Südkorea bei der WM:Here comes the Son

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Südkoreas Bester: Son Heung-min. (Foto: AFP)
  • Dass Südkorea vor dem letzten Gruppenspiel an diesem Mittwoch (16 Uhr) gegen Deutschland noch auf das Weiterkommen hoffen darf, liegt an Angreifer Son Heung-min.
  • Der Tottenham-Profi, der einst in Hamburg und Leverkusen spielte, erzielte gegen Mexiko das bislang einzige Tor für Südkorea bei dieser WM.
  • Son steht auch unter Druck, weil er nur mit einem internationalen Erfolg am Militärdienst vorbeikommt.

Von Benedikt Warmbrunn, Kasan

Manchmal denkt Son Heung-min an die Gedanken und die Blicke der anderen. Er denkt dann daran, dass Millionen Kinder sein wollen wie er. Er denkt daran, dass ein ganzes Land in den 90 Minuten eines Spiels darauf hofft, dass der Ball irgendwie den Weg zu ihm und von dort den Weg ins Tor findet. Manchmal denkt Son also daran, dass das ganze Land ständig auf ihn schaut, dass alle wissen, dass es allein von ihm abhängt, Sieg oder Niederlage, Achtelfinale oder Aus. Wenn er an all das denke, sagt Son Heung-min, bekomme er stets eine Gänsehaut.

Druck kann lähmen, er kann die Beine schwer machen und den Kopf müde. Druck kann aber auch anspornen, er kann die schnellen Beine noch schneller und den gewitzten Kopf noch gewitzter machen. So sieht das zumindest Son Heung-min.

Dass Südkorea vor dem letzten Gruppenspiel an diesem Mittwoch (16 Uhr) in Kasan gegen Deutschland noch auf das Weiterkommen hoffen darf, liegt allein an Son. Bis zur dritten Minute der Nachspielzeit in der zweiten Partie gegen Mexiko hatte Südkorea null Punkte gewonnen und null Tore erzielt, auch nach dieser dritten Minute hat die Mannschaft null Punkte. Aber sie hat nun ein Tor erzielt, und weil es Son erzielt hat, fühlt sich die ganze Nation in ihren Hoffnungen bestätigt. Alle Hoffnungen ruhen auf Son.

Dem Druck begegnet er mit Demut - und viel Disziplin

Trainer Shin Tae-yong nennt den Angreifer von Tottenham Hotspur den "besten Spieler Asiens". Staatspräsident Moon Jae-in, der sich die Partie gegen Mexiko im Stadion angeschaut hatte, sieht noch höhere Fähigkeiten in Son. Dessen Treffer in der 93. Minute, ein samtener Schlenzer aus der Distanz, bezeichnete Moon als "Weltklasse-Tor". Son selbst hat dem Time-Magazin gesagt: "Wie viele Menschen verspüren schon so einen Druck wie ich? Ich bin wirklich ein glücklicher Mensch."

Der Weg zum nationalen Hoffnungsträger war entbehrungsreich, gelenkt wurde Son früh von seinem Vater. Dieser hatte ihn an seine Grenzen getrieben, er hatte ihm aber auch gezeigt, dass seine Grenzen anders verlaufen als die von gewöhnlichen Fußballern. Son, der im Juli 26 Jahre alt wird, hat früh verstanden, dass so viel Talent auch ein Auftrag ist. Dem Druck begegnet er mit Demut. Und mit viel Disziplin.

Vater Son Woong-jung spielte selbst in der ersten koreanischen Liga, als 28-Jähriger musste er seine Karriere beenden, eine schwere Verletzung. Er wusste also, dass ein Fußballer niemals Zeit verlieren sollte, und so trieb er seinen Sohn Heung-min und dessen älteren Bruder Heung-yun, der vor ein paar Jahren für den Fünftligisten SV Halstenbek-Rellingen spielte, ständig dazu, an den eigenen Stärken und Schwächen zu arbeiten. So durfte Heung-min stundenlang nur seinen linken Fuß benutzen, so lange, bis Vater Son fand, dass Sohn Son nun als beidfüßig durchgehe. "Wir haben ihn streng erzogen", sagte Son Woong-jung einmal.

Als 16-Jähriger kam Son ins Internat des Hamburger SV, gemeinsam mit zwei anderen koreanischen Talenten. Die beiden anderen verschwanden bald. Son blieb. Er war einsam, er verstand die Sprache nicht, stundenlang telefonierte er mit seinem Vater, immer wieder musste dieser ihn überzeugen, nicht aufzugeben. Im Sommer 2010 debütierte er dann bei den HSV-Profis, er erzielte neun Tore in der Vorbereitung, und obwohl er sich beim neunten Tor, einem gegen den FC Chelsea verletzte, ging seitdem alles ganz schnell.

Son arbeitete verbissen an sich, er trainierte nach dem Ende der offiziellen Einheit weiter, und als sie ihm beim HSV sagten, dass er sich entspannen solle, nickte Son zwar, aber er gehorchte nicht. Von nun an trainierte er heimlich. "Ich lebe Fußball, ich atme Fußball, ich träume von Fußball", sagte Son dem Hamburger Abendblatt.

2013 wechselte er nach Leverkusen, 2015 zu Tottenham, 2016 beinahe nach Wolfsburg, nach einem Jahr als Ergänzungsspieler. Trainer Mauricio Pochettino überredete ihn zu bleiben. Inzwischen hat Son in 99 Spielen in der Premier League 30 Tore erzielt, er gehört zu den Attraktionen seines Teams. Der Guardian bezeichnete ihn als einen "wild gewordenen, hypermobilen Harry Kane". Wenn Son lossprintet, singen die Anhänger den Klassiker der Beatles: "Here comes the Sun."

Südkorea ist von Sons Schnelligkeit, von seinen Dribblings, von seinem Gespür für die Lücken noch abhängiger; in den ersten Vorrundenduellen war er jeweils der auffälligste Spieler. Doch dass dieser Druck nicht nur antreibt, verriet Son, als er nach dem 1:2 gegen Mexiko weinend in die Kabine lief. Es waren nicht die ersten öffentlichen Tränen. Er weinte nach dem Aus bei der WM 2014; nach dem Achtelfinal-Aus bei den Olympischen Spielen 2016, erzählte Shin, auch damals sein Trainer, Son habe "einen ganzen Tag lang geweint und überhaupt nichts gegessen".

Der Druck entsteht nicht allein von außen, den Druck macht sich Son auch selbst. Nur mit einem internationalen Erfolg kommt er an seinem Militärdienst vorbei, beginnen muss er diesen vor seinem 28. Lebensjahr, spätestens also im Juli 2019. Er fiele dann auf dem Höhepunkt seines Könnens für 21 bis 24 Monate aus. Ausnahmen genehmigt der Präsident so gut wie nie, niemand soll bevorzugt werden. Als der Sänger Steve Yoo 2002 dem Militärdienst entging, indem er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, verhängte der Staat ein Einreiseverbot, Yoos Karriere war vorbei. Son bleiben als letzte Chance, den Militärdienst zu vermeiden, noch die Asienspiele in diesem Sommer.

Oder er führt mit seinen Toren sein Team bei dieser WM doch noch ein paar Runden weiter.

© SZ vom 27.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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