten "Werder-Familie". Für Manager Allofs symbolisiert der Belgier den aufs Neue gescheiterten Versuch, Spitzenspieler an den Klub zu binden.

Jörg Marwedel

Kevin de Bruyne im Kopfballduell mit Bayern Münchens Verteidiger Dante. (Foto: dpa)

Ein wenig Bammel vor dem Spiel gegen Borussia Mönchengladbach am Samstag hat Kevin de Bruyne durchaus. Er könne ja verstehen, wenn die Werder-Fans "ein bisschen sauer sind" wegen seiner nicht gerade Bremen-freundlichen Aussagen in zwei belgischen Zeitungen vor einigen Tagen. Vielleicht, ahnt der 21-jährige Mittelfeldspieler, der am Mittwoch nach neuntägiger WM-Qualifikationsreise und zwei Siegen (3:0 gegen Serbien, 2:0 gegen Schottland) in die Hansestadt zurückkehrte, werden einige Anhänger pfeifen. Dennoch hoffe er, dass die meisten "zu mir stehen". Denn auch er stehe zu den Fans.

Das aber bezweifeln viele Bremer inzwischen. Immerhin hatte ihnen der begabte Belgier berichtet, er sei von der "steifen Mentalität der Deutschen schockiert" gewesen. Er vermisse in der gern zitierten "Werder-Familie" die Wärme. Und Trainer Thomas Schaaf spreche kaum mit ihm. Damit hat de Bruyne gleich zwei Debatten in Bremen ausgelöst. Das eine ist eine Diskussion, die dort lange nicht geführt wurde: Es geht um sogenannte Fußball-Legionäre, die keineswegs "zu 100 Prozent" hinter dem Klub stehen, wie Werder-Chef Klaus Allofs es im Fall de Bruyne glauben machen will. Zum anderen erörtert man mal wieder die angeblichen Schwächen des Fußballlehrers Thomas Schaaf, der womöglich zu verschlossen ist im Umgang mit dem Personal. Nach dem 1:3 beim FC Augsburg haben die Statistiker zudem ausgerechnet, dass Werder im Jahr 2012 saisonübergreifend Tabellenletzter der Bundesliga ist.

Kevin de Bruyne, mit drei Toren bislang der erfolgreichste Werder-Schütze dieser Bundesliga-Saison und auf dem Rasen ein guter Ideengeber, hat nach seiner Rückkehr versucht, die "Irritationen" auszuräumen. Er hat sich den Journalisten gestellt und erklärt, er "bekenne" sich zur Mannschaft. Er habe keineswegs gesagt, er sei froh, nur für ein Jahr in Bremen unterschrieben zu haben, sondern nur herausgehoben, "dass der FC Chelsea mein Arbeitgeber ist, der Werder klargemacht hat, dass ich nur ein Jahr hierbleiben kann".

Genau das aber ist jetzt Werders Problem. Spieler von de Bruynes Klasse kann sich der Verein, der in diesem Jahr erstmals ein Defizit von mehreren Millionen Euro aufweist, nur "mieten". Das neue Team kann also nicht wirklich zusammenwachsen. Auch der vom FC Bayern geliehen Nils Petersen, der im Hotel stets das Zimmer mit de Bruyne teilt, hat zunächst nur einen Einjahresvertrag.

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Und den von Juventus Turin für immerhin 5,5 Millionen Euro erstandenen Eljero Elia können sich die Bremer nur deshalb leisten, weil der Niederländer einen wahren Karriereeinbruch hinter sich hat. In Turin saß er oft auf der Tribüne. In seiner Zeit zuvor beim Hamburger SV (2009 bis 2011) dagegen war Elia noch der klassische Legionär, der den Klub nur als Durchgangsstation betrachtete. Genau wie Vincent Kompany, Khalid Boulahrouz, Rafael van der Vaart oder Nigel de Jong, die zu Klubs aus der europäischen Avantgarde wie Chelsea, Real Madrid, Manchester City oder Milan weiterzogen - und nach deren Abschied der HSV große sportliche Probleme bekam.

Auch für Werder ist diese Politik ein gefährlicher Grat, der im schlimmsten Fall die bislang 13-jährige Regentschaft von Schaaf und Allofs aufs Spiel setzen kann. Man darf ja nicht erwarten, dass alle Legionäre so oft Heimweh nach Bremen haben wie der einstige brasilianische Torschützenkönig Ailton. Aber in Bremen heißt es derzeit oft, Werder bilde keine richtige Mannschaft. Sportchef Allofs widerspricht solchen Urteilen. Spieler wie de Bruyne, die man sich anders nicht leisten könne, würden oft "den Unterschied" ausmachen. Das sei auch mit Claudio Pizarro so gewesen, als der noch beim FC Chelsea unter Vertrag stand. Und im Übrigen könne de Bruyne, der ja einen Vierjahreskontrakt in London habe, doch gar nicht sagen: "Ich bin hier glücklich, hier will ich nicht mehr weg." Das wäre, so Allofs, wirklich "unprofessionell und dumm".

Umso mehr wäre es wohl wichtig, dass Thomas Schaaf sich besser um die geleasten Spieler kümmert. Zu Saisonbeginn hatten die Beobachter noch vermutet, der oft brummige Trainer habe sich neu erfunden - so oft wie im Sommer hat er seine Profis noch nie in den Arm genommen. Mittelfeldmann de Bruyne malt jetzt wieder das andere Bild. Das vom äußerst sparsam kommunizierenden Trainer.

Klaus Allofs weiß, dass nach einer Niederlage gegen die Gladbacher, welche Werder vorerst wieder in die Nähe der Abstiegsplätze rutschen ließe, die Diskussion um das Trainer-Denkmal wieder losgehen würde. Auch deshalb hat er schon jetzt erklärt, wie zufrieden er weiterhin mit dem "Gesamtpaket Schaaf" sei. Allofs betonte, wie detailverliebt der Coach sei, wie stark taktisch und in der Spielanalyse. Nur von der Kommunikation mit den Spielern hat er nichts gesagt.

© SZ vom 19.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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