Starker Mats Hummels in der DFB-Elf:Mit der Aura des Siegers

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Er fremdelte lange in Joachim Löws Mannschaft, ist vor seinem unverhofften Einsatz nervös wie nie - und macht gegen Portugal trotzdem sein mit Abstand bestes Länderspiel. Der Dortmunder Mats Hummels könnte der Überraschungsgast in der deutschen Defensive werden und einen vermeintlichen Nachteil ins Positive wenden.

Thomas Hummel

Per Mertesacker ist ein höflicher junger Mann. Deshalb blieb er auf dem Weg zum Mannschaftsbus auch stehen, als ihn jemand mit einem Mikrofon in der Hand fragte, wie er sich nun fühle. Mertesacker ist 1,96 Meter groß, ein riesiger Kerl. Doch in diesem Moment wäre er lieber klein gewesen, denn plötzlich schwebten 20 Mikrofone vor seinem Kinn. "Was wollt ihr nur alle von mir?", fragte er und wich zwei Meter zurück.

Applaus! Mats Hummels überzeugte im ersten EM-Spiel. (Foto: REUTERS)

Mit 27 Jahren hat Per Mertesacker bereits in 81 Länderspielen seinen Dienst in der deutschen Abwehr verrichtet, seit Jürgen Klinsmann und Joachim Löw 2004 übernahmen, gehört er zur Innenverteidigung wie der Oligarch zur Ukraine. Und trotz einer langwierigen Verletzung am Knöchel schien er seinen Stammplatz auch für diese Europameisterschaft sicher zu haben. Doch dann bat ihn Löw am Freitag zum Gespräch.

Es muss eine kleine Welt zusammengebrochen sein beim Hannoveraner. Löw teilte ihm mit, dass nicht er, sondern der Dortmunder Mats Hummels gegen Portugal beginnen würde. "Das ist eine neue Situation für mich", sagte Mertesacker in Lemberg leise, "das ist das Leben eines Sportlers. Es war klar, dass es harte Entscheidungen geben wird". Eine traf ihn.

Mertesackers Trauer war Hummels' Freude. Und am Ende die Freude aller Fußballdeutschen. Denn trotz dieser schwierigen Situation, als vermeintlicher Ersatzmann überraschend hineinzurutschen in ein enorm wichtiges Spiel, vollbrachte Mats Hummels eine fulminante Verteidiger-Leistung. Die beste Vorstellung, die er je in der Nationalmannschaft zeigte. Mit Abstand.

Hummels gewann in der Abwehr alle relevanten Zweikämpfe, köpfte am Fünfmeterraum die Flanken heraus, warf sich erfolgreich in portugiesische Fernschüsse. Dazu leitete er von hinten heraus geschickt das Spiel. Der 23-Jährige war in der ersten Halbzeit der beste Spieler auf dem Platz und rettete zum Schluss zusammen mit Jérome Boateng, Holger Badstuber und Torwart Manuel Neuer das 1:0 über die Zeit.

Presse zum Spiel Deutschland gegen Portugal
:"Das roch nach Schweiß"

"Gerumpelt wie früher", und am Ende ein "schmutziger Sieg": In der deutschen Presse überwiegen trotz des Sieges kritische Stimmen. Portugiesische Zeitungen lamentieren über eine "ungerechte Niederlage".

zum Auftaktsieg Deutschlands über Portugal.

Dabei gab er zu, erheblich nervös gewesen zu sein vor diesem Einsatz. "Eine größere Anspannung war vorhanden", formulierte er am Sonntag im Mannschaftsquartier, er habe sich im Spiel in den ersten Minuten erst einmal Sicherheit holen wollen. "Das ist wichtig, wenn man sich immer noch reinfinden muss in eine Mannschaft. Ich war nervöser als sonst, das hat sich aber gelegt."

Deutsche Elf in der Einzelkritik
:Manuel Neuer, Retter einer ganzen Nation

Der deutsche Torwart lässt sich auch von einem fiesen Zusammenprall nicht schrecken, Mats Hummels widerlegt alle Kritiker und Mario Gomez trifft genau in dem Moment, als die deutschen Zuschauer die Einwechslung von Miroslav Klose fordern. Die DFB-Elf beim 1:0 zum EM-Auftakt gegen Portugal in der Einzelkritik.

Thomas Hummel

Dieses erste EM-Spiel könnte der überfällige Durchbruch in der Nationalmannschaft gewesen sein. Während er für Borussia Dortmund der wohl beste Innenverteidiger der Liga war, fremdelte Hummels mit seiner Rolle als Herausforderer von Mertesacker und Badstuber. Löws Verbot, wie in Dortmund weite Bälle nach vorne zu schlagen, verlangt von ihm zudem eine Änderung seiner Spielanlage. Hummels kam deshalb lange Zeit nicht an in dieser DFB-Elf. Das sieht nun anders aus.

"Mats kommt mit Rückenwind aus der Saison. Und mit Spielpraxis. Das hat mich letztendlich bewogen, ihm den Vorzug zu geben. Er hat mir heute gut gefallen, hat die Mannschaft auch nach vorne mitgezogen", urteilte Löw in Lemberg. Hummels brachte das viel geforderte Dortmunder Siegergen mit auf den Platz, das Selbstverständnis, auch enge Partien nicht zu verlieren. In den turbulenten letzten Spielminuten war es seine Aura, die den Mitspielern den Glauben daran gab, dass heute nichts mehr schief geht. Zur Not köpft er den Ball eben selbst von der Linie. "Da hatten wir zu viele Ballverluste und haben eine Prise Glück gebraucht", gab Hummels zu.

"Die Geschichte ist nicht fertig geschrieben"

Der Verteidiger könnte der so häufig gesehene Überraschungsgast in der deutschen Turniergeschichte sein. Da gab es einen Guido Buchwald 1990, einen Dieter Eilts 1996 oder zuletzt Arne Friedrich 2010 in Südafrika. Einer, mit dem niemand rechnet, schwingt sich plötzlich zum defensiven Anführer auf. Löst ein vermeintliches Problem der Mannschaft und verwandelt es in einen Vorteil. Denn den größten Zweifel begleitete ja die Defensive vor diesem EM-Auftakt. Doch gerade die garantierte dann den ersten Erfolg.

Noch will Hummels aber nichts wissen von einem vorzeitigen Turnierfazit: "Nach einem Spiel sollte man nicht viele Schlüsse ziehen, die Geschichte ist weder für mich noch für die Mannschaft fertig geschrieben."

Per Mertesacker war in der Nacht zuvor langsam und traurig in den Mannschaftsbus eingestiegen. Ob er denn glaube, noch einmal zum Einsatz zu kommen? Der Kader, sagte Mertesacker, habe viele Optionen, auch wenn ein Spieler ausfallen würde. Doch er weiß, welche Rolle ihm nun bevorsteht. "Ich glaube: Die Mannschaft, die heute gespielt hat, hat erst mal gute Argumente, auch im nächsten Spiel aufzutreten."

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