Sportpolitik:Die Vermessung des deutschen Sports

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Mehr Medaillen für Deutschland: Vater und Trainer Wolfgang (links) und Turner Fabian Hambüchen (rechts) freuen sich auch über ein Olympiagold - das im Reckfinale von Rio 2016. (Foto: Lukas Schulze/dpa)

Die deutsche Sportförderung soll in Zukunft von einem komplexen Bewertungssystem abhängen. Doch nicht mal der DOSB und Innenministerium sind sich einig.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Das Wort, das so viele deutsche Sportfunktionäre gerade in Aufregung versetzt, klingt wahlweise nach Kalium, Kartoffelchips oder künftigen Goldmedaillen-Pferden. Aber immerhin klingt es besser als Permit. Permit war der erste Namensvorschlag für ein zentrales Element des neuen Sportförderkonzeptes, irgendwann wurde daraus "Potas". Wie wichtig Potas sein soll, ist nun die viel diskutierte Frage. Und da herrschen in Teilen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und im Bundesinnenministerium (BMI) offenkundig verschiedene Auffassungen.

Ende September stellten BMI und DOSB nach fast zweijähriger Beratung ihr Konzept für die Reform vor. Die Handschrift des Ministeriums war unverkennbar, das Ziel ebenso: mehr Medaillen. Irritationen und Kritik waren groß. Jetzt läuft die nächste Diskussionsphase: Am Montag und Dienstag versammelten sich die Fachverbände des Sports zum "Schulterschluss", wie DOSB-Präsident Alfons Hörmann sagte. Am Mittwoch gab es eine öffentliche Anhörung vor dem Sportausschuss des Bundestages. Und in der kommenden Woche trifft sich noch einmal das sogenannte Beratungsgremium aus BMI und DOSB - und dann soll die Reform endgültig fertig sein.

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Das Grundkonzept ist kompliziert. Am Anfang steht Potas, kurz für "Potenzialanalysesystem". Anhand von 20 Haupt- und 59 Unterattributen soll eine fünfköpfige Kommission 130 Disziplingruppen bewerten und "Potenziale" herausfinden. Jede Disziplin wird je nach Erfolgsaussichten einem von drei Clustern zugeordnet: Wer in Gruppe I landet, erhält umfassende Unterstützung, Gruppe II eine anteilige Förderung - und Gruppe III grundsätzlich nichts mehr. Darauf aufbauend erfolgen die Strukturgespräche unter Leitung der DOSB und der endgültige Entscheid der Förderkommission, in der Sportdachverband und Ministerium sitzen.

Aber die Frage ist: Wie maßgeblich sind die Ergebnisse der zum Großteil mit Experten aus der Wissenschaft besetzten Potas-Kommission?

Fürs BMI ist es die entscheidende Neuerung. Es sieht darin den Ansatz für mehr Transparenz und Objektivität. Bisher erfolgte die Vergabe der Mittel (derzeit etwa 150 Millionen Euro) nicht nach klaren Kriterien. Selbst der Bundesrechnungshof widmete sich dem Thema: "Die dargestellten Fördermittel der Verbände sind weder transparent noch untereinander vergleichbar", hieß es. Das BMI solle sich sportfachlich nicht vom DOSB beraten lassen, sondern von "neutralen Einrichtungen, die keinem Interessenkonflikt ausgesetzt sind".

Beim Sport hingegen hält sich die Begeisterung für Potas sehr in Grenzen. Praktiker aus den Verbänden monieren, dass die Wissenschaft an Einfluss gewinnen soll. Auch missfällt die Attributenliste, 20 bis 30 Änderungswünsche habe es gegeben, sagte Hörmann. Und vor allem stören sich viele am grundsätzlichen Sinn und der grundsätzlichen Bedeutung von Potas.

Der Sport steht damit nicht alleine, auch in der Anhörung des Bundestages gab es durch einige Sachverständige Kritik an Analysesystem und Attributen. Aber die Mitgliederversammlung des DOSB soll im Dezember dem Konzept zustimmen - sonst gibt es keine Reform. Und daher ist interessant zu sehen, wie seine Spitzenvertreter heikle Teile des Konzeptes auf ihre Art darstellen und aufweichen.

So reden sie die grundsätzliche Bedeutung von Potas tendenziell klein. "Es ist ein Teil, ein Hilfsmittel, ein Werkzeug, aber es hat keine Entscheidungsrelevanz", sagte Siegfried Kaidel, Sprecher der Spitzenverbände. DOSB-Präsident Hörmann sprach ähnlich: Die Potas-Kommission erarbeite ein Zahlenwerk, sagte er, und Potas und die folgende Clusterung hätten keinen Entscheidungs-, sondern nur Grundlagencharakter. Da sei sich der Sport mit dem BMI einig, aber die Erläuterungen im Ende September präsentierten Eckpunktepapier müssten nachgeschliffen werden.

Das Signal der DOSB-Oberen: Potas gibt es künftig halt, aber entscheidend sind weiter die Strukturgespräche. Auffallend oft spricht Hörmann in diesen Tagen davon, dass sich so viel doch gar nicht ändere. Am Dienstag kam aus dem Plenum gar die Idee auf, die Einteilung der Sportarten in die drei Cluster nicht nach der Potas-Analyse zu tätigen, sondern erst nach dem Strukturgespräch. Die BMI-Vertreter sollen diese Idee klar zurückgewiesen haben.

Ähnlich abwiegelnd äußert sich die DOSB-Spitze bei den Folgen der Clusterung. Die Verbände sind verunsichert, was beim Absturz in Gruppe III passiert. Gemäß Konzept gibt es kein Geld mehr. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach im SZ-Interview kürzlich von einer "Minimalförderung". Vorstellbar scheint eine Unterstützung in der Größenordnung der nicht-olympischen Verbände zu sein. Mancher Verband würde so nur knapp sechsstellig gefördert werden und für den Rest auf die Länder angewiesen sein. Hörmanns und Kaidels Credo heißt indes: "Wir lassen niemanden fallen." Die Sportarten aus Gruppe III müssten halt "ihre Hausaufgaben machen". Potas und Clusterung lassen sich vielfältig kritisieren. Falls sie am Ende aber kaum konkrete Konsequenzen haben, stellt sich die Frage, warum so ein arger Aufwand betrieben wird und 130 Disziplingruppen nach 59 Unterattributen bewertet werden. Und warum für Personal und Geschäftsstelle von Potas eine halbe Million Euro aufgewendet werden soll.

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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