Stürze bei den Paralympics:Rodeo auf der Piste

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Sturz samt Überschlag: Franz Hanfstingl. (Foto: dpa)

Die Bäume schlagen aus, Pisten lösen sich auf: Der federnde Schnee bei den Paralympics bringt die Monoskifahrer in ernste Gefahr. Die Unfallstatistik dürfte manchem Wintersport-Romantiker schon jetzt die Illusion geraubt haben.

Von Thomas Hahn, Krasnaja Poljana

Alana Nichols hat sich gemeldet. Über Facebook, wie es sich gehört für eine Monoski-Sportlerin des digitalen Zeitalters, und sie lässt wissen, dass ihr Sturz vom Montag beim Super-G der Paralympics glimpflich ausgegangen sei. "Tschuldigung, dass es ein bisschen gedauert hat, mir geht's gut. Es hat mich bewusstlos geschlagen und ich musste am Kinn genäht werden".

Man durfte die Notiz als Bulletin aus dem amerikanischen Spiele-Lazarett verstehen, denn Alana Nichols klärte darin auch gleich über den Gesundheitszustand ihrer Team-Kollegin Stephani Victor-Kuonen auf, die das Super-G-Rennen ebenfalls im Akja verlassen hatte. "Sie ist nebenan und fühlt sich auch okay. Sie hat ein ziemlich zusammengeschlagenes Gesicht." Vorher hatte schon Unfallpilot Tyler Walker sein verbeultes Lächeln ins Netz gestellt. Er wisse nichts mehr von seinem schrecklichen Sturz in der Abfahrt, twitterte er: "Immerhin habe ich einen Flug in einem russischen Helicopter bekommen."

Die Olympischen und Paralympischen Spiele von Sotschi werden für vieles in Erinnerung bleiben. Aber sicher auch für ihre Unfallstatistik, die nämlich manchem Wintersport-Romantiker die eine oder andere Illusion geraubt haben dürfte. Schon bei Olympia gab es viele Stürze auf den Pisten von Rosa Chutor, die meisten waren nicht wirklich schlimm, aber es reichte ja auch, dass sich die Skicrosserin Maria Komissarowa im Training das Rückgrat brach; die Russin wird wohl teilweise gelähmt bleiben. Und bei den Paralympics, die in diesen Tagen das russische Spiele-Programm abrunden, setzt es schon wieder einen Ausfall nach dem anderen.

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Betroffen sind die Alpinen der sitzenden Klasse in ihren Monoskistühlen. Teilweise wirkten ihre Auftritte wie ein Wettbewerb von Crashtest-Fahrern. 14 von 28 Startern stürzten allein am Montag beim Super-G der Männer, bei den Frauen immerhin drei von acht; Alana Nichols und Stephani Victor-Kuonen wurden mit knatternden Rotoren ins Krankenhaus geflogen.

Und natürlich stellt sich die Frage, wer daran schuld ist? Der Überehrgeiz der Fahrer? Die steile Piste? Das Wetter? "Es ist eine Kombination aus allem", sagt der deutsche Bundestrainer Justus Wolf, "aber das Hauptproblem ist wirklich die weiche unruhige Piste." Man kann darüber streiten, ob diese Jahreszeit, in welcher die russischen Spiele bisher stattgefunden haben, überhaupt jemals ein Winter war. Aber mittlerweile schlagen die Bäume wirklich aus und die Pisten lösen sich auf. Die Fahrer verteilen artig Lob für die beträchtlichen Bemühungen der Veranstalter, dem Tauwetter zumindest einen halbwegs fahrbaren Untergrund abzutrotzen. Aber für die Monoskifahrer reicht es eigentlich nicht mehr.

"Wir sind den Bedingungen und dem Kurs ausgeliefert. Und außerdem unseren Maschinen", sagt Alana Nichols, die am Samstag Abfahrts-Silber gewann und 2008 Paralympics-Siegerin mit den US-Rollstuhl-Basketballerinnen war: "Wenn unsere Stoßdämpfer unter so großem Druck funktionieren müssen, reagieren wir praktisch nur noch darauf, was unsere Geräte machen." Die deutsche Paralympics-Siegerin Anna Schaffelhuber präzisiert: "Wir können die Schläge nicht mit den Knien wegfedern."

Wie ein ungezähmtes Pferd

Wer nicht aufpasst, dem kommt sein Ski in der ruppigen Sulzwüste aus wie ein ungezähmtes Pferd. Und der eine Ski verzeiht so gut wie kein Verkanten. "Wenn der wegrutscht, rutscht der weg", sagt Justus Wolf.

Die Frühlingsspiele führen die Monoskifahrer an ihre Grenzen. Die russischen Spiele-Manager haben zwar genügend Schnee gebunkert über die Jahre, um auch Mitte März 2014 noch eine Art Winterlandschaft in die Kaukasus-Berge nahe dem Schwarzen Meer zu zaubern. Aber beliebig lässt sich die bräunliche Pracht eben doch nicht festhalten.

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Fast wirken diese Tage wie eine Mahnung für den Wintersport des Klimawandels. Zumindest die Monoskifahrer scheinen neue Zukunftspläne zu brauchen. Ob es etwas bringen würde, sie früher am Tag oder unabhängig von anderen Klassifikationsklassen starten zu lassen? "Das ist eine super-interessante Debatte", sagt der kanadische Sportler Josh Dueck.

Immerhin, man kann auch ohne Sturz durchs schmelzende Gelände kommen. Anna Schaffelhuber hat es bewiesen. Am Dienstag zwar nicht wie geplant, weil Nebel und Regen die eine Hälfte der Super-Kombination verhinderte; der Super-G wurde auf Freitag verschoben, nur der Slalom fand statt, in dem Anna Schaffelhuber prompt Bestzeit fuhr.

Dafür befolgte die Münchner Jura-Studentin in Abfahrt und Spezial-Super-G akkurat die Anweisungen ihrer Trainer und nahm an den Stellen des Kurses das Tempo raus, an denen sie ohne Augenmaß ein Raub ihres Geräts geworden wäre. Zwei Mal Gold bekam sie dafür - wenn auch keinen Flug im russischen Hubschrauber.

© SZ vom 12.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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