Sportliche Helden und Doping-Affären:Was Armstrong der Nachwelt hinterlässt

Lesezeit: 2 min

Lance Armstrongs aberkannte Tour-Titel sind noch nicht neu vergeben, da freut sich die Radsport-Szene schon auf die Tour 2013. Die Doping-Enthüllungen werden den Sport trotz ihres schockierenden Ausmaßes nicht automatisch verändern. Dafür könnte nur ein kritisches Publikum sorgen.

Andreas Burkert

Zwei Helden, zwei Sünder: Lance Armstrong (li) und Jan Ullrich bei der Tour de France 2005.  (Foto: dpa/dpaweb)

An diesem Mittwoch versammelt sich die Familie des Radsports in Paris, die Strecke der 100. Tour de France wird feierlich präsentiert. Die Größen der Zunft, die nicht, noch nicht oder nicht mehr gesperrt sind wegen Dopings, haben ihr Kommen zugesagt. Sie wollen wohl allen Ernstes über den Juli 2013 reden, über den Tour-Start auf Korsika, Steilfahrten nach Alpe d'Huez und die angeblich geplante, nächtliche Ankunft in Paris: Vorhang auf fürs nächste Illusionstheater!

Der Jubiläumsjubel dürfte allerdings sogar bei den Franzosen verhaltener ausfallen. In den vergangenen Jahrzehnten haben sie sich trotz diverser Affären ihrer Helden stets zu Millionen an die Strecke gestellt; die Tour ist Folklore, nationales Heiligtum, eine drei Wochen durchs Land ziehende, mobile Partymeile. Doch ein Vermächtnis mag der zum Kleinkriminellen degradierte Weltstar Lance Armstrong Sport und Publikum nun doch hinterlassen haben: die Stärkung des allgemeinen Misstrauens gegenüber solchen Helden.

Dem Skandal folgt jedenfalls die weltweite Bestürzung über das Zerbröseln eines Denkmals und über Armstrongs perfides Betrugssystem. Als habe es den olympischen Eklat von 1988 um den Sprinter Ben Johnson nie gegeben, nicht die Festina- und Puerto-Dopingaffären bei der Tour (1998, 2006) oder das von der US-Justiz erzwungene Doping-Geständnis der einstigen Weltathletin Marion Jones (2007). Vom nötigen Neuanfang ist auch jetzt im Sport wieder die Rede, jedoch fragt man sich ermattet: Wie oft denn noch?

Einst prägte der Kalte Krieg die Betrugsmentalität im Sport. Auf das Staatsdoping der DDR reagierte erwiesenermaßen auch der bundesrepublikanische Athletenbetrieb mit medizinischen Antriebshilfen für die Prestigejagd nach Medaillen. Die Wende und die Kommerzialisierung des Höher-schneller-weiter veränderten das Motiv.

Betrug bei der Tour de France 1999 bis 2005
:Armstrongs gedopte Rivalen

Der Betrüger ist überführt: Lance Armstrong muss auf seine sieben Titel bei der Tour de France von 1999 bis 2005 verzichten. Zu einer Neuverteilung der Erfolge kommt es nicht - wohl aus gutem Grund: Schließlich ist keiner der einstigen Armstrong-Rivalen sauber geblieben. Ein Überblick über die Radprofis auf dem Tour-Podium an der Seite des Amerikaners - und deren Doping-Vergangenheit.

Hohe Prämien und Sponsorengelder weckten einen Trieb des Profis, der ja zugleich fehlbarer Mensch ist: die Gier. Sie war größer als die Angst, erwischt zu werden. So entstand ein System des Schweigens.

Im Hochleistungssport zählt auch nach Armstrong vorrangig der Sieg. Und die Freizeitgesellschaft wird unverdrossen für gigantische Geldflüsse sorgen, das Volk im Circus Maximus will unterhalten werden. Zugleich gibt es kaum Anzeichen dafür, dass mittels (Selbst-)Kontrolle des Sports die Doping-Mentalität bekämpft werden kann. Funktionäre, Geldgeber und Medien haben oft kein aufrichtiges Interesse an erschütternden Blicken hinter den Vorhang.

Und der Zuschauer? Schaut weiter zu. Nun aber bietet Lance Armstrongs tiefer Fall dem breiten Publikum erneut eine Chance. Es wäre naiv zu glauben, der Sport und seine Gesetze würden sich wegen der aktuellen Aufregung verändern.

Vor allem die Ausdauerdisziplinen des Profibetriebs, und nicht nur der Radsport, werden faszinierend wie fragwürdig bleiben angesichts all der wundersamen Leistungen. Verändern kann sich aber der Blickwinkel des Betrachters. Wer Illusionen hinterfragt, erzieht womöglich sogar die eigenen Helden.

© SZ vom 24.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: