Ester Ledecka ist Snowboarderin. Snowboarderinnen fahren auf einem Brett den Berg hinunter. Nicht auf zwei Brettern. Es ist wichtig, diese scheinbare Banalität zu betonen, denn bis zu diesem denkwürdigen Tag in Pyeongchang war das bei Olympia ein Unterschied. Es gab Snowboarder. Und es gab Skifahrer. Das waren zwei Disziplinen, und irgendwann im Laufe seiner Karriere musste man sich als Athletin entscheiden: Board oder Ski. Das gilt jetzt nicht mehr.
Die 22-jährige Ledecka hat nun als Snowboarderin Gold im Ski Alpin gewonnen. Die Tschechin schlug im Super-G die Skifahrerinnen Anna Veith (Österreich) und Tina Weirather (Liechtenstein), und das mit dem knappstmöglichen Vorsprung, den die Uhr hergibt: eine hundertstel Sekunde. Als sie ins Ziel fuhr und sah, dass die Zeit grün leuchtete - das bedeutet Vorsprung - erstarrte Ledecka. Sie zeigte keine Regung, kein Lachen, kein Zucken, ihr Mund stand leicht offen. Die Kamera zoomte an ihr eingefrorenes Gesicht heran, nach einer gefühlt unendlichen Zeit sagte sie nur: "No". Doch.
"Ich war sehr überrascht. Ich dachte, die Zeit ist falsch, die werden sie in einigen Sekunden korrigieren", sagte Ledecka bei Eurosport: "Es war mein Traum, darauf habe ich hingearbeitet. Aber das habe ich nicht erwartet." Die geschlagene Veith sprach von einem "verrückten Rennen". Favoritin Lindsey Vonn aus den USA wurde Sechste, Viktoria Rebensburg lag zwischenzeitlich in Führung, nach einem Fehler im unteren Abschnitt reichte es zu Platz zehn.
Ski:Auf zwei Bühnen
Die Tschechin Ester Ledecka ist die erste Wintersportlerin, die sowohl im Snowboard-, als auch im alpinen Ski-Weltcup antritt. Für die Winterspiele 2018 in Südkorea hat sie bereits jetzt ein ungewöhnliches Projekt in Planung.
Wer Ester Ledecka vor dem Rennen in die Google-Suchmaske eingab, der fand bis Samstag eine Sportlerin, unter deren Name die Beschreibung "Snowboarderin" stand. Wer ihren Wikipedia-Artikel aufrief, der las, dass sie bei den Skifahrerinnen "sogar ihre ersten Weltcup-Punkte holen" konnte. Und jetzt: Olympiasiegerin. Mit der Startnummer 26, als alle Favoriten schon im Ziel waren und einige Webseiten verkündeten darum schon Anna Veith als Olympiasiegerin. Was ist da passiert?
Ester Ledecka ist amtierende Snowboard-Weltmeisterin. Ihr großes Ziel bei den Olympischen Spielen war eigentlich der Parallel-Riesenslalom am vorletzten Wettkampftag. Da wollte sie Gold gewinnen. Sie schreibt schon allein damit Olympia-Geschichte, dass sie die erste Athletin überhaupt ist, die in Ski alpin und Snowboard an den Start geht. Und jetzt das. Bei der Pressekonferenz trug sie eine Ski-Brille und sagte: "Ich war nicht darauf vorbereitet so wie die anderen Mädels. Ich trage kein Makeup."
Ski fährt Ledecka eigentlich "nur zum Spaß", und der Wikipedia-Eintrag ist insofern veraltet, als dass sie mittlerweile schon ein paar mehr Weltcup-Punkte gesammelt hat. In Bad Kleinkirchheim wurde sie Anfang Januar dieses Jahres 24. im Super-G, bei der Abfahrt in Lake Louise wurde sie im Dezember 2017 mal Siebte. Wer unter die Top Ten einer Damen-Abfahrt im Weltcup fährt, der kann was, der ist nicht nur zum Spaß da. Aber dann gleich Olympiasiegerin werden? Auf die Olympia-Abfahrt wollte sie übrigens ursprünglich verzichten, weil einen Tag später die Qualifikation zum Parallel-Riesenslalom der Boarder stattfindet und sie es dann doch nicht übertreiben wollte. Ob sie diesen Vorsatz nun umwirft, ist nicht bekannt.
Letztlich sei es ja so: "Es geht in beiden Sportarten bergab"
Die ganze Familie Ledecka ist in Tschechien übrigens berühmt. Großvater Jan Klapac spielte in der Eishockey-Nationalmannschaft, holte zwei Olympia-Medaillen. Mama Zuzana war Eiskunstläuferin, Papa Jan Ledecky ist ein bekannter Musiker. Das ungewöhnliche Unternehmen, in zwei unterschiedlichen Schneesportarten auf höchstem Level anzutreten, hat Ledecka schnell erklärt. "Ich wollte das schon als kleines Kind. Ich liebe beides, also mache ich beides."
Vor zwei Jahren erzählte sie, wie sie das eigentlich anstellt: "Meine Trainer sagen mir entweder: Du fährst Ski wie eine Snowboarderin. Oder: Du fährst Snowboard wie eine Skifahrerin." Nicht, dass sie das stören würde, "beim Skifahren habe ich die Beine auseinander, nicht in einer Bindung. Ansonsten ist es kein großer Unterschied". Letztlich sei es ja so: "Es geht in beiden Sportarten bergab."
Sie hat einen Snowboard- und einen Ski-Trainer. Tomas Bank, der Ski-Trainer, sagt: "Sie genießt einfach alles, was sie tut, von daher ist es eigentlich egal, ob sie Snowboard fährt oder Ski. Sie macht beides mit vollem Herzen. Das ist die Hauptsache bei jedem Sport."
Ledecka meinte einmal, die meisten Konkurrentinnen hielten sie für verrückt, dass sie beides mache - allerdings eher anerkennend. Auf die Frage, ob das gut gehen könnte mit den zwei Karrieren auf Brett und Ski, meinte sie nur: "Es hat noch niemand probiert."