Sportjahr 2016:Teamgeist lässt sich nicht dopen

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Ein Außenseiter wird Europameister: Die deutschen Handballer jubeln nach dem Sieg im Gruppenspiel gegen Dänemark. (Foto: Jens Wolf/dpa)

Das Sportjahr 2016 war geprägt von Dopingvergehen. Dennoch kann der Sport noch etwas vermitteln: Zusammenhalt lohnt sich.

Kommentar von Saskia Aleythe

An dieser Stelle könnte eine Zahl stehen. Die Zahl der Athleten, die in jüngster Vergangenheit als Doper aufgeflogen sind, andere im Wettbewerb um Medaillen gebracht haben, um große Momente, Sponsoren und eine erfolgreiche Zukunft. Mehr als 1000 russische Athleten bezifferte etwa der zweite McLaren-Report, sie sollen zwischen 2012 und 2014 ins staatliche Betrugssystem involviert gewesen sein. Mehr als 1000, sind das dann 1500, 2000, 5000?

Die Zahl ist egal. Weil sie ohnehin schon viel zu hoch ist. Weil das Problem viel größer ist, über Russland hinaus, es reicht in den Rest der Welt, es reicht in die Gremien des Weltsports, in denen Kronzeugen bestraft und Täter offensichtlich gedeckt werden.

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Von Volker Kreisl

Kronzeugen, Täter, Betrug, Strafe - wer über die Hackentricks und unglaublichen Weltrekorde hinaus die Sportwelt verfolgt, der findet kaum noch Trost in ohnehin beunruhigenden Zeiten. Dabei steht Sport in seiner natürlichsten Form schon immer für eine gute Sache: Kaum etwas ist gemeinschaftsstiftender, es braucht wenig mehr als Lust auf Bewegung und vielleicht noch einen Ball, um aus Fremden Teamkameraden zu machen. 2016 war ein Jahr des Betrugs, aber es war auch: ein Jahr des Teamgeists.

Es ist Mitte Januar 2016, als sich 16 Männer auf den Weg nach Polen machen, sie sind sorgsam ausgewählt: die besten Handballer Deutschlands. Trostlose Jahre liegen hinter dem Sport: 2014 waren sie bei der EM gar nicht dabei, nun sollen lauter Anfang-Zwanziger dem Deutschen Handballbund aus der Patsche helfen. Bundestrainer Dagur Sigurðsson fallen vor dem Turnier etliche Spieler aus: Kapitän Uwe Gensheimer hat's an der Wade, Kreisläufer Patrick Wienczek im Knie, auch der fleißige Torewerfer Patrick Groetzki muss passen. Am Ende stehen 16 Handballer im Kader, von denen 14 noch nie eine EM absolviert haben.

Auch während des Turniers verletzen sich immer mehr Spieler, Sigurðsson muss sich Neues einfallen lassen, ständig andere Sportler miteinander zusammenbringen. "Wir leben nicht von Stars, sondern vom Teamgeist", sagt er. Und das tun sie dann tatsächlich: Die deutsche Abwehr fasst so schnell Vertrauen in sich und den jeweiligen Nebenmann, dass Spanien im Finale erst nach elf Minuten ein Tor aus dem Feld gelingt. Am Ende werden die Debütanten Europameister.

Vier Monate später, es ist Anfang Juni 2016, als sich 23 Männer auf den Weg Richtung Frankreich machen, sie heißen Nani, Éder, aber vor allem: Ronaldo. 2014 bei der WM in Brasilien wurden sie 18., wer erwartet nun schon viel von ihnen? Cristiano Ronaldo, der vielen als größtes Ego im Profisport gilt, schießt drei Tore, die Portugiesen ziehen ins Finale gegen Frankreich ein. Im Endspiel verletzt sich Ronaldo, muss nach 25 Minuten runter vom Rasen. Es folgen Tränen, Drama - und der EM-Titel für Portugal.

Seinen größten internationalen Titel gewinnt der 31-Jährige also, als er selbst gar nicht mitspielt. Monate später taucht ein Video auf, das die Szenen aus der portugiesischen Kabine nach dem Titelgewinn zeigt. "Vergesst die individuellen Titel, die Champions League", sagt Ronaldo, "das ist der glücklichste Moment meines Lebens. Ich habe bereits drei- oder viermal geweint." Europameister wird auch ein Ronaldo nicht allein.

Derlei Beispiele gab es einige in den vergangenen Monaten, Kunstturner Andreas Toba wurde für seinen Teamgeist überhaupt erst berühmt. Trotz Kreuzbandriss bei Olympia in Rio kämpfte er am Pauschenpferd weiter, um seinem Team das Finale zu sichern. "Für mich war klar, dass ich für die Mannschaft dastehe", sagte Toba. Es ist ein grenzwertiger Fall, weil er seine Gesundheit riskierte, aber eben doch: eine Leistung für die Mannschaft, nicht für sich selber. Im Finale konnte Toba nicht mehr mitturnen, seine Kollegen schafften es auf Rang sieben.

Dass die Zuschauer immer mehr zweifeln statt mitfiebern, hat der Sport selbst zu verantworten, umso wertvoller ist sein vielleicht letztes verbliebenes Gut. Teamgeist lässt sich nicht dopen, es ist eine Frage von Charakter. Ob der immer gewinnt? Natürlich nicht. Aber für seine Strahlkraft braucht es keine Titel.

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