Olympia:Ledecka wirbelt den Skisport durcheinander

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Ester Ledecka (Mitte) konnte es hinterher kaum fassen - aber ja, sie ist Olympiasiegerin im Super G der Skifahrerinnen. (Foto: AFP)
  • Die Tschechin Ester Ledecka gewinnt den olympischen Super G - dabei ist sie eigentlich keine Skifahrerin, sondern eine Snowboarderin.
  • Bei ihren Konkurrentinnen gibt's Tränen.
  • Ledecka selbst reagiert mit Witz und voller Staunen.

Von Johannes Knuth, Pyeongchang

Ester Ledecka stand einfach nur da. Eine halbe Minute lang vielleicht, die sich wie eine halbe Stunde anfühlte, weil die Sensation des Augenblicks die Zeit anzuhalten schien - während die Tribüne im Ziel von Jeongseon, die am Samstag beim Super-G der Frauen erstmals fast vollständig besetzt war, vom Staunen in Freude verfiel und dann wieder in Ungläubigkeit. Ledecka stand derweil noch immer im Auslauf der Piste, beide Ski an den Füßen, sie schüttelte den Kopf.

"Ich dachte, das war ein Fehler", sagte sie später über diesen Moment, "ich habe auf die Anzeigetafel geschaut und gedacht, die legen da gleich ein paar Sekunden drauf." Doch die Tafel wies sie auch nach dieser gefühlten Ewigkeit noch immer als Beste aus, und irgendwann dachte Ledecka: "Das ist jetzt wirklich seltsam."

No, sagte sie dann, und noch einmal: No!

Am Samstag war es also so weit. Am Samstag erlebten die alpinen Ski-Wettbewerbe in Pyeongchang zum ersten Mal einen dieser Sieger, die bei Großanlässen einen fast perfekten Lauf erwischen und die bekannte Ordnung durcheinanderwirbeln. Ester Ledecka, 22, aus Prag gewann am Samstag mit dem kleinstmöglichen Vorsprung, eine lumpige Hundertstelsekunde lag sie vor der Österreicherin Anna Veith.

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Ledecka zählte schon vor vier Jahren zu den besten Skirennfahrerinnen ihres Landes, die größten Erfolge sammelte sie aber erst mal beim Snowboarden: Sie wurde Weltmeisterin im Parallel-Riesenslalom vor einem Jahr, zwei Mal gewann sie zuletzt den Gesamtweltcup. Seit Samstag ist sie nun die erste Snowboarderin, die eine Medaille in einem olympischen Ski-Wettbewerb gewonnen hat, es gab da gar keine Zweifel: Vor ihr hatte das noch niemand probiert.

Als Ledecka nach dem Rennen im Zielraum auf die höchste Erhebung des Siegerpodests gebeten wurde, links Veith, rechts die drittplatzierte Tina Weirather aus Liechtenstein, schien ihr das alles fast unangenehm zu sein. Sie kniff die Augen zusammen, klammerte sich an das Plüschtier, das alle Medaillengewinner nach ihren Wettbewerben erhalten, als müsse sie sich an irgendetwas festhalten. Später, als sie im Pressesaal sprach, trug Ledecka wieder ihre Skibrille. Sie habe nicht damit gerechnet, dass sie das Protokoll einer Olympiasiegerin abarbeiten müsse, erklärte sie die Maskerade, es sei nun mal so: "Ich habe heute kein Make-up drauf."

Die Favoritinnen leisteten sich fast alle Fehler

Die Favoritinnen waren ja andere gewesen, Lindsey Vonn, die Italienerin Sofia Goggia, Tina Weirather. Es war ein knackiger Super-G mit kniffeligen Kurven und Wellen; vor einem Super-G gibt es zudem keine Trainingsfahrt, nur eine Besichtigung. Vonn vergab den Sieg in der letzten, fiesen Schikane: ein langer Rechtsschwung, der in eine scharfe Linkskurve mündete; die US-Amerikanerin trieb es weit in den Tiefschnee. Lara Gut, die Schweizerin, hob es beim Zielsprung in die Luft, das war quasi gleichbedeutend mit Schanzenrekord, aber eben auch mit Platz vier.

Gut weinte bittere Tränen. Auch die Deutsche Viktoria Rebensburg leistete sich einen Fehler vor dem Ziel, Platz zehn. Weirather übernahm die Führung, Veith war eine Zehntelsekunde schneller. Die Österreicherin war bis vor drei Jahren die dominante Skirennfahrerin im Weltcup, ehe sie sich so schwer am Knie verletzte, dass ihre Karriere beendet zu sein schien. Jetzt verteidigte sie tatsächlich ihren Olympiasieg von vor vier Jahren, wieder gab es Tränen, diesmal vor Freude. Bis Ledecka kam.

Viele fragten Ledecka später wie das so sei, als Snowboarderin in den alpinen Speed-Disziplinen zu fahren. Aber ihr Betriebsgeheimnis war recht simpel: Ledecka fuhr am Samstag am besten von allen Ski, technisch sauber, mit einer Prise Risiko. "Ich habe sie vor drei Jahren zum ersten Mal gesehen", erinnerte sich Weirather, "da dachte ich: Wow, wer ist denn das? Ester ist nicht nur gut im Snowboarden, auch im Windsurfen, sie ist sehr vielseitig. Es war eine Frage der Zeit, bis sie vorne landen würde."

Ledecka ließ den Rummel geduldig über sich ergehen. Ihre Vorbereitung am Morgen? "Wenn ich zu einem Rennen gehe, will ich immer meinen besten Lauf zeigen und gewinnen", sagte sie. Was sie sich am Start gedacht hatte? "Du hast deinen Traum schon erreicht, die anderen Mädels haben den Druck. Sie sind die Spezialistinnen." Wie sich Skifahren und Snowboarden ergänzen? "Naja", sagte Ledecka, "beides Mal geht es den Berg runter." Ob sie nun auch im Windsurfen bei den Sommerspielen 2020 starten werde? "Klar, warum nicht?", sagte sie, sie lachte. Kleiner Scherz. Oder?

Erst im Februar 2016 debütierte Ledecka im Ski-Weltcup

Wer erlebte, wie schlagfertig und unbekümmert Ledecka ihren Sieg am Samstag moderierte, der begriff, wie sie sich über all die Jahre in ihrem alpinen Doppelleben behauptet hatte. "Mir haben ständig Leute gesagt, ich soll mich auf dieses oder jenes spezialisieren, dann könnte ich noch erfolgreicher sein", hat sie im SZ-Gespräch einmal gesagt: "Aber ich habe mich immer in beiden Disziplinen wohlgefühlt. Warum sollte ich eine aufgeben? Ich bin wie ich bin." Was sie anpacke, sagte ihr Trainer Tomas Bank am Samstag im Zielraum, "das macht sie mit vollem Herzen." Und mit klarem Kopf.

Ledecka finanzierte sich ihre duale Karriere vor allem durch Erfolge und Sponsoren im Snowboarden, im Ski-Weltcup debütierte sie erst im Februar 2016. Heute leistet sie sich ein Privatteam: ein Trainerteam kümmert sich ums Snowboarden, eines ums Skifahren. Rund alle drei Wochen wechselt Ledecka zwischen den Welten. Sie möge das, hat sie einmal gesagt, viele Leute, viel Bewegung, nicht nur beim Windsurfen, auch im Beachvolleyball.

"Ich denke nicht, dass ich so viel Talent habe", sagte Ledecka am Samstag, "ich fahre den Berg runter und habe Spaß dabei, seit ich ein kleines Kind bin. Ich hatte das Glück, in meiner Karriere die richtigen Leute zu treffen." Und die Eltern zu haben, die sich im Winter ein Haus im tschechischen Skiresort Spindlermühle leisten konnten und die duale Karriere der Tochter finanzierten. Vater Janek ist ein bekannter Sänger und Komponist in Tschechien, seine Spezialität: Weihnachtslieder.

Ledecka wird die Abfahrt am Mittwoch wohl auslassen, sie will sich auf den Parallel-Riesenslalom der Snowboarder am kommenden Wochenende konzentrieren. Sie fände den Rummel ja schon ganz nett, sagte Ledecka am Samstag noch. "Aber am liebsten würde ich jetzt eigentlich Snowboarden gehen."

© SZ vom 18.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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