Spätes Siegtor gegen Iran:Messi rettet fragwürdige Argentinier

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Ein Schuss, ein Tor: Lionel Messi rettet Argentinien. (Foto: AFP)

Über 90 Minuten hat Iran gegen Argentinien wenig Mühe, sogar die besseren Torchancen - und hätte einen Elfmeter bekommen müssen. Dann gelangt Lionel Messi in der Nachspielzeit an den Ball. Gerecht ist das nicht, doch Argentinien steht im Achtelfinale.

Von Carsten Eberts

Diese Chance kommt nicht wieder, dachte sich Javad Nekounam, und schritt zur Tat. Irans international eher bedingt bekannter Kapitän hatte gerade die Seitenwahl absolviert, brav mit den Schieds- und Linienrichtern abgeklatscht, als er sich Lionel Messi zuwendete.

Nekounam zeigte erst auf Messis Trikot, dann auf sein eigenes - Messi nickte verdutzt. Ja wirklich, noch vor dem Anpfiff hatte sich Nekounam mit dem Wunderargentinier zum Trikottausch verabredet.

Nun könnte man dies, wenn schon vor dem Spiel im Geiste die Devotionalien getauscht werden, als Akt der Selbstaufgabe werten. Doch auch die Iraner werden überrascht gewesen sein, wie gut sie mit dem scheinbar übermächtigen Gegner mithalten konnten. Es dauerte bis zur Nachspielzeit, ehe Messi mit seiner ersten guten Aktion das Spiel mit einem Linksschuss aus 20 Metern ins Toreck zum 1:0 (0:0) entschied. Ein Tor, das dem Spiel eigentlich nicht gerecht wurde.

Sabella vertraut den "Fantastischen Vier"

Aus seinem unfasslichen Reservoir an hoch angesehenen Angreifern hatte sich Argentiniens Coach Alejandro Sabella diesmal eine Sturmreihe bestehend aus Lionel Messi, Ángel di María und Sergio Agüero, davor Gonzalo Higuain geformt. Die "Fantastischen Vier" werden sie zu Hause genannt, eine hochkarätigere Angriffsformation gibt es auf dem Papier weltweit kaum.

Die Iraner setzten den Vieren von Beginn an ein vielbeiniges, nervtötendes Abwehrgebilde entgegen. Im 6-4-0 empfingen sie die Argentinier vor dem Strafraum, Messi wurde nicht nur gedoppelt, sondern unter Dreifachbewachung gestellt. Es war erst das zweite Aufeinandertreffen zwischen beiden Teams: Ein Freundschaftsspiel 1977 endete 1:1 - so konnten sich die Iraner bis zu diesem Tag dafür feiern lassen, noch nie gegen Argentinien verloren zu haben.

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Auch 37 Jahre später tat sich der Favorit lange schwer. In der 13. Minute konnte sich Gago erstmals lösen, er spielte seinen Pass in den Lauf von Higuain, doch Keeper Haghighi warf sich dazwischen. Kurz darauf die nächste Großtat von Haghighi: Higuain legte den Ball auf Agüero ab - der scheiterte mit einem Schlenzer (22.). Die Argentinier verpassten es, aus dieser Phase Zählbares mitzunehmen. Ein Kopfball von Rojo strich knapp am rechten Pfosten vorbei (24.).

Bei keinem anderen Topteam im Weltfußball ist der Leidensdruck ähnlich groß wie bei den Argentiniern. 1990 stand das Team zuletzt im WM-Finale, danach gereichte es fünfmal maximal fürs Viertelfinale. 2002, im dunkelsten Moment der jüngeren argentinischen Fußballgeschichte, war sogar nach der Vorrunde Schluss. 2010 erregte die "Albiceleste" ebenfalls Aufsehen, als ein wohlbeleibtes, sehr bärtiges HB-Männchen auf der Trainerbank seine Tänzchen aufführte. Das war Diego Maradona. Sportlich war trotzdem im Viertelfinale Schluss, 0:4 gegen Deutschland.

Nach dem Sieg gegen Iran stehen die Argentinier nun bereits im Achtelfinale. Jedoch nur dank Messis Schuss - die übrige Leistung war eines WM-Mitfavoriten kaum würdig. Die Argentinier verlegten sich aufs Positionsspiel, im Glauben, sich dort schon irgendwann durchzusetzen.

So hatten die Iraner mit den steif wirkenden Südamerikanern über 90 Minuten erstaunlich wenig Mühe. Sie wurden sogar mutiger, den ersten vorsichtigen Offensivversuch hätte Hosseini fast mit dem Führungstreffer gekrönt, doch er setzte den Ball über das Tor (42.).

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Kurz nach der Pause dann abermals fast die Führung für den Außenseiter, als Argentiniens Keeper Romero einen Flugkopfball von Reza parieren konnte (53.). Zwei Minuten später hätte Schiedsrichter Mazic dann auf Elfmeter für Iran entscheiden müssen, als Zabaleta den heranstürmenden Dejagah im Strafraum umhufte. Doch Mazic schätze die Situation anders ein - nicht nur hier hatten die Argentinier Glück.

Dejagah, der früher in Wolfsburg und Berlin wirkte, war nun wie aufgestachelt. In der 68. Minute flog er in eine Flanke von links, Romero musste den Ball in höchster Not über die Latte lenken. Dejagah lag auf dem Rasen, trommelte mit beiden Fäusten auf das Grün. Den Respekt vor dem großen Gegner hatten die Iraner nun endgültig abgelegt.

Die Argentinier brachten lediglich durch Standardsituationen Gefahr aufs iranische Tor. Sabella entschied sich zur Schlussoffensive, er brachte Rodrigo Palacio (für Higuain) und Ezequiel Lavezzi (für Agüero). Die beste Chance hatten jedoch die Iraner. Ghoochannejad, der Mann mit dem auch im zweiten und dritten Versuch schwer zu schreibenden Namen, wetzte über links auf das argentinische Tor zu - Romero aber parierte abermals.

Nur einmal, ein einziges Mal ließen die Iraner Messi zu viel Platz. Es war einmal zu viel. Wohl dem, der sich auch an fürchterlichen Tagen auf einen solchen Spieler verlassen kann. "Wenn man einen Spieler wie Messi hat, ist alles möglich", sagte Trainer Sabella in großer Erleichterung. Trotzdem schwer zu glauben, dass Argentinien in dieser fragwürdigen Verfassung tatsächlich ein Kandidat für das WM-Halbfinale sein will.

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