Sunweb bei der Tour de France:Ein Team für überraschende Schlenker

Lesezeit: 3 min

Sören Kragh Andersen bejubelt auf der 14. Etappe bereits den zweiten Tageserfolg für sein Sunweb-Team und seinen ersten Tour-Erfolg überhaupt. (Foto: Anne-Christine Poujoulat/dpa)

Mit schon zwei Etappensiegen spielt Sunweb bei der Tour eine prägende Rolle - auch ohne die ganz großen Namen. Der Anspruch: unberechenbar sein.

Von Johannes Knuth, Lyon/München

Der Mann des Tages gönnte sich nur eine kleine Geste, einen flüchtigen Gruß in die Kamera. Dann hatte Sören Kragh Andersen wieder Besseres zu tun. Nach und nach nahm er die Glückwünsche der Teamkollegen entgegen, denen er gerade davongespurtet war - und die sich jetzt mit dem Tagessieger freuten, als hätten sie die Jahresbilanz ihres Arbeitgebers eigenmächtig gerettet. Und ein wenig stimmte das ja auch: "Wir haben es geschafft", rief Kragh Andersen den Kollegen zu. Als sei er getragen von der Freude, etwas vollbracht zu haben, das im Dienst einer größeren, gemeinsamen Idee stand.

Nicht viele Experten hatten dem Sunweb-Team das zugetraut: bei dieser 107. Tour de France schon wieder eine der prägenden Rollen auszufüllen. Um die Gesamtwertung und Punktetrikots mögen andere rangeln, die Fahrer in den schwarz-weißen Leibchen haben schon vor der finalen Woche zwei Tageserfolge auf ihre Seite gezerrt: auf der zwölften Etappe dank des Schweizers Marc Hirschi, 22, der im dritten Anlauf als Solist reüssierte; nun, am Samstag in Lyon, durch Sören Kragh Andersen, 26. Auch Cees Bol, ihr 25 Jahre alter Kollege, fand sich in den Sprints schon zwei Mal unter den besten Dreien ein. Sunweb mag Jahr für Jahr in einem etwas anderen Gewand daherkommen, der Erfolg bleibt ihnen treu. Diesmal lässt sich das Rezept wohl so zusammenfassen: Jeder stellt sich in den Dienst der Gruppe, weil jeder Einzelne irgendwann seine Chance erhält.

Lennard Kämna bei der Tour de France
:"Er hat einen richtig großen Motor"

Lennard Kämna wühlt auch bei der 14. Etappe das Feld auf. Er steht für eine Garde an jungen deutschen Fahrern, die den Kletterpfad in den Bergen wiederentdeckt haben.

Von Johannes Knuth

Als das Feld sich müde geackert hat, schlägt Kragh Andersen zu

Die Ankunft in Lyon war ein Paradebeispiel. Bora-hansgrohe hatte fast die gesamten 194 Kilometer über das Tempo verschärft; sie wollten vor allem den Iren Bennett abschütteln. Peter Sagan sollte dann jene 50 Punkte abstauben, die im Ziel für den Tageserfolg ausgeschrieben waren, und den Rückstand auf Bennett verkürzen, im Kampf ums Grüne Trikot. Aber kurz vor dem Ziel, als noch zwei knackige Rampen warteten, hatte sich die Mannschaft müde gerackert, und Sunweb nutzte das meisterlich aus. Erst attackierte Tiesj Benoot, dann Hirschi, schließlich, als das Feld sich belauerte, Kragh Andersen.

"Wir wollten von den Attacken des jeweils anderen profitieren, mehrere Karten spielen", erläuterte Sportchef Matthew Winston später die siegbringende Taktik. Dieses Wettkampfglück geht der Bora-Equipe gerade ein wenig ab: Nachdem Emanuel Buchmanns Ambitionen im Klassement verdampft sind, wartet das Team auch nach der 15. Etappe am Sonntag auf einen Tageserfolg bei dieser Tour.

Lange trug auch Sunweb, neben Bora das zweite Team mit deutscher Lizenz bei der Tour, einen starken schwarz-rot-goldenen Anstrich - vor allem in Zeiten, als das Publikum sich hierzulande vom skandalerschütterten Radsport abwandte. Marcel Kittels Karriere nahm beim damaligen Team Skil-Shimano groß an Fahrt auf, Tony Martin und John Degenkolb machten dort Station, der Bielefelder Co-Sponsor Alpecin stieg ein. Vor vier, fünf Jahren verwässerte der deutsche Anstrich allerdings ein wenig. Der Hauptsponsor ist längst ein Schweizer Reisekonzern, der Sitz des Teams in den Niederlanden. Bei der Tour stehen zwei Dänen und zwei Holländer im Aufgebot, dazu je ein Belgier, Schweizer, Ire und in Nikias Arndt der einzige Deutsche. Landsmänner wie Max Walscheid, Phil Bauhaus und ein gewisser Lennard Kämna haben Sunweb wieder verlassen.

Vor allem Kämnas Umzug kam etwas überraschend: Sunwebs großes Ziel, hatte Teamchef Iwan Spekenbrink vor drei Jahren im Gespräch betont, seien die Gesamtwertungen der großen Rundfahrten; der Niederländer Tom Dumoulin hatte damals gerade die Italien-Rundfahrt gewonnen. Am liebsten, sagte Spekenbrink, wolle er irgendwann einen deutschen Gesamtsieger präsentieren, und Kämna, der im Vorjahr für Sunweb ein sehr achtbares Tour-Debüt gab (und am Freitag hauchzart seinen ersten Etappenerfolg verpasste), wirkte wie einer der vielversprechendsten Aktien.

Sunweb entschied sich im Vorjahr dennoch, ihm kein neues Angebot vorzulegen, auch Dumoulin verstärkte im Winter lieber die wehrhafte Jumbo-Visma-Equipe. Vor der diesjährigen Tour überraschte Spekenbrink mit einem weiteren Schlenker: Man wolle unberechenbarer bei den Etappenankünften agieren, nicht alles auf einen Fahrer wie Michael Matthews zuschneiden. Der Australier hatte 2017 das Grüne Trikot für das Team gewonnen, nun wird er vorzeitig aus seinem Vertrag aussteigen; bei der Tour fehlt er bereits.

Immerhin: Das mit der Unberechenbarkeit hätte bislang schlechter laufen können.

Spekenbrink kennt natürlich das Geraune: dass sie ihre Fahrer sehr streng überwachen, mithilfe vieler Leistungsdaten, und auch sonst so viel fordern, dass viele Profis diese Ansprüche nur für ein paar Jahre ertragen. "Das Wichtigste für uns ist immer eines", bestätigt der Niederländer am Wochenende am Telefon: "Dass die Fahrer immer mit voller Hingabe arbeiten, sich ständig verbessern wollen. Wer es etwas einfach mag, der ist bei uns vielleicht nicht richtig." Auch Kämnas Vorstellungen, das lässt Spekenbrink durchblicken, hätten am Ende nicht mehr ganz zu dieser rigorosen Philosophie gepasst - wobei er darin kein Zeichen von Schwäche erkenne, im Gegenteil.

Angst um die Zukunft muss er jedenfalls nicht haben, seine derzeitige, junge Auswahl ist schon jetzt für die Tagesetappen und Klassikerrennen bestens aufgestellt, auch das Frauenteam hat sich stark entwickelt. Und das Nachwuchsprogramm spült ohnehin immer wieder Talente nach oben - wie den Schweizer Hirschi oder auch den Deutschen Max Kanter, 22, ein Versprechen für die Sprints und Klassiker. Wobei Spekenbrink beteuert, dass man irgendwann auch wieder die Klassements der großen Rundfahrten angreifen wolle.

Der nächste Kandidat dafür steht schon bereit: Romain Bardet, 29, wird 2021 zu Sunweb umziehen. Am Wochenende musste der Franzose seine bislang starke Tour aber erst mal beenden - wegen einer Gehirnerschütterung.

© SZ vom 14.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Tour de France
:"All wörks well in ze Pelotong"

Das größte Radrennen der Welt ist Spektakel, Geschäft, Tourismus-Werbefilm, Doping und Nationalheiligtum. Aber auch während der Pandemie? Zeit für ein Zwischenfazit.

Von Johannes Knuth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: