Lennard Kämna bei der Tour de France"Er hat einen richtig großen Motor"

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Bisheriger Karrierehöhepunkt: Lennard Kämna gewinnt 2020 die 16. Etappe bei der Tour de France.
Bisheriger Karrierehöhepunkt: Lennard Kämna gewinnt 2020 die 16. Etappe bei der Tour de France. (Foto: David Stockman/Belga/Imago)

Lennard Kämna wühlt auch bei der 14. Etappe das Feld auf. Er steht für eine Garde an jungen deutschen Fahrern, die den Kletterpfad in den Bergen wiederentdeckt haben.

Von Johannes Knuth

Ein Jahr ist es schon wieder her, da saß Lennard Kämna im Hinterhof seines Teamhotels in Albi, seine blonden Haare wippten in der Vormittagssonne. Die Tour de France steckte gerade in einem Ruhetag, das Interesse an diesem jungen Deutschen hielt sich noch in Grenzen, Kämna nahm alle Fragen der Reporter jedenfalls freundlich und geduldig entgegen. Auch jene, die, nun ja, einen kleinen Schlenker um das Gewöhnliche machten.

Habe er das also richtig verstanden, fragte ein Reporter, was Kämnas behutsamen Weg in die Radsport-Elite angehe: "Das ist ja so, als müsstest du nicht gleich heiraten, wenn du eine schöne Frau siehst? Lieber erst mal kennenlernen, erst mal gucken wie's läuft, dann vielleicht zusammenziehen?!" Kämna schmunzelte etwas verduzt, als stecke er gerade in einem unerwartet merkwürdigen Blind-Date, dann sagte er im trockenen Bremer Idiom: "Joa. Kann man auch so sagen."

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Viele kleine Pedaltritte, so kann man es wohl auch sagen, führen auch irgendwann zum Ziel. Nun, bei der 107. Tour, hilft Lennard Kämna seinen Teamkollegen oder kämpft auch mal um Tagessiege. Irgendwann rangelt er vielleicht selbst um die besten Plätze im Gesamtklassement, wie zuletzt sein Teamkollege Emanuel Buchmann. Auch wenn Kämna solche Erwartungen lieber von sich wegschiebt.

Kämna wühlt erneut das Feld auf

Dass der 24-Jährige dazu befähigt ist, bezweifelt niemand in der Szene. Der deutsche Radsport, der nach den unrühmlichen Klöden-Ullrich-Jahren vor allem mit Sprintern und Zeitfahrern auffiel, hat längst den Kletterpfad wiederentdeckt. Am Freitag stellte Kämna den nächsten Beleg bereit, auf der 13. Etappe hinauf zum Puy Mary. "Ich habe hier etwas auf dem Silbertablett präsentiert bekommen", sagte er später über den Zielsprint mit dem Kolumbianer Dani Martinez, den Kämna etwas zu früh lancierte und hauchzart verlor. "Das ärgert mich schon", sagte er, "aber eigentlich bin ich super-happy. Auch, dass es hier für mich endlich rundläuft." Am Samstag, auf der 14. Etappe nach Lyon, wühlte er im bewegten Finale erneut das Feld auf, auch wenn der Einsatz am Ende erneut nicht ganz belohnt wurde.

Kämna ist in Fischerhude bei Bremen aufgewachsen, er sagt oft "kann sein" oder "kann man so sagen", aber die Ergebnisse sprachen ja schon immer für ihn. Er war 17, als er WM-Gold im Zeitfahren der Junioren gewann, über die Berge kam er auch erstaunlich gut, obwohl er nicht gerade im Hochgebirge ausgebildet wurde: in Bremen und an der Cottbuser Sportschule. Er ist geduldig nach oben geklettert, Nachwuchs-WM, erster Profivertrag beim deutschen Team Sunweb, Tour-Debüt vor einem Jahr, auf der Königsetappe am Galibier wurde er schon Vierter. "Er hat einen richtig großen Motor", sagte Ralph Denk, der Teamchef der deutschen Bora-hansgrohe-Equipe, die Kämna kurz darauf verpflichtete.

So geht es gerade immer weiter, Tritt für Tritt. Bei der Dauphiné, dem wichtigsten Etappenrennen vor der Tour, gewann Kämna zuletzt die Bergankunft in Megève, es war sein erster Etappenerfolg bei den Profis. Das wurde nur fast von den Nachrichten der schweren Stürzen am selben Tag verschluckt, bei denen auch die Tour-Ambitionen seines Teamkollegen Emanuel Buchmann verdampften, dem Tour-Vierten des Vorjahres. Auch Kämna erwischte es bei der aktuellen Tour, gleich drei Mal zum Auftakt, aber mittlerweile habe er das abgeschüttelt, sagte er am Freitag: "Ich konnte den Körper heute wieder absolut ausbelasten. Das ist schon ein Top-Zeichen für die nächste Woche." Dann warten in den Alpen die Königsetappen, wo Kämna und seine Teamkollegen zumindest einen Tagessieg für ihre Auswahl beschaffen wollen, der ihnen bei der aktuellen Auflage bislang stets entglitten ist.

Kämna hätte eigentlich schon 2018 bei der Tour debütieren sollen, aber kurz davor fühlte er sich plötzlich ermattet, als lade ein Akku nicht mehr richtig auf. Bei seinem damaligen Arbeitgeber Sunweb blieb das nicht verborgen; kaum ein Team sammelt so viele Daten über seine Fahrer, schon im Nachwuchs. Kämna nahm sich damals eine "temporäre Auszeit", er sei "gesundheitlich und mental ein bisschen am Limit" gewesen, sagte er später. Er arbeitete mit einer Sportpsychologin zusammen, fuhr fünf Monate keine Rennen - und kehrte "frischer und besser als je zuvor" zurück. Nicht viele Kollegen nehmen sich diese Freiheit. Manche sind daran sogar zerbrochen, Dominik Nerz etwa, der 2015 bei dem damals noch kleineren Bora-Team als Rundfahrerhoffnung anheuerte. Nerz trieb seinen Körper so sehr in die Erschöpfung, dass er ein Jahr später seine Karriere beenden musste, mit 27 Jahren.

Es ist auffällig wie früh die jungen Profis das Geschehen seit ein paar Jahren an sich ziehen

Wenn man Kämna in den vergangenen Jahren erlebte, wirkte er längst nicht so verbissen, zumindest auf den ersten Blick. "Man muss irgendwie versuchen, sich realistisch einzuschätzen und damit zufrieden sein", sagte er etwa. Oder: "Man kann nicht ständig in die Spitze fahren." Oder: "Dieses Drei-Wochen-Rundfahrerbusiness ist schon knüppelhart." Als er im vergangenen Winter zu Bora wechselte, begründete er das auch mit der behutsamen Strategie des Teams: "Da kann man nur sagen: Dort wird vieles richtig gemacht." Nerz' quälender Abschied vor vier Jahren dürfte daran wohl auch nicht ganz unschuldig gewesen sein.

Das ist ja ohnehin auffällig: wie früh die jungen Profis das Geschehen seit ein paar Jahren an sich ziehen. Da ist der Kolumbianer Egan Bernal, mit 22 im Vorjahr der jüngste Tour-Sieger in der immerhin 110 Jahre währenden Historie des Rennens. Oder der Slowene Tadej Pogacar, 21, der bei seinem Tour-Debüt gerade als einziger mit dem großen Favoriten Primoz Roglic mithält. Oder auch der Schweizer Marc Hirschi, 22, ebenfalls ausgestattet mit einem großen Motor, den er nicht nur zuletzt bei seinem Etappensieg am vergangenen Donnerstag vorführte. Sie alle profitieren davon, dass schon im Nachwuchs immer professioneller trainiert wird, mit Wattmessern und Tonnen an Daten, wie zu Kämnas Sunweb-Zeiten. Wobei sie bei Bora-hansgrohe bei aller gewissenhaften Förderung auch nicht zu viel zu früh fordern wollen. Man werde Kämna "genauso behutsam aufbauen, wie wir das schon mit Emanuel oder Pascal (Ackermann, Anm.) gemacht haben", sagte Teamchef Denk zuletzt. Damit das Hoch für mehr als einen Sommer anhält.

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